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Tolstoi und Deutschland - eine vielschichtige Beziehung

15. November 2010

Leo Tolstoi, der schon zu Lebzeiten weltberühmte russische Autor, hatte vielfältige Beziehungen zu Deutschland, wie eine Ausstellung im Literaturhaus München zeigt.

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Lev Tolstoj 1908 in Jasnaja Poljana (Foto: K.K. Bulla) Pressebild des Literaturhauses München
Leo Tolstoi 1908Bild: Staatliches L.N. Tolstoj Museum, Moskau

Ob Bert Brecht oder Thomas Mann: Viele deutsche Schriftsteller verehrten Leo Tolstoi und seine Werke, wie etwa die Romane "Krieg und Frieden" oder "Anna Karenina". Mehrere von ihnen, beispielsweise der Roman "Die Kreutzersonate", erschienen sogar zuerst in Deutschland. Umgekehrt hat der 1828 auf dem Familienlandgut Jasnaja Poliana südwestlich von Moskau geborene Tolstoi sich lange Zeit für deutsche Kultur begeistert.

Birkenstämme im Münchner Literaturhaus erinnern an Tolstois Landgut (Foto: Heidi Voge)
Russische Birken in MünchenBild: Heidi Vogel

Deutsch in der Kinderstube

Diese Begeisterung reicht bis in die Kinderzeit des Dichters zurück: der private Hauslehrer Tolstois, der gelernte Schuhmacher Friedrich Rössl, stammte aus Deutschland und beeindruckte ihn durch seine Einfachheit und Rechtschaffenheit – aber auch durch seinen Humor. Auch während des Studium schätzte er besonders einen deutschen Professor Mejer, wie die Kuratorin der Münchner Tolstoi-Ausstellung, Johanna Renate Döring-Smirnov, erzählt: "Vor allen Dingen hat er von diesem Mejer die soziale Verantwortlichkeit für seine Bauern gelernt, und dass die Philosophie keine theoretische Ansicht ist, sondern praktisch umgesetzt werden muss."

Tagebuch von Lev Tolstoj mit dem berühmten "Auerbach!!!!!!!!"-Zitat von 1861 (Foto: Staatliches L.N. Tolstoj Museum, Moskau)
Tagebuch von Leo TolstoiBild: Staatliches L.N. Tolstoj Museum, Moskau

Zwiespältige Eindrücke

"Ein Licht mir aufgegangen", schrieb Tolstoi 1861 in sein Notizbuch nach einer Begegnung mit dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Berthold Auerbach in Berlin – auf deutsch. Dass er sich in der fremden Sprache äußerte, war keineswegs eine Ausnahme. Das zeigen die in München ausgestellten Exponate: "Überall sind deutsche Ausdrücke dazwischen", sagt Döring-Smirnov, "und was vollkommen irre ist, später dienen die dann als Schlüssel für neue Werke." Zwischen 1857 und 1861 reiste Tolstoi durch ganz Europa und hielt sich mehrfach für längere Zeit in Deutschland auf. Was er dort zu sehen bekam, löste unterschiedliche Gefühle in ihm aus. Tolstoi war entsetzt über die Ausbildung der Kinder auf dem Lande, die vor allem aus Prügelstrafe und sturem Auswendiglernen bestand. Gleichzeitig beeindruckte ihn die relative Freiheit der deutschen Landbevölkerung im Vergleich zur noch weit verbreiteten Leibeigenschaft in Russland.

Das namenlose Grab von Leo Tolstoi in Jasnaja Poljana. (Foto: unodue)
Tolstois Grab in Jasnaja Poljana

Der Dichter und die Deutschen

Tolstoi, der in vielen seiner Werke die aristokratische Gesellschaft und die unerträgliche Situation der armen Landbevölkerung im zaristischen Russland kritisierte, wurde nach 1917 in der jungen Sowjetunion als sozialistischer Vorreiter gefeiert. Auch die ehemalige DDR sah in ihm eher den revolutionären Klassenkämpfer, während in der BRD der sozialkritisch unterhaltende Romancier geschätzt wurde. Die Münchner Ausstellung zu Tolstois 100. Todestag am 20. November schaut vor Allem auf Eines, so Svetlana Novikova vom Moskauer Tolstoj-Museum: Die Liebe zur deutschen Kultur. "Er liebte die deutsche Musik, Beethoven, Bach, die Philosophen und die deutschen Schriftsteller wie Goethe, Schiller oder Schopenhauer, die er in deutscher Sprache lesen konnte."

Autor: Anila Shuka

Redaktion: Klaus Gehrke