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Mädchenhandel auf dem Balkan

1. Dezember 2010

Auf dem Balkan werden junge Mädchen Opfer von Frauenhandel. Wer den Opfern helfen will, lebt gefährlich. So auch Mara Radovanovic aus Bosnien, die ein Frauenhaus betreut, in dem diese Mädchen Zuflucht finden.

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Mädchen sitzt in der Schulbank und schreibt in ein Heft (Foto: Fotalia)
Beliebte Opfer - SchülerinnenBild: Fotolia/Jaimie D. Travis

Sogar 12-jährige Schülerinnen aus gutem Hause werden in Bosnien zur Prostitution gezwungen. Die Zuhälter spionieren sie im Vorfeld aus und finden heraus, wen das Mädchen am meisten aus seiner Familie liebt. Dann drohen sie der Schülerin, genau diese Person zu ermorden, wenn sie sexuelle Dienste verweigert, erzählt Mara Radovanovic von der Frauenorganisation LARA aus Bosnien, die heute von der Internationalen Organisation CARE unterstützt wird. Sie hat ein Netzwerk gegen Menschenhandel gegründet und betreut die Opfer in einem Frauenhaus, das sich an einem geheimen Ort in Bosnien befindet.

Hochrangige "Freier"

Schatten eines stehenden Mannes und eines auf einem sitzenden Mädchen vor beleuteter Hauswand (Foto: AP)
Freier auch unter LehrernBild: AP

Andere Mädchen werden unter Drogen gesetzt und bei Orgien in Motels missbraucht. Die Kriminellen filmen das ganze und drohen den Minderjährigen, die Videos ins Internet zu stellen. Aus Angst vor öffentlicher Demütigung schweigen die Opfer dann. Und an diesen Verbrechen sind in Bosnien sogar vermeintliche "Leistungsträger" der Gesellschaft beteiligt, betont Radovanovic.

So sei eines der letzten Opfer in ihrem Frauenhaus ein Roma-Mädchen von 15 Jahren aus einer Kleinstadt bei Srebrenica. "Sie wurde von Lehrern und lokalen Polizisten missbraucht. Sogar der bosnische Minister für Sicherheit war an diesen Verbrechen beteiligt", erzählt Radovanovic. Das Mädchen habe gegen den Minister ausgesagt - direkt im Frauenhaus.

Die Folge bekam das Frauenhaus auch direkt zu spüren. "Davor hat uns das Ministerium für innere Sicherheit finanziell unterstützt, aber seit diesem Zeitpunkt bekommen wir keine Hilfe mehr - das ist für uns ein großes finanzielles Problem", so Radovanovic. Sie hofft nicht mehr auf Gelder von diesem Ministerium, solange besagter Politiker noch im Amt ist.

Er hatte zwar behauptet, sich mit dem Roma-Mädchen getroffen zu haben, um ihr ein Stipendium für die Schule zu geben. Weil die Jugendliche aber ein fotografisches Gedächtnis hat, konnte sie der Polizei alle Details aus dem Auto des Ministers beschreiben. Damit konnte sie beweisen, dass er sie wirklich in sein Auto gelockt hat - wohl kaum zu Bildungszwecken.

Neuer Trend

Oberkörper einer Frau im BH, in dem Geldscheine stecken (Foto: dpa)
Bosnische Mafiosi entdecken neue GeldquelleBild: dpa

Das Rekrutieren von einheimischen Minderjährigen sei ein neuer "Trend" der bosnischen organisierten Kriminalität. Sie wollen sich auch am lukrativen Geschäft Frauenhandel beteiligen, erklärt Radovanovic. Bis 2005 waren die Opfer vorwiegend ausländische Mädchen und Frauen aus ganz Osteuropa, die von Menschenhändlern mit vermeintlichen Jobangeboten im Westen angelockt wurden.

Statt in Deutschland als Babysitter oder Kellnerin zu arbeiten, wurden sie dann in Balkanstaaten wie Bosnien verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen. Dank der Aufklärungsarbeit von wenigen mutigen Menschen rückte dieses Problem immer mehr in die Öffentlichkeit. Heute sind bosnische Grenzbeamte und Polizisten besser geschult, um die Opfer zu identifizieren. Auch deshalb ist die Zahl der ausländischen Opfer in Bosnien geringer geworden.

Lebensgefährlicher Kampf

Schattengestalten fliehen vom Fadenkreuz (Foto: Picture Alliance/Chomorange)
Helfer im Fadenkreuz der MafiaBild: picture-alliance / chromorange

Hilfe kann diesen Frauen und Mädchen nur zuteil werden, wenn sich der Staat einmischt, sagt Radovanovic. "Am wichtigsten ist es, unsere Regierung zu zwingen, die Ressourcen für die Rehabilitation dieser Opfer bereitzustellen - zum Beispiel mit Stipendien für die Schulbildung, denn sonst kann ihnen nicht langfristig geholfen werden", betont die Aktivistin.

Die bosnische Regierung beharrt auf einem einzigen Argument: diese Gelder seien nicht vorhanden. Doch Mara Radovanovic kämpft weiter für die Opfer - obgleich sie mit Drohungen von bosnischen Mafiosi überschüttet wird. Es sei jedoch kaum möglich, sie zu schützen, meint Radovanovic.

Zwar wird ihre Organisation von der Europäischen Polizei und Organisationen wie der OSZE unterstützt. Doch um den Mädchen tatsächlich helfen zu können, muss sie oft schweigen: "Am wichtigsten ist Folgendes: Wir sind uns bewusst, dass es Kriminelle gibt, die sehr schnell bereit wären, jemanden umzubringen. Sogar wenn wir Beweise gegen sie haben, behalten wir dieses Wissen für uns. Es ist die beste Möglichkeit, uns zu schützen - denn alles andere wäre der sichere Tod."

Autorin: Alexandra Scherle

Redaktion: Mirjana Dikic / Fabian Schmidt