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Die Risiken wären größer als der Nutzen

3. Dezember 2010
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Themenbild Pro und Contra (Grafik: DW)
Bild: DW

Müssen wir unser politisches System reformieren und direktere Formen der politischen Beteiligung zulassen? Ich meine Nein, die Risiken wären größer als der Nutzen. Ein Blick auf die beiden Modelle, in denen direkte Demokratie praktiziert wird, zeigt, warum.

Im US-Bundesstaat Kalifornien wird jede noch so kleine Politikentscheidung durch kurzfristig angesetzte Referenden entschieden, während das Parlament als eigentlicher Gesetzgeber fast schon zu Bedeutungslosigkeit verkommen ist. Entscheidend für das Votum in Fragen der kalifornischen Politik ist der bessere Lobbyismus - bezahlte Fernsehspots entscheiden über den Ausgang der Volksabstimmungen, während Fachkompetenz und der kritische Dialog der Bürger meist auf der Strecke bleiben.

Ähnliche Pervertierungen erleben wir zurzeit in der Schweiz. Im Mutterland der direkten Demokratie klafft ein deutlicher Widerspruch zwischen Volkes Meinung und dem verbrieften Menschen- und Völkerrecht. Dies zeigte sich sowohl bei der Volksabstimmung über den Bau von Minaretten wie beim jüngsten Entscheid über die Abschiebung von kriminell gewordenen Ausländern. In beiden Fällen hat der Populismus rechtskonservativer Kräfte über gültige internationale Rechtsnormen gesiegt.

Aber zurück nach Deutschland. Wer hätte eigentlich in einem Bürgerentscheid über das Bahnprojekt "Stuttgart 21" das Sagen haben sollen? Die Bewohner der Landeshauptstadt, die Bevölkerung Baden-Württembergs oder alle Deutschen, die die Bahn als Verkehrsmittel benutzen? Unser Rechtsstaat und die im Grundgesetz verankerte Form der repräsentativen Demokratie bieten dem Bürger genügend Beteiligungsmöglichkeiten: von der Teilnahme an Wahlen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene über das Engagement in Parteien bis hin zum Volksbegehren oder dem juristischen Klageweg.

Das Problem liegt weniger in den mangelnden Rechten der Bürger als vielmehr in einem subjektiv empfundenen Gefühl: Das in einer globalisierten Welt die Politik zunehmend an Gestaltungsmöglichkeiten verliert und rein wirtschaftliche Interessen den Ausschlag geben. Diesen Widerspruch aufzulösen muss Anliegen moderner Politik sein. Direkte Formen der Demokratie mögen da manchmal hilfreich sein, ein Patentrezept sind sie wohl kaum.

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Kay-Alexander Scholz