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Arbeitssklaven ohne Rechte

9. Dezember 2010

Aus den ehemaligen Sowjetrepubliken drängen jährlich Millionen Arbeitsmigranten nach Russland. Die Wirtschaftslage in ihren Heimatländern ist katastrophal. Deshalb übernehmen sie noch die schlechtesten Jobs.

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Ein Mann arbeitet am Straßenrand (Foto: Roman Schell)
Kaum Rechte, kaum Geld: illegale GastarbeiterBild: DW

Russland ist das zweitgrößte Gastarbeiterland weltweit. Das Riesenreich zog laut einer aktuellen Studie der Weltbank im vergangenen Jahr 12,3 Millionen Arbeitsmigranten an. Unabhängige russische Experten sprechen von über zehn Millionen Arbeitskräften aus dem Ausland. Die Regierung geht von lediglich fünf Millionen aus.

Ins Ausland aus Not

Drei Männer machen auf dem Bau Mittagspause (Foto: Roman Schell)
In ihrer Heimat können sie kein Geld verdienenBild: DW

Die Arbeitsimmigranten kommen vor allem aus Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien, aus der Republik Moldau und aus der Ukraine. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die Wirtschaften dieser Länder kaum Fahrt aufgenommen. Tadschikistan zum Beispiel gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein Drittel der Großbetriebe des Landes ist veraltet oder steht still. Mehr als 700.000 Tadschiken brechen jedes Jahr nach Russland auf, um dort Geld zu verdienen. 2009 überwiesen sie fast zwei Milliarden US-Dollar an ihre Familien - das macht 39 Prozent des Bruttosozialprodukts Tadschikistans aus.

In Kirgisien, Georgien und der Republik Moldau belaufen sich die Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten auf rund 20 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Die verarmten Ausländer nehmen in Russland jeden Job an: Sie arbeiten als Bauarbeiter, Straßenfeger, Gärtner oder Handwerker. Meist ist das Knochenarbeit mit einem bis zu vierzehn Stunden langen Arbeitstag. Dafür bekommen sie umgerechnet durchschnittlich 300 Euro im Monat. Einen Großteil des Lohns müssen die Migranten für Unterkunft und Essen ausgeben. Und dennoch schaffen sie es, ihre Familien in den Heimatländern finanziell zu unterstützen.

Leben im Schatten

Männer arbeiten auf einer Baustelle (Foto: Roman Schell)
Sie übernehmen fast jeden Job, weil sie keine Wahl habenBild: DW

Die meisten Migranten führen in Russland ein Leben in der Illegalität. Für das Jahr 2009 waren im Land 1,3 Millionen Arbeitsgenehmigungen für Ausländer vorgesehen. Wegen der Wirtschaftskrise hat die Regierung die Zahl der Arbeitsgenehmigungen noch reduziert, um die eigene Bevölkerung zu schützen. Die Welle der Arbeitsnomaden aus den GUS-Staaten hat indes nicht nachgelassen. Es ist einfach für sie, nach Russland zu kommen: Für die ersten drei Monate benötigen GUS-Bürger kein Visum.

Die Illegalen haben praktisch keine Rechte. Entsprechend oft werden sie Opfer von Betrug. Gawchar Dschurajewa, die Chefin der Menschenrechtsorganisation "Migration und Gesetz" in Moskau, spricht von "freiwilliger Sklaverei". Die Arbeiter würden von Vermittlern in Tadschikistan eingekauft. "Man verspricht den Migranten Berge aus Gold. In Russland werden sie dann an die nächsten Vermittler weiterverkauft. Sie werden praktisch zu Sklaven, weil sie von den Vermittlern abhängig sind. Die nehmen ihnen oft die Pässe ab, bis alle Schulden bezahlt sind", so Dschurajewa. Die Chefin des Moskauer Menschenrechtszentrums "Memorial", Swetlana Gannuschkina, spricht von einer "systematischen Hatz" der Miliz auf die Gastarbeiter. Jahr für Jahr werden bis zu 500.000 Arbeitsimmigranten aus Russland deportiert. Ein Einreiseverbot für fünf Jahre ist die Folge. Nicht selten werden die Arbeitsmigranten deswegen bei Passkontrollen von der Miliz erpresst.

Verhasste Ausländer

Ein Mann, der zusammengeschlagen wurde (Foto: Mitarbeiter des Menschenrechtszentrum Migration und Gesetz in Moskau)
Opfer von rechter GewaltBild: DW

Sie sind aber nicht nur Freiwild für korrupte Beamte, sondern werden auch von russischen Neonazis gejagt. Pro Jahr werden in Russland bis zu 600 Überfälle auf Ausländer registriert. Jeder sechste Fall endet tödlich.

Dabei ist Russland auf die Arbeitsmigranten aus dem GUS-Raum angewiesen. Demographie-Experten gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren die Zahl der arbeitenden Bevölkerung im Land um zwölf Millionen schrumpfen wird - das sind 17 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Wladimir Mukomel, Soziologe an der russischen Akademie der Wissenschaften, sagt angesichts der alternden Bevölkerung: "Die Arbeitsimmigranten aus dem postsowjetischen Raum sind die einzige Alternative für das Land."

Autor: Roman Schell
Redaktion: Daniel Scheschkewitz / Julia Kuckelkorn