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Krawall in Haiti

8. Dezember 2010

In Haiti ist es nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentenwahl zu schweren Ausschreitungen gekommen. Das von einem Erdbeben, der Cholera und großer Armut ausgezehrte Land steckt in einer tiefen Krise.

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Polizisten mit Gewehren (Foto: ap)
Die Polizei war mit Gewehren im Anschlag im EinsatzBild: AP

Tausende Menschen gingen am Dienstagabend und am Mittwoch (08.12.2010) in mehreren Städten Haitis auf die Straßen und machten ihrem Ärger über die Niederlage ihres Präsidentschaftskandidaten Michel Martelly Luft. Martelly ist als Karnevalsänger "Sweet Micky" in dem Karibikstaat sehr populär.

Demonstranten errichteten nach Augenzeugenberichten in mehreren Vororten der Hauptstadt Port-au-Prince brennende Barrikaden aus Reifen und Steinen. Es kam zu teils gewalttätigen Ausschreitungen. Auch Schüsse sollen gefallen sein. Aufgebrachte Demonstranten hätten das Hauptquartier der Regierungspartei angezündet, heißt es in den Berichten weiter.

In Petionville nahe der Hauptstadt seien hunderte vermummte Jugendliche auf die Straßen gegangen und hätten unter anderem Geschäfte angezündet. Nach Angaben des Senders Signal FM griff die Polizei ein, um die Proteste zu beenden.

Richardson Dumele, Vorsitzender der Wahlkomission (unten li.) gibt die Ergebnisse vor Journalisten bekannt (Foto: ap)
Mit Spannung war die Bekanntgabe des Wahlergebnisses erwartet wordenBild: AP

Populärer Sänger-Kandidat scheidet aus

Die Wahlbehörde hatte zuvor mitgeteilt, dass Martelly als Drittplatzierter aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausgeschieden sei. Der Behörde zufolge führen nach dem ersten Wahlgang die Rechtsprofessorin Mirlande Manigat und der Kandidat von Präsident René Préval, Jude Celestin. Auf Manigat, die 70-jährige Frau des ehemaligen Präsidenten Leslie Manigat, entfielen demnach 31,37 Prozent der Stimmen, auf Celestin 22,48 Prozent. Beide sollen im Januar in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Martelly landete nach Angaben der Wahlbehörde mit 21,89 Prozent nur knapp hinter Celestin. Den offiziellen Zahlen zufolge trennten Martelly nur knapp 7000 Stimmen von Celestin.

Das Ergebnis war in Haiti mit höchster Spannung erwartet worden. Seit dem Wahlsonntag vor eineinhalb Wochen kam es mehrfach zu Protesten. Die Demonstranten warfen der Regierung des scheidenden Präsidenten René Préval vor, die Wahlen zugunsten seines Zöglings Celestin gefälscht zu haben.

USA: Verhelfen Haiti zu seinem Recht

Auch die amerikanische Botschaft in Haiti äußerte Zweifel am Wahlergebnis. Der zweite Platz für den Regierungskandidaten Celestin stimme nicht mit Ergebnissen überein, die der Nationale Wahlbeobachtungsrat (CNO) veröffentlicht habe. Dieser Rat wird von der EU finanziell unterstützt, er hatte 5500 Beobachter bei der Wahl im Einsatz. Nach Einschätzung des CNO kam Celestin nur auf den dritten Platz.

In einer am Dienstagabend veröffentlichten Mitteilung sicherte die US-Botschaft den Haitianern die Unterstützung der USA zu. "Das Ergebnis entspricht nicht den Berechnungen der Wahlbeobachter", hieß es darin. "Die USA und die internationale Gemeinschaft sind bereit, die Resultate der Wahl genau zu überprüfen und dem haitianischen Volk zu ihrem Recht zu verhelfen."

Die Präsidentenwahl war von Chaos, Betrug und Gewalt überschattet worden. Bei der Auszählung wurden manipulierte Strichlisten entdeckt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die Probleme mit der Wahl seien schlimmer als erwartet gewesen. UN-Friedenssoldaten und die Organisation Amerikanischer Staaten / Karibische Gemeinschaft (OAS-Caricom) erklärten aber trotzdem, die Probleme machten die Wahl nicht ungültig.

Die Stichwahl soll am 16. Januar stattfinden. Zunächst läuft aber bis zum 20. Dezember eine Frist, in der Einsprüche gegen das vorläufige Ergebnis vorgebracht werden können.

Polizisten im Einsatz (Foto: ap)
Wieviele Krawallmacher die Polizei festnahm, war unklarBild: AP

Etappen des Abstiegs

Die einst reiche französische Kolonie Haiti ist durch politisches und wirtschaftliches Missmanagement, aber auch durch Naturkatastrophen zum Armenhaus Zentralamerikas geworden. Vier Fünftel der zehn Millionen Einwohner verfügen über weniger als zwei US-Dollar am Tag. Selbst Grundnahrungsmittel sind für viele Menschen unbezahlbar. Die Kindersterblichkeit ist hoch.

Das Erdbeben am 12. Januar 2010 kostete rund 230.000 Menschen das Leben. Mehr als 310.000 Menschen wurden verletzt, mindestens 1,2 Millionen obdachlos. Die Schäden wurden auf fast sechs Milliarden Euro geschätzt.

Im Oktober brach erstmals seit hundert Jahren die Cholera in Haiti aus. Seit Ausbruch der Krankheit sind bereits mehr als 2100 Menschen daran gestorben, über 90.000 wurden infiziert, wie das haitianische Gesundheitsministerium am Montag mitteilte. Internationale Gesundheitsexperten rechnen damit, dass sich in den kommenden zwölf Monaten bis zu 400.000 Menschen infizieren könnten.

Autor: Martin Schrader (afp, dapd, dpa)
Reaktion: Eleonore Uhlich