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Hype um Halal

27. Dezember 2010

Essen gemäß der reinen Lehre des Koran – mit entsprechenden Produkten wird weltweit kräftig Umsatz gemacht. Auch in Deutschland könnten Unternehmen damit viel Geld verdienen. Doch Industrie und Einzelhandel zögern.

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Hammelfleisch in der Auslage (Foto: DW-TV)
Bild: DW-TV

Weltweit leben ungefähr 1,6 Milliarden Muslime. Die meisten von Ihnen wollen sich im Einklang mit ihrer Religion ernähren, also Essen kaufen, das "halal" ist. So machen Halal-Produkte bereits ein Fünftel des weltweiten Umsatzes mit Nahrungsmitteln aus. Ein Riesenmarkt also. Auch in Deutschland könnten Unternehmen rund fünf Milliarden Euro mit Nahrungsmitteln verdienen, die für Muslime erlaubt sind, schätzen Experten. Bei der Kaufkraft von mehr als vier Millionen Muslimen in Deutschland sicherlich nicht überraschend.

Dennoch hinkt Deutschland anderen europäischen Ländern hinterher: "Wir erleben in Europa momentan einen Halal-Hype", erzählt Anya Schlie vom deutsch-türkischen Lebensmittelforum in Köln. "Im Vergleich zu Frankreich, Holland oder Großbritannien ist man hier mit Halal-Produkten sehr spät dran, da müssen die Deutschen aufholen."

Junge Frau liest den Koran, im Hintergrund das Wort 'Halal' (rein, erlaubt) (Foto: DW)
Junge Frau liest den Koran. "Halal" ist arabisch und bedeutet "rein, erlaubt"Bild: picture alliance/dpa

Nestlé ist Pionier

Das wirtschaftliche Potential von Halal-Produkten haben bisher nur die großen internationalen Unternehmen erkannt. Meistens Firmen, die schon lange in muslimische Länder exportieren. Der Pionier der großen Konzerne im Halal-Geschäft ist Nestlé. Fünf Prozent seines weltweiten Umsatzes erwirtschaftet der Schweizer Konzern mittlerweile mit Koran konformen Lebensmitteln. Seit kurzem ist Nestlé auch auf dem deutschen Markt vertreten: "Halal-Produkte bieten wir in Deutschland seit Anfang September 2010 an", sagt Sören Pinkow, Unternehmenssprecher bei Nestlé Deutschland. "Muslime sind für uns eine interessante Zielgruppe. Eine sehr junge Gruppe mit einer großen Kaufkraft."

Angst vor Imageverlust

Während die Firmen in anderen europäischen Ländern schon offensiv um die muslimische Kundschaft werben, zögern die deutsche Nahrungsmittelindustrie und der Einzelhandel. Viele Unternehmen fürchten, dass sie mit Halal-Produkten ihrem Ansehen schaden könnten: "Unternehmen, die Halal-Produkte vertreiben, erzählen uns immer wieder, dass sie bitterböse Briefe von nicht-muslimischen Verbrauchern bekommen, die sich irgendwie bedroht fühlen", berichtet Anya Schlie. "Außerdem gibt es auch Angriffe von Rechten und militanten Naturschützern." Deshalb würden viele Unternehmen, die tatsächlich schon halal produzierten, in den Supermärkten nicht auffällig mit einem Halal-Siegel werben.

Ungefähr 4000 Halal-Produkte befinden sich bereits in den Einkaufsregalen der großen Supermärkte. Da sie aber nicht offensiv vermarktet werden, sind sie für Muslime nur schwer zu erkennen. Yavuz Özoguz, Chef der Halal-Zertifizierungsstelle M-Haditec in Bremen, stört das: "In Frankreich geht man in den Supermarkt und da gibt es eine Theke wo groß Halal darüber steht. Das wäre in Deutschland theoretisch auch schon längst machbar."

Vertrauen braucht Zeit

Ein türkischer Supermarkt im Berliner Stadtteil Moabit verkauft auch Produkte, die nach den 'halal'-Normen hergestellt wurden (Foto: dpa)
"Halal"-Prokute im Angebot: Türkischer Supermarkt in BerlinBild: picture-alliance/ dpa

Die Zurückhaltung der Nahrungsmittelindustrie und des Einzelhandels hat Konsequenzen: Immer mehr arabische und türkische Supermärkte haben sich etabliert, um auf die Bedürfnisse der muslimischen Verbraucher einzugehen. Die meisten Produkte beziehen diese Geschäfte direkt aus muslimischen Ländern. Deshalb stellt sich auch die Frage, ob muslimische Verbraucher überhaupt deutsche Halal-Produkte in großen Supermärkten kaufen würden. Anya Schlie glaubt, dass dafür viel Zeit nötig ist: "Weil es eine Vertrauensfrage ist. Muslimische Kunden sagen oft, dass selbst wenn sie in den großen Supermärkten ein Produkt finden auf dem halal draufsteht, zweifeln sie immer noch daran, dass auch wirklich halal drin ist."

Wie lange es braucht, um dieses Vertrauen herzustellen wird sich zeigen. Klar ist allerdings: Wenn die deutsche Nahrungsmittelindustrie und der Einzelhandel langfristig vom Halal-Hype profitieren möchten, so müssen sie bald in die Vertrauens-Offensive gehen. Frankreich ist da ein gutes Beispiel. Vor kurzem hat dort eine große französische Fast-Food Kette ihr Angebot auf halal umgestellt: Für die ersten Halal-Burger standen die Leute Schlange.

Autor: Nicolas Martin

Redaktion: Klaus Ulrich