1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Slowakei unter Dzurinda

6. September 2002

- Das Land hat Fortschritte gemacht, doch die Regierung verlor Vertrauen

https://p.dw.com/p/2cbe

Prag, 4.9.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch

Die Slowakei hat unter dem Kabinett Dzurinda deutliche Fortschritte Richtung Europäische Union und NATO gemacht; eine volle Integration in den Westen scheint in Sichtweite. Wirtschaftlich ging es voran: Große Staatsbetriebe wurden privatisiert, der chronisch marode Bankensektor saniert, so zeigt es eine Studie des Osteuropa-Institutes München. Doch bei den Neuwahlen droht der Reformregierung Machtverlust.

Die größte Privatisierung

"Mit dem Verkauf von 49 Prozent der Anteile des staatlichen Gasunternehmens SPP wurde im März dieses Jahres die größte Privatisierung in der Geschichte der Slowakischen Republik vollzogen. Der Erlös von 2,7 Milliarden US-Dollar soll etwa zur Hälfte für die Rückführung der Staatsverschuldung und zur Hälfte für das Rentensystem verwendet werden. Strategischer Investor ist das Konsortium der deutschen Ruhrgas, Gas de France und der russischen Gazprom. Der Mehrheitsanteil von 51 Prozent bleibt Eigentum des slowakischen Staates. Allerdings wird der Kauf aufgrund der Zahlungsschwierigkeit des russischen Erdgasunternehmens zunächst nur von Ruhrgas und Gas de France finanziert. Die Privatisierung von SPP ist zu einem Schlüsselthema in der slowakischen Politik avanciert. Gravierende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition hinsichtlich der Höhe des zu veräußernden Minderheitsanteils sowie der Verteilung der Erlöse haben für Verschiebungen des Verkaufs und eine Krise in der Regierung gesorgt," so heißt es in der Studie des Osteuropa-Institutes.

Zu Verzögerungen infolge politischer Unstimmigkeiten habe auch die Privatisierung des staatlichen Ölpipeline-Betreibers Transpetrol geführt: "Im Dezember 2001 einigte man sich schließlich auf den Verkauf von 49 Prozent der Anteile an das russische Unternehmen Yukos, einen strategischen Investor, der allerdings umstritten ist. Es wird befürchtet, dass der russische Ölproduzent eine Diversifikation zu kaspischen Quellen behindern wird."

Die Veräußerung von jeweils 49 Prozent der Anteile an den drei regionalen Stromversorgern VSE, SSE und ZSE stehe indessen immer noch aus und werde voraussichtlich erst nach den Wahlen im September 2002 entschieden. Die Privatisierungskommissionen haben im April dieses Jahres vorab unverbindliche Empfehlungen abgegeben, die zugunsten des deutschen Stromkonzerns Eon hinsichtlich des Erwerbs von ZSE sowie zugunsten des deutschen RWE-Konzerns im Hinblick auf den Kauf von VSE ausgefallen sind. Die Empfehlung des Komitees über SSE steht noch aus, so die Studie.

Ausländische Banken aktiv

Im Zuge der Bankenprivatisierung erhielt Anfang 2001 die österreichische Erste Bank, die zuvor die tschechische Sparkasse Ceska sporitelna übernommen hatte, die Mehrheit (87,18 Prozent) der nach der Bilanzsumme führenden slowakischen Sparkasse SLSP. Im November letzten Jahres wurde auch der Verkauf von 92,6 Prozent der Anteile der großen slowakischen Bank IRB an die ungarische OTP Bank genehmigt. Darüber hinaus wird die italienische Bank Intesa BCI die bedeutende slowakische Kreditbank VUB vom Staat übernehmen. Die Banken wurden im Vorfeld der Privatisierung von der Regierung von faulen Krediten (insgesamt über 100 Milliarden Slowakische Kronen) bereinigt und rekapitalisiert (insgesamt 18,9 Milliarden Slowakische Kronen). Während mit der noch ausstehenden Veräußerung der slowakischen Postbank der Privatisierungsprozess des Bankensektors abgeschlossen sein wird, hat sich die Implementierung einer professionellen Bankenaufsicht wiederholt verzögert.

"Die mit dem Regierungswechsel im September 1998 einhergegangene politische und wirtschaftliche Kurswende der Slowakischen Republik unter der Führung von Ministerpräsident Dzurinda hat das Land aus der Isolation befreit und an die NATO und die EU herangeführt. (...) Die angestrebte EU-Integration im Rahmen der zweiten Beitrittsrunde scheint erreichbar. Ende März 2002 gelang es, das 23. Kapitel (Besteuerung) abzuschließen. Darüber hinaus hat die EU der Slowakei in diesem Jahr rund 43,5 Millionen Euro für Maßnahmen im Rahmen ihrer Beitrittsvorbereitungen zugesichert, von denen ein Teil für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma sowie für die Entwicklung des Industrieparks vorgesehen ist. Im Rahmen der Heranführung des Agrarsektors hat die EU der Slowakei weitere Finanzhilfen in Höhe von jährlich 18,6 Millionen Euro bis 2006 genehmigt. Die Angleichung der slowakischen Umweltstandards an das Unionsniveau soll ein für die Periode von 1999 bis 2008 geplantes Investitionsvolumen von 4,8 Milliarden Euro beschleunigen. Diese Summe setzt sich aus staatlichen Geldern sowie aus Finanzmitteln der Privatwirtschaft und der EU zusammen. Damit würde der Gesamtanteil der Umweltausgaben am Brutto-Inlandsprodukt von derzeit 1,7 Prozent auf 2,5 Prozent bis 2008 steigen."

Gute Noten der EU

Insgesamt, so die Studie, stellte die EU-Kommission der Slowakischen Republik in ihrem letzten Fortschrittsbericht im Hinblick auf den EU-Beitritt gute Noten aus. Bezüglich der politischen Kriterien erfülle die Slowakei die Voraussetzungen von Kopenhagen. Weitere Anstrengungen seien vor allem im Kampf gegen die weitverbreitete Korruption und die Diskriminierung der Minoritäten notwendig.

Bezüglich der wirtschaftlichen Kriterien kam die Kommission zu der Schlussfolgerung, dass die Slowakei mittelfristig in der Lage sein dürfte, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der Union standzuhalten. Dafür seien jedoch deutliche Fortschritte insbesondere bei der Haushaltskonsolidierung und weiteren Strukturreformen sowie der Verstärkung der Bankenaufsicht erforderlich.

Gute Beitritts-Chancen

"Im Hinblick auf die geplante Osterweiterung der NATO spricht ebenfalls einiges dafür, dass die Slowakei in der nächsten Beitrittsstufe dabei sein wird. (...) Allerdings bleibt vor allem die politische Entwicklung weiterhin ein Risikofaktor für die Fortsetzung des Reformpfades und den Beitritt der Slowakischen Republik in die EU und die NATO. Umfragen im Vorfeld der im September dieses Jahres stattfindenden Parlamentswahlen deuten auf eine Regierungsübernahme der oppositionellen Partei HZDS von Expremier Meciar hin. Repräsentanten der NATO und der EU haben zum Ausdruck gebracht, dass eine Regierungsbeteiligung von Meciar den Beitritt in beide Organisationen verzögern oder sogar verhindern würde. Wachsende Unstimmigkeiten in der Regierung, Korruptionsvorfälle sowie der Rücktritt der international anerkannten Finanzministerin Schmögnerova haben das Vertrauen der Wähler in die derzeit regierenden Koalitionsparteien stark beschädigt.", so die Studie.

In der Tat werden die nächsten Wahlen eine Schicksalsentscheidung für die Slowakei bringen: Sie kann vollgültiges Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft werden oder sich erneut isolieren. (ykk)