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Zum Studieren ist es nie zu spät!

25. Oktober 2010

Sie fahren Taxi oder stehen hinter einer Ladentheke. Eigentlich sind sie aber Biologen, Ingenieure oder Ärzte. Viele Menschen mit Migrationshintergrund finden in Deutschland keine Arbeit, die ihrer Ausbildung entspricht.

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Ein Taxi steht am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor (Foto: dpa)
Qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland müssen oft als Taxifahrer arbeiten.Bild: dpa zb

Olga Hanneken ist 43 Jahre alt. Die gebürtige Russin sitzt im Hörsaal der Oldenburger Jadehochschule. Dabei müsste sie eigentlich nicht mehr studieren, denn sie hat bereits einen Hochschulabschluss. An der sibirischen Hochschule für Straßenverkehrswesen studierte die diplomierte Bauingenieurin vor 16 Jahren. 1994 kam Olga Hanneken nach Deutschland. Sie wollte natürlich als Bauingenieurin arbeiten, denn das war ihr Traumjob. Doch statt einer Festanstellung in einem Betrieb wartete das Arbeitsamt auf sie. Olga Hanneken schrieb immer wieder Bewerbungen - ohne Erfolg. Die Baubranche war damals zu überlaufen, es gab keinen weiteren Bedarf an Ingenieuren. Außerdem reichten Olga Hannekens Deutschkenntnisse noch nicht aus. Sie entschloss sich eine Familie zu gründen und bekam schließlich zwei Kinder. Mittlerweile sind ihre Kinder groß, und die Bauingenieurin sucht wieder eine Aufgabe und einen Job. "Vor einem Jahr änderte sich alles schlagartig in meinem Leben", erzählt sie mit einem Lächeln im Gesicht.

Neue Chancen für die Karriere

Das Gebäude der Jadehochschule Oldenburg (Foto: DW / Mareike Lange)
Die Jadehochschule Oldenburg bietet ein spezielles Programm für Migranten an.Bild: DW

Im Internet stieß sie auf ein Programm für Migranten mit Hochschulausbildung, speziell im Bauwesen, angeboten von der Oldenburger Jadehochschule. "Nach der Wirtschaftskrise habe ich jetzt meine Chance gewittert", sagt Olga Hanneken. Das Studium an der Jadehochschule dauert nur 3,5 Semester. In zwei theoretischen Semestern konnte Olga Hanneken ihre fachlichen Kenntnisse auffrischen und vertiefen: "Vieles ändert sich - gerade im rechtlichen Bereich. Es ist so lange her, dass ich mein Studium abgeschlossen habe." Auf dem Stundenplan stehen außerdem deutsches Baurecht, Bauterminologie sowie die deutsche Sprache und Kultur. Olga Hanneken ist mittlerweile im Praktikumssemester und hat einen festen Job in Aussicht. "Als Bauingenieurin mit dem deutschen Diplom habe ich viel mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt", sagt Hanneken.

Fachkräftemangel in Deutschland

Thomas Priesemann, Dekan des Fachbereichs Bauingenieurwesen an der Jadehochschule Oldenburg (Foto: DW / Mareike Lange)
Dekan Thomas PriesemannBild: DW

Viele Unternehmen klagen nach der Wirtschaftskrise über einen Fachkräftemangel in der Bundesrepublik. "Es gibt im Prinzip genügend Fachkräfte", sagt Thomas Priesemann, Dekan für Bauingenieurwesen an der Jadehochschule in Oldenburg. "Wir müssen nur die Augen öffnen!" Seit 2009 gibt es hier den Studiengang "Technische und Kulturelle Integration". Das Angebot richtet sich an Absolventen des Bauingenieurwesens aus dem Ausland, die in Deutschland als Migranten leben. Häufig sind es ältere Menschen, die den Schritt zurück an die Uni wagen. Deshalb ist es bei diesem Studiengang besonders wichtig, den Stoff aufzufrischen und die Sprachkenntnisse entsprechend zu verbessern. Ein Bauingenieur muss in Deutschland die Voraussetzungen eines Vorgesetzten erfüllen. Er oder sie hat Kontakt zum Kunden und zu den Arbeitern auf der Baustelle. Deswegen sei die Sprache enorm wichtig, so Thomas Priesemann. "Im Ausland arbeiten Bauingenieure in Hierarchien. Ein Bauingenieur betreut häufig nur einen Teilbereich und tritt nicht als Verantwortlicher auf. Das ist bei deutschen Bauingenieuren anders."

Wenige wissen vom Angebot

Nikolai Ustimenko, Student an der Jadehochschule Oldenburg (Foto: DW / Mareike Lange)
Nikolai Ustimenko möchte in Deutschland eine Stelle finden.Bild: DW

Die Studenten im Studiengang "Technische und Kulturelle Integration" bekommen Intensivunterricht, denn zurzeit gibt es neben Olga nur zwei weitere Studierende. Der 28-jährige Russe Nikolai Ustimenko beendete 2004 an der Staatlichen Universität von Togliatti sein Studium mit dem Schwerpunkt "Industrie- und Zivil-Bau". Der Liebe wegen zog Nikolai nach Deutschland. Sein Diplom wurde gleich anerkannt. "Ich hatte gute theoretische Kenntnisse, aber keine Praxis und keine Berufserfahrung", sagt Ustimenko. "Die deutsche Sprache war außerdem ein Problem, besonders die Baufachsprache." Seit zwei Monaten studiert Nikolai jetzt in Oldenburg. Mittlerweile beherrscht er die deutsche Sprache gut. Um eine gezielte Integration in den deutschen Arbeitsmarkt zu erreichen, ist neben dem theoretischen Unterricht eine halbjährige, betreute Praxisphase in der Industrie vorgesehen. Den Abschluss des Studiums bildet dann eine Bachelor-Arbeit. Auch Nikolai Ustimenko möchte danach in Deutschland eine feste Stelle finden.

Bundespräsident Christian Wulff hat es vorgemacht

Als Ministerpräsident von Niedersachsen hat Christian Wulff ein Zeichen gesetzt. Mit der türkischstämmigen Aygün Özkan hat er erstmals in der Bundesrepublik Deutschland eine Ministerin mit Migrationshintergrund berufen. "Häufig fehlt noch der Mut“, sagt der Dekan des Fachbereichs Bauingenieurwesen an der Jadehochschule Oldenburg, Thomas Priesemann. Viele deutsche Arbeitgeber würden sich nicht trauen, Migranten einzustellen, denn häufig wisse man nichts über deren Ausbildung im Ausland. Deutsche Unternehmer seien sich unsicher, was die Bewerber mit Migrationshintergrund können und was nicht. "Mit dem 'Bachelor of Engineering' der Jadehochschule wollen wir den Unternehmern Sicherheit gegeben, dass die Studenten allen Anforderungen des Bauingenieurwesens in der Bundesrepublik gerecht werden können."


Autorin: Mareike Lange
Redaktion: Gaby Reucher