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Wahlkampf in Taiwan

22. November 2010

Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, wo man Chinesisch spricht und demokratische Wahlen abhält. Taiwan ist einer davon. Seit Wochen kämpfen dort die Kandidaten um Stimmen für die Regionalwahl.

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Wahlplakate an Hauswänden in Taipeh. Foto: Klaus Bardenhagen
Die politischen Lager werben leidenschaftlich um StimmenBild: Klaus Bardenhagen

Wer am Samstag (27.11.2010) in Taiwan gewählt werden will, muss auffallen. Nachwuchspolitiker und alte Hasen, Amtsinhaber und Herausforderer prägen seit Wochen das Straßenbild. Sie strahlen von fassadengroßen Plakaten, von Bussen und flatternden Fähnchen. Die Herren mit tatkräftig geballter Faust, die Damen meist milde lächelnd. Darunter chinesische Schriftzeichen wie: Fleißig. Ehrlich. Pflichtbewusst.

Wer es sich leisten kann, schickt Lautsprecherwagen durch die Straßen, die von früh bis spät ihre Botschaften verbreiten. Schon früh morgens tönt es dann etwa: "Bitte wählen Sie Hong Jian-yi, Kandidat Nummer Sechs für den Stadtrat von Taipeh. Dankeschön."

Politische Spaltung als Erbe der Diktatur

Wahlplakate an Hauswänden in Taipeh. Foto: Klaus Bardenhagen
Haushohe Plakate werben für die KandidatenBild: Klaus Bardenhagen

Taiwans Gesellschaft ist in zwei Lager gespalten, was sich auch an der Wahlwerbung zeigt. Ist das Plakat blau-rot gehalten, wirbt es für die Regierungspartei KMT, oder Kuomintang - übersetzt: Chinesische Nationalistische Partei. Es ist die frühere Partei des Diktators Chiang Kai-shek, der im Kalten Krieg davon geträumt hatte, von Taiwan aus das kommunistische Festland zurückzuerobern. Nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg war die KMT 1949 samt Armee nach Taiwan geflohen, das noch bis 1945 japanische Kolonie gewesen war.

Wer grün als dominante Farbe wählt, wie Kandidat Nummer Sechs Hong Jian-yi, gehört zur Opposition. Die Demokratische Fortschrittspartei, DPP, wurde von Demokratie-Aktivisten gegründet, als die KMT Taiwan noch per Kriegsrecht regierte. Seitdem hat sich viel geändert. Taiwan ist seit Mitte der neunziger Jahre eine echte Demokratie mit freien Wahlen.

Demokratie ist gesellschaftlicher Konsens

Menschen an Wahlurnen bei Wahl 2008. Foto Klaus Bardenhagen
Demokratie ist gesellschaftlicher Konsens: Stimmabgabe in einem Wahllokal bei der Präsidentenwahl 2008Bild: Klaus Bardenhagen

"Man schätzt die Demokratie hier und man schätzt die Chance, sich an dem Prozess der Demokratie zu beteiligen", sagt Su Tzen-ping. Der Journalist war lange Chef von Taiwans größter Nachrichtenagentur, der Central News Agency (CNA). Heute produziert er politische Talkshows fürs Internet. "Dass die Bürger ihre eigenen politischen Führer wählen können und eine Regierung bilden, die gegenüber den Leuten Verantwortung trägt - ich glaube, das ist schon ein Konsens in der Gesellschaft hier in Taiwan."

Es sind zwar nur Regionalwahlen, die am 27. November anstehen, doch es geht um viel. 60 Prozent der Bevölkerung in den fünf wichtigsten Regionen Taiwans stimmen ab. Es ist quasi eine Midterm Election, ein Stimmungstest für Taiwans KMT-Regierung. Die setzt auf Annäherung an China, vor allem im wirtschaftlichen Bereich.

Bedrohung durch China

Taiwans Präsident Ma-Ying-Jeou (l), Vizepräsident Vincent Siew (r). Foto: Klaus Bardenhagen
Stimmungstest für die Regierung: Taiwans Präsident Ma-Ying-jeou (l), Vizepräsident Vincent Siew (r)Bild: Klaus Bardenhagen

Die Volksrepublik bedroht Taiwans 23 Millionen Einwohner noch immer, auch militärisch, und würde das Land gern vereinnahmen. Für Peking ist Taiwan ein Teil Chinas. Immer mehr Taiwaner aber verstehen sich selbst gar nicht mehr als Chinesen. So wie Hsaio Bi-khim, Politikerin und Wahlkampf-Strategin der Oppositionspartei DPP. "In China herrscht nach wie vor ein autoritäres Regime, das keine abweichenden Meinungen duldet", sagt die 39-Jährige. "Taiwans Politik erscheint manchmal etwas chaotisch, aber wir schätzen die Vielfalt unserer Gesellschaft. Taiwaner fürchten sich nicht davor, ihre Meinung zu sagen."

Weil die Gräben zwischen den politischen Lagern so tief sind und beide Seiten etwa gleich stark, geht es in diesen Wahlen vor allem darum, die unentschiedenen Wechselwähler zu gewinnen, sagt Hsiao Bi-khim. Und die Jungen, die Taiwan von Anfang an nur als Demokratie erlebt haben.

Kandidaten außerhalb des Parteiensystems

Wahlwerbung, Kandidaten-Flyer. Foto: Klaus Bardenhagen
Taiwan hat die Wahl: In jedem Briefkasten landet eine Vorstellung der KandidatenBild: Klaus Bardenhagen

Mit dem Lagerdenken der älteren Generation können gerade die jungen Leute nur wenig anfangen. Und die Dominanz der großen Parteien stört viele fortschrittlich denkende Taiwaner wie Wang Ping. Die hauptberufliche Aktivistin der Schwulen- und Lesbenbewegung, die als Unabhängige für den Stadtrat von Taipeh kandidiert, sagt: "In Taiwan gibt es zwei große Parteien, und jeder weiß, dass alle Ressourcen an die Parteien gehen, nicht an das Volk. Wir wollen uns selbst vertreten. Wir stehen auf und sagen, wir sind die Bürger, wir wollen die Macht und die Ressourcen zurückhaben von den großen Parteien."

In einem basisdemokratischen Bündnis haben sich Interessengruppen für Homosexuelle, Arbeiter, Prostituierte, Behinderte und für Taiwans Ureinwohner zusammengefunden. Wang Ping rechnet zwar nicht damit, dass sie die knapp 10.000 nötigen Stimmen erhält, um gewählt zu werden. Aber dann werde man beim nächsten Mal eben wieder antreten, sagt sie. Vieles ist möglich in Taiwans Demokratie.

Autor: Klaus Bardenhagen
Redaktion: Nicola Reyk