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Unter Generalverdacht

25. Oktober 2010

In Birma unterdrückt das Militärregime seit Jahren die Minderheit der Christen und Muslime. Es benutzt die Religion als Vorwand, um die ethnischen Volksgruppen zu kontrollieren.

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Kirche im Gebiet der Chin in Birma (Bild: AP)
Kirche im Gebiet der Chin in BirmaBild: AP

Etwa hundert ethnische Minderheiten gibt es im Vielvölkerstaat Birma. Viele von ihnen fordern seit langem das Recht auf Selbstbestimmung und liefern sich dafür bewaffnete Kämpfe mit der Armee. So auch das Volk der Karen im Südosten des Landes. Zahlreiche Karen sind Mitglieder der "Karen National Union", einer bewaffneten Widerstandsgruppe, die von Christen angeführt wird. Die meisten Karen leben in der Grenzregion zu Thailand. Dort seien sie schwersten Repressionen ausgesetzt, berichtet Martin Petrich von Amnesty International. In dieser Region herrsche quasi Kriegszustand: "Das hat zur Folge, dass die Armee Dörfer überfällt, Männer als Träger mitnimmt, Frauen vergewaltigt und Kinder tötet."

Mehr als 150.000 Angehörige der Karen mussten bereits über die Grenze nach Thailand fliehen. Rund die Hälfte von ihnen sind Christen, schätzen Menschenrechtsorganisationen. Im Westen des Landes, in der Region des Chin-Volkes sieht es ähnlich aus. Neun von zehn Chin sind Christen. Viele von ihnen gehören zur Widerstandsgruppe der "Chin National Front". Geschätzte 100.000 Chin sind inzwischen ins Nachbarland Indien geflohen.

Christen und Muslime agieren vorsichtig

Karen auf der Flucht vor der Armee (Bild: dpa)
Karen auf der Flucht vor der ArmeeBild: picture alliance/dpa

Die Militärjunta verfolgt Christen nicht wegen ihrer Religionszugehörigkeit, sondern vielmehr, weil sie zu bestimmten ethnischen Minderheiten gehören. Vor allem, wenn diese Minderheiten für Unabhängigkeit kämpfen. Die Religionszugehörigkeit diene der Armee lediglich als Vorwand, ihre Macht zu demonstrieren, erklärt David Mathieson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Die Armee kommt und sagt, wir brennen eure Kirche nieder oder verbieten euch, eine Kirche zu bauen. Es geht im Grunde darum, den Zivilisten deutlich zu machen, dass sie unter der Kontrolle der Armee stehen und die mit ihnen machen kann, was sie will. Daher ist religiöse Verfolgung eine Methode, mit der die Armee die lokale Bevölkerung kontrolliert und terrorisiert."

Rund sechs Prozent der 55 Millionen Einwohner Birmas sind Christen. Etwas weniger - rund vier Prozent - sind Muslime. Sie agieren mit besonderer Vorsicht und oft im Verborgenen. Besonders schwer leidet die Minderheit der muslimischen Rohingyas im Südwesten des Landes: Enteignungen, Folter, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen sind nur einige der Repressionen, die Menschenrechtsorganisationen dokumentiert haben. Hinzu kommt, dass das Regime die Rohingyas nicht als Bürger Birmas anerkennt. Generell ständen die Muslime unter Generalverdacht, Terroristen zu sein, sagt Bernd Zöllner, Birma-Experte an der Universität Hamburg: "Sie werden in politischen und in globalen Krisen, wie zum Beispiel nach dem 11. September 2001, als Sündenböcke für interne Probleme des Landes benutzt."

Karriere nur als Buddhist

Rohingya-Flüchtlinge in Thailand (Bild: dpa)
Rohingya-Flüchtlinge in ThailandBild: picture alliance/dpa

Diese Vermischung von religiösem und ethnischem Konflikt prägt die gesamte Gesellschaft Birmas. Die Militärmachthaber gehören zur dominierenden Ethnie der Birmanen. Sie benutzen die Mehrheitsreligion Buddhismus, um ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren, erklärt Jasmin Lorch, Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Regierung stellt in den Medien die Nähe zum Buddhismus heraus und inszeniert auffällig das gute Verhältnis zum Klerus. Und wer im Militär, im öffentlichen Dienst oder in der Wirtschaft Karriere machen will, muss zum Buddhismus übertreten. Eine neue Verfassung von 2008 schreibt fest, dass die Union von Myanmar, wie Birma heute offiziell heißt, niemanden wegen ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit diskriminiert. Doch an anderer Stelle steht, der Missbrauch der Religion für politische Zwecke sei verboten. "Dies ist ein Kaugummiparagraph", kritisiert Martin Petrich. "Jede Aktivität, die auch nur ein bisschen öffentlich ist, kann damit als politischer Akt ausgelegt werden."

Für Anfang November sind Parlamentswahlen angesetzt. Doch von freien Wahlen im westlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Schon jetzt garantiert die neue Verfassung dem Militär ein Viertel der Parlamentssitze. Religiöse Würdenträger dürfen nicht wählen. Der Urnengang werde an der komplexen Konfliktsituation im Land nicht viel ändern, da sind sich die Experten einig.

Autorin: Ana Lehmann
Redaktion: Mathias Bölinger