1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bildung boomt

6. Dezember 2010

2,2 Millionen Studenten - noch nie haben an deutschen Unis so viele junge Leute studiert wie heute. Bis 2013 sollen es noch eine Million mehr sein. Darauf sind die Unis nicht vorbereitet. Sie brauchen mehr Geld.

https://p.dw.com/p/QOFP
Studierende der International University Bremen (IUB) verfolgen die Zeremonie zur Übergabe ihrer Abschlüsse (Foto: dpa)
Bild: dpa

Bis Weihnachten dauert es noch ein paar Wochen. Doch die evangelische Auferstehungskirche in Kassel ist so voll wie in einem Familiengottesdienst am Heiligabend. Allerdings fehlen die Kinder und auch die Eltern. Statt dessen sitzen lauter junge Leute auf den Kirchenbänken und schreiben mit, was ihnen von der Kanzel verkündigt wird. Und das sind keine Predigten, sondern wissenschaftliche Abhandlungen. Denn seit diesem Semester dient die Kirche als Hörsaal der Universität Kassel.

Vorlesung in der evangelischen Auferstehungskirche in Kassel (Foto: Patrick Brückel)
Eine Kirche als HörsaalBild: Universität Kassel/Patrick Brückel

"Wir haben in diesem Jahr so viele neue Studenten, dass unsere Hochschulräume nicht mehr reichen", erklärt Marion Schomburg, Leiterin des Referats für Studium und Lehre an der Uni Kassel. Auf harten Kirchenbänken sitzen zu müssen, begeistert die meisten Studierenden nicht. Beschwerden gab es trotzdem keine. "Die Studenten wissen ja, dass es nur eine Übergangslösung ist, bis wir 2013 ein neues Unigebäude haben", sagt Marion Schomburg.

Studentenflut im Westen, Ebbe im Osten

So wie in Kassel sieht es zur Zeit an vielen deutschen Hochschulen aus. Um fünf Prozent sind die Studierendenzahlen in diesem Jahr gestiegen – und haben für überfüllte Hörsäale, lange Warteschlangen in den Mensen und Zimmerknappheit in den Wohnheimen gesorgt. Besonders betroffen vom Studentenboom sind die Unis in Berlin und Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die ostdeutschen Hochschulen dagegen klagen nach wie vor über zu wenige Erstsemester.

Die Universität Greifswald (Foto: Uni Greifswald)
Sollte beliebter sein: Universität GreifswaldBild: Universität Greifswald

"Wir können nur allen Studierenden raten, sich auch die Universitäten im Osten anzusehen", sagt Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, kurz FiBs genannt. "Hier lässt es sich oft sehr gut studieren." Doch auch wenn mehr Studenten an die ostdeutschen Hochschulen strömen würden, reichte das Studienplatzangebot nach Ansicht Dohmens nicht aus. Mit rund einer Million zusätzlicher Studienanfänger rechnet der Leiter des FiBs in den kommenden zehn Jahren.

Studentenboom kostet zwei Milliarden

Ein Grund für den Studentenboom liegt in der Reform des deutschen Schulsystems. Durch die Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium von neun auf acht Jahre werden 2011 bis 2013 doppelt so viele Abiturienten an die Unis strömen. Hinzu kommen noch rund 40.000 zusätzliche Studienanfänger durch die Aussetzung der Wehrpflicht. "Außerdem stellen wir fest, dass immer mehr Menschen berufsbegleitend studieren", sagt Dohmen. "Und das wird sicher auch so in Zukunft bleiben." Erst gerade hat das FiBs neue Zahlen veröffentlicht, wonach bis 2013 die Zahl der Studienanfänger auf insgesamt 464 000 ansteigen soll. In diesem Jahr haben bereits rund 430 000 ein Studium begonnen.

Studienanfänger sitzen in einem Hörsaal der Universität Kassel (Foto: dpa)
Überfüllter Hörsaal in KasselBild: AP

Für den Leiter des FiBs ist klar, dass die Universitäten ihr Studienplatzangebot stärker ausweiten müssen als bisher angenommen. In zwei Hochschulpakten hatten die Bundes- und Länderregierung vor einigen Jahren vereinbart, dass bis zum Jahr 2015 rund 275.000 neue Studienplätze geschaffen werden sollten. Viel zu wenig, wie sich nach den neuen Berechnungen herausstellt. Die Rektorin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, fordert nun zwei Milliarden Euro mehr pro Jahr für die deutschen Hochschulen.

Neue Wege der Finanzierung suchen

"Wenn bei Bund und Ländern die Bereitschaft zur Finanzierung nicht besteht, müssen die Hochschulen ihre Zulassungsbeschränkungen verschärfen", warnt Margret Wintermantel. Denn schon heute sei die finanzielle Situation an vielen Universitäten prekär. Sie bekämen weniger staatliche Gelder als früher, müssten aber Tarifsteigerungen bei ihren Angestellten und wachsende Pensionslasten aus eigener Kraft aufbringen. In einigen Bundesländern sei zudem die Abschaffung oder Senkung der Studiengebühren beschlossen worden.

Dr. Dieter Dohmen, Gründer des FiBS
Dieter DohmenBild: FiBS

"Wir müssen mehr Geld in unsere Hochschulen stecken", betont auch Dieter Dohmen. Er schlägt aber vor, dabei nicht nur auf öffentliche Gelder zu setzen. "Wir sollten über Modelle wie eine Akademikerabgabe nachdenken." Danach müsste jeder Akademiker in Deutschland bei Eintritt ins Berufsleben einige Jahre rund sechs Prozent seines Einkommens für die Hochschulen spenden. "Wir sind ein Land, das von seinen Fachkräften und der Qualifikation seiner Menschen lebt", betont Dohmen. "Jeder Cent, den wir in Bildung investieren, rechnet sich."

Autorin: Sabine Damaschke

Redaktion: Gaby Reucher