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Bitterer Kaffee

8. Dezember 2010

Im Iran gilt kein Urheberrecht, jeder darf sich bedienen, kopieren und weiter vermarkten. Ausgerechnet eine regimekritische Satire des Regisseurs Mehran Modiri löst jetzt ein Umdenken aus.

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Szenenbild aus der Serie "Bitterer Kaffee" (Foto: DW)
Anspielung auf aktuelle iranische Politik: Die Serie "Bitterer Kaffee"Bild: ghahvetalkh.net

Eigentlich wollte Nima nur einen bitteren Kaffee trinken. Doch auf wundersame Weise beförderte er sich damit ins Delirium und erwachte 200 Jahre vor seiner Geburt am Palast des persischen Kadscharenkönigs kurz vor seiner eigenen Hinrichtung. Kurz vor der Vollstreckung entdeckt der König jedoch, dass Nima über spezielles Wissen verfügt und so darf er seinen Kopf vorerst behalten. In weiteren Folgen der iranischen Serie "Bitterer Kaffee" wird sich der zeitreisende Geschichtsprofessor immer wieder fragen, ob er tatsächlich persische Geschichte oder nur Satire erlebt.

Eigentlich wollte der Regisseur Mehran Modiri die 90 Folgen seiner Serie im iranischen Staatsfernsehen ausstrahlen lassen, weil Modiri und die Programmchefs sich über die Finanzierung jedoch uneinig waren, wurde die Serie nicht gesendet. So die offizielle Begründung. Tatsächlich jedoch sind die Anspielungen auf das aktuelle politische Geschehen im Iran unübersehbar. Inoffiziell heißt es, der Inhalt sei problematisch gewesen. Ezat-allah Zarghami, Leiter des iranischen Rundfunks, sagt schmallippig, man habe die Serie nicht mit produziert und billige sie in keiner Weise.

Zuschauer zum Bezahlen gebracht

Szene aus der Serie "Bitterer Kaffee" (Foto: DW)
Mehrere Millionen Zuschauer hat die Serie inzwischen erreichtBild: http://www.ghahvetalkh.net


Dass die Iraner nun aber jeweils drei Folgen des "Bitteren Kaffees" für knapp zwei Euro wöchentlich auf DVDs kaufen und nicht - wie sonst üblich - kopieren oder im Internet herunterladen, liegt am Regisseur selbst. Normalerweise kann jeder im Iran alles kopieren und weiterverkaufen; das Urheberrecht wird sogar von staatlicher Seite missachtet.

Doch dann hatte der Filmemacher Mehran Modiri die Iraner wirkungsvoll dazu aufgerufen, das Urheberrecht seiner Serie zu achten: "Meine Lieben! Wenn ihr bedenkt, wie hart wir für diese Serie gearbeitet haben, werdet ihr verstehen, wie unmenschlich es ist, sie einfach zu kopieren!" Eindringlich bat Modiri die Iraner: "Kauft nur das Original!"

Und allem Anschein nach kommen die Iraner seiner Bitte nach. Allein am ersten Tag kauften sie mehr als 500.000 Original-DVDs. Dass mehrere Millionen Zuschauer für etwas Geld ausgeben, was sie problemlos auch gratis von Freunden kopieren oder im Internet herunterladen könnten, erklärt Shahrivar Siami, Filmkritiker der größten iranischen Oppositionszeitung "Eetemad", so: "Die Menschen unterstützen Modiri auch, weil es sich um die erste Serie im Iran handelt, die nicht vom Staatsfernsehen produziert und finanziert wurde. Das zeigt, dass das Monopol des staatlich kontrollierten Rundfunks gebrochen werden kann."

Szene aus der Serie "Bitterer Kaffee" (Foto: DW)
Die Geschichte der Serie spielt in der KadscharenzeitBild: ghahvetalkh.net


Warum lohnt es sich, einen Film zu kaufen?

In diesem neuen Verständnis für den Wert von Filmproduktionen liegt Siamis Ansicht nach ein großes Potential für den iranischen Film. "Die Leute entwickeln gerade ein Bewusstsein dafür, dass es sich lohnt, für Filmproduktionen des privaten Sektors Geld auszugeben, weil sie so viel hochwertiger sind als die staatlich finanzierten Filme und Serien."

Wie das Onlinenachrichtenportal "gooyanews" berichtet, hat die Serie bereits im ersten Monat alle Verkaufsrekorde von iranischen Filmen und Serien gebrochen. Auch in Internetforen erhält der Regisseur viel Lob für seine Serie: "Sie bringt zum ersten Mal auf den Punkt, was sonst nicht so gesagt werden darf. Kein Wunder, dass sie nicht im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde", schreibt der Zuschauer Ahmad. Wöchentlich verfolgt er, wie viele Millionen Iraner, die weiteren Erlebnisse des frustrierten Geschichtsprofessors Nima bei seiner ungewollten Zeitreise. Am Hofe des persischen Kadscharenkönigs lauscht Nima den Unterhaltungen und nimmt an Zeremonien teil. Durch seine Augen sehen die Zuschauer die in ebenso komödiantischer wie feinsinniger Weise entlarvte Selbstbezogenheit und Verlogenheit der damaligen Gesellschaft. Doch es handelt sich dabei nur vordergründig und eine historische Komödie, meint Siami: "Die aktuelle politische Lage ähnelt der der Kadscharenzeit sehr. Deshalb sind die Anspielungen auf aktuelle Politiker so offensichtlich."


Verdächtige Parallelen zur Gegenwart

Tatsächlich kursieren schon Bilder und Videos im Internet, auf denen aktuelle Politiker mit ihrem Serien-Pendant abgebildet sind. So ähnelt beispielsweise der opportunistische Berater des Königs nicht nur seinem Äußeren nach dem Berater von Ahmadineschad. Ein wenig subtiler sind Siamis Ansicht nach die gesellschaftlichen Anspielungen: Die Serie setze sich sehr progressiv mit Themen wie Homosexualität oder Frauenemanzipation auseinander. So würden häufig Witze über Männer gemacht, die nicht verstehen wollten, dass ihre Frauen ein Recht darauf hätten zu studieren und zu arbeiten. Siami, früher selbst Regisseur für das iranische Staatsfernsehen, ist überzeugt, dass die Iraner diese Themen viel spannender finden, "als unentwegt Serien über traditionelle Hochzeitsvorbereitungen nach dem altbekannten Muster sehen zu müssen."

Sezene aus der Serie "Bitterer Kaffee" (Foto: DW)
Spannender als traditionelle Serien: "Bitterer KaffeeBild: http://www.ghahvetalkh.net

Laut Berichten von iranischen Onlinediensten sind die Zuschauerzahlen im Staatsfernsehen IRIB deutlich gesunken, seitdem die Serie auf den Bazaren kursiert. Bislang wurden mehrere Millionen Originalexemplare der Serie gekauft. Jede verkaufte DVD zeugt nicht nur von einem Protest gegen die Kulturpolitik des staatlich kontrollierten Fernsehens, sondern auch von einem neuen Bewusstsein der Iraner für das Urheberrecht.

Für Shahrivar Siami bedeutet das langfristig eine Aufwertung des Kulturbetriebs, weil die Iraner in Zukunft willens sein werden, für Filme und Serien Geld auszugeben. Doch er warnt gleichzeitig auch davor, dass die Comedy von der Regierung vereinnahmt werden könnten: "Da Ahmadineschad um die Möglichkeiten der Propaganda weiß, wird er längerfristig auch auf ähnliche Comedyserien zurückgreifen, um seine politischen Überzeugungen mehr oder weniger humorvoll zu transportieren." Doch mit der Unterstützung der Bevölkerung, glaubt Siami, könnten privat finanzierte Serien im Stile des "Bitteren Kaffees" sich künftig dieser Propaganda widersetzen.

Autorin: Stephanie Rohde

Redaktion: Ina Rottscheidt