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Liu Xiaobo - der Freiheit geopfert

10. Dezember 2010

Unter dem Spitznamen "schwarzes Pferd" war der heutige Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo in den achtziger Jahren für seine beißenden Polemiken gefürchtet. Jetzt hat ein alter Weggefährte seine Biografie vorgelegt.

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Ein Plakat von Liu Xiaobo und seiner Frau Liu Xia (Foto: AP)
Ein Plakat von Liu Xiaobo und seiner Frau Liu XiaBild: AP

Eigentlich galten die beiden in chinesischen Oppositionellenkreisen als zerstritten. Bei Ling, der Untergrunddichter, und Liu Xiaobo, der kritische Intellektuelle, der jetzt den Friedensnobelpreis erhalten hat. In den achtziger und neunziger Jahren waren sie enge Weggefährten, in jüngster Zeit allerdings hatten sie sich voneinander entfernt.

Nun legt Bei Ling die Biografie des Nobelpreisträgers vor, aus altem Respekt vor seinem Freund, wie er sagt. "Der Preis ist für alle denkenden Menschen in China ein großer Anstoß", sagt er. Und darin kann ihn auch nicht beirren, dass die Regierung seit der Verkündung des Preises hart gegen Kritiker vorgeht. "Vielleicht kann die chinesische Regierung kurzfristig die Kontrolle verschärfen, aber auf Dauer wird ihr das nicht gelingen."

Von Lyrikern hielt er gar nichts

Der chinesische Autor Bei Ling (Foto:DW/Mathias Bölinger)
Der chinesische Autor Bei LingBild: DW

Seit der Verleihung des Friedensnobelpreises wird Liu Xiaobos Frau Liu Xia von der Außenwelt abgeschirmt, zahlreiche kritische Intellektuelle wurden unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Im Moment ist es für chinesische Aktivisten, Menschenrechtsanwälte oder kritische Literaten unmöglich, auf Kongresse im Ausland zu reisen. Bei Ling selbst lebt inzwischen im Exil. Er kennt Liu Xiaobo noch aus der Zeit, als dieser als Literaturkritiker die Pekinger Literaturszene aufmischte. "Er war damals wahnsinnig arrogant, rauchte und drückte seine Zigaretten überall aus", erinnert er sich. "Er war sehr sprachgewandt und konnte ununterbrochen dozieren. Von Lyrikern hielt er damals gar nichts, hielt sie für Feiglinge und Langweiler." Trotzdem wurden beide, der Poet und der Kritiker, Freunde.

"Der Freiheit geopfert", heißt Bei Lings Biografie des Friedensnobelpreisträgers, die soeben auf Deutsch erschienen ist. Eigentlich schreibe er an der Biografie bereits seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz, also seit 21 Jahren, sagt er. Nun hat er das Buch ganz schnell fertig bekommen. Bei Ling zeichnet darin das Leben Liu Xiaobos anhand eigener Erinnerungen nach, zitiert aus den Schriften Lius und stützt sich auf Berichte von gemeinsamen Bekannten. Vieles, was in dem Buch steht, konnte man bereits hier und da in Zeitungen lesen, doch zum ersten Mal ist es so umfassend zusammengetragen.

Vom störrischen Intellektuellen zum Diplomaten

Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo (Foto: riva-Verlag)
Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu XiaoboBild: RIVA

Als 1989 die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens begannen, hielten die beiden sich zeitgleich in New York auf. Kurz bevor die Proteste niedergeschlagen wurden, flog Liu Xiaobo zurück nach Peking, Bei Ling blieb in New York. Liu begann kurz vor der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens einen Hungerstreik und wurde zu einem späten Wortführer der Proteste. Als die Panzer dann auf den Platz zurollten, verhandelte er mit Studentenführern und Militär gleichermaßen und überredete die Studenten in letzter Minute, abzuziehen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Der störrische Intellektuelle wurde in dieser Nacht zum Diplomaten, dennoch ließ ihn die chinesische Regierung anschließend einsperren. Auch dafür hat ihn das Nobelpreiskomitee jetzt ausgezeichnet.

Auch später suchte Liu Xiaobo immer wieder den Dialog mit dem Regime, selbst wenn dieses kaum bereit war, darauf einzugehen. Dreimal saß er seit 1989 im Gefängnis. Laut Urteil hat er dieses Mal noch zehn Jahre abzusitzen. "Ich habe keine Feinde", hatte Liu Xiaobo dennoch in seinem Schlussplädoyer vor Gericht gesagt und selbst seinen Gefängniswärtern Respekt gezollt. Liu, der als Intellektueller so unnahbar auftreten konnte, habe gleichzeitig immer auch eine unkomplizierte, volkstümliche Seite gehabt, sagt Bei Ling. "Er findet mit allen und jedem eine gemeinsame Sprache. Er setzt sich auch mit Polizisten hin und spielt Karten."

Keine Feinde? Gegner!

Der Aktivist Wei Jingsheng sieht Liu Xiaobo eher kritisch (Foto: AP)
Der Aktivist Wei Jingsheng sieht Liu Xiaobo eher kritischBild: AP

Lius Kompromissbereitschaft und sein Verständnis für seine Peiniger geht vielen Oppositionellen zu weit. "Er sagt, er habe keine Feinde. Aber er hat unter Chinas Oppositionellen doch einige Gegner", glaubt Bei Ling. Dazu zählt er den Aids-Aktivisten Hu Jia oder den verschollenen Anwalt Gao Zhisheng. Auch einige exil-chinesische Oppositionelle wie der langjährige Demokratie-Aktivist Wei Jingsheng haben sich öffentlich von Liu Xiaobo distanziert. Einige von ihnen hatten sich im Vorfeld in einem offenen Brief sogar gegen die Verleihung des Friedensnobelpreises gewandt. Sie nehmen Liu Xiaobo bis heute übel, dass er Anfang der neunziger Jahre im Gefängnis dem Druck nachgab und eine Selbstbezichtigung schrieb. Wenn Liu Xiaobo eines Tages aus dem Gefängnis entlassen werde, werde er wohl noch einige Anfeindungen erleben, prophezeit Bei Ling. "Denn auch seine Gegner haben in der chinesischen Gesellschaft durchaus großes Gewicht."

Bei Ling selbst kehrte erst einige Jahre nach dem Massaker nach China zurück. Im Jahr 2000 geriet er in Konflikt mit der Staatsmacht und wurde ins Ausland abgeschoben. Gemeinsam mit Liu Xiaobo und einigen anderen gründete er den unabhängigen chinesischen PEN-Club. Liu Xiaobo war vier Jahre lang dessen Vorsitzender, in dieser Zeit gerieten die beiden mehrmals aneinander, in welt- wie auch in organisationspolitischen Fragen. Dennoch betont Bei Ling heute, hätten beide immer offen miteinander diskutiert: "Wir sind doch Freunde."

"Der Freiheit geopfert", erschienen im riva Verlag, München, 364 S. 19.95

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Thomas Latschan