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"Elementarste Kriegsgesetze missachtet"

25. Oktober 2010

Die Veröffentlichung hunderttausender Dokumente aus dem Irak-Krieg auf der Internetplattform Wikileaks war am Montag (25.10.2010) Thema vieler internationaler Zeitungskommentare.

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Internationale Zeitungen (Foto:dpa)
Bild: dpa

Die konservative Londoner Zeitung "The Times" kritisiert die Veröffentlichung hunderttausender geheimer Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium auf der Internetplattform Wikileaks:

In einer Demokratie hängt das Wohl des Staates auch an einem wohl informierten Volk. Kein Wähler würde militärische Interventionen im Ausland unterstützen, wenn er nicht die Bedrohungen kennen würde und wenn er nicht auch über den finanziellen und humanitären Preis informiert wäre. Es ist deshalb nicht nur richtig, sondern notwendig, dass Fakten darüber, wie Außenpolitik gemacht wird, der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Leider ist die Veröffentlichung von 400 000 militärischen Dokumenten bezüglich des Irakkrieges ein gutes Beispiel, wie man es nicht tun sollte.

Auch die rechtsliberale Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" äußert sich eher skeptisch zu den jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen:

Dass das Internet es äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich macht, Geheimes geheim zu halten, ist eine Tatsache. Die Frage ist eher, ob das, was der schmächtige Julian Assange da im Internet geschaffen hat, die Zukunft des investigativen Journalismus sein kann. (...) Die Dokumente zum Irak bestätigen im Kern die Tatsachen eines verfehlten Krieges, einer improvisierten Besetzung, die extrem hohe Zahl getöteter Zivilisten, den Missbrauch und die Folter sowie, nicht zuletzt, die Rolle Irans zugunsten der schiitischen Milizen. Der Punkt ist aber, dass derart viel Rohmaterial, das in vielen Fällen nicht überprüft werden kann, Gefahr läuft, die Wahrheit unverständlicher zu machen.

Die Veröffentlichung durch Wikileaks sei kein Beitrag zum Frieden, kommentiert die niederländische Zeitung "de Volkskrant":

Die gereizte Reaktion der Amerikaner auf die Enthüllungen scheinen Wikileaks-Gründer Julian Assange in der Überzeugung gestärkt zu haben, dass er etwas Gutes getan hat. Die Dokumente bilden eine Ergänzung zur Darstellung des Irak-Krieges durch die Historiker, doch die Geschichte muss dadurch nicht neu geschrieben werden. So gesehen relativiert sich die Bedeutung des Scoops von Wikileaks. Zudem muss befürchtet werden, dass die Veröffentlichung von Dokumenten, die schlechtes Benehmen von irakischen Funktionären aufzeigen, nicht zur Herstellung von Frieden in dem Land beitragen, das acht Monate nach den Parlamentswahlen immer noch keine Regierung hat.

Die französische Zeitung "Libération" beurteilt die jüngsten Enthüllungen des Internetportals Wikileaks positiver:

Die 391.832 internen Dokumente der amerikanischen Armee sind niederschmetternd. Sie geben die unverblümte, direkte Version des Pentagon, dicht am Feldzug, wieder. Und das macht die Vorwürfe umso härter. Julian Assange veröffentlicht die Noten oft zusammen mit den Namen der Informanten oder lokalen Mitarbeiter. Und so können wir ihm vorwerfen, dass er die gleichen Lateralschäden verursachen wird, wie ein Stratege der US-Air Force. Dennoch, diese Zeugenaussagen zeichnen einen Konflikt, der unter Missachtung der elementarsten Kriegsgesetze geführt wurde. Wir erkennen auch einen weitgehend privatisierten Krieg in den Händen von Söldnern ohne jeden Glauben und vor allem ohne jedes Gesetz.

Auch das französische Regionalblatt "Paris-Normandie" aus Rouen hält die Veröffentlichung der Irak-Dokumente für richtig:

Keine sicherheitsrelevante oder politische Erwägung, so fundiert sie auch sein mag, kann die extreme Schwere der nun bekannt gewordenen Tatsachen zur Seite schieben oder auch nur mindern. Weil die von George W. Bush angeführte Koalition den Irak im Namen der Demokratie und Menschenrechte überfallen hatte - um einen Tyrann zu verjagen, der Zivilisten abschlachtete, in seinen Gefängnissen folterte und die Welt bedrohte. Und weil Amerika versprochen hatte, dieser Krieg würde den Werten von Freiheit und Menschenrechten zum Durchbruch verhelfen. Aus all diesen Gründen ist es nun legitim, von den Amerikanern Erklärungen zu verlangen, und vor allem von dem Mann an ihrer Spitze. Als er im Weißen Haus ankam, hatte Präsident Obama schließlich Transparenz versprochen.

Die rechtsliberale spanische Tageszeitung "El Mundo" schlägt in dieselbe Kerbe:

Die Enthüllung geheimer militärischer Informationen hat ein politisches Erdbeben ausgelöst, dessen Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Sie zeigt, dass die amerikanischen und irakischen Truppen von 2003 bis 2009 alle Arten von Menschenrechtsverstößen und Kriegsverbrechen begingen. Hochrangige Militärs hatten die Vergehen gebilligt. Die Verbrechen fallen in die Amtszeit von US-Präsident George W. Bush, aber sie stellen dessen Nachfolger vor ein Problem. Das Weiße Haus muss eine gründliche Aufklärung anordnen. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Solche Verbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben.

Die Wiener Zeitung "Der Standard" schließlich meint:

Das von Wikileaks zu Afghanistan und jetzt zum Irak veröffentlichte "Wissen" trägt dazu bei, sich vom Schicksal der betroffenen Menschen - übrigens auch derer, die die Berichte schrieben - ein besseres Bild zu machen. So schaut der Krieg aus, ohne Beschönigungen. Wobei sich immer wieder ein Resultat der Betrachtungen in den Vordergrund drängt: Die USA waren vor allem total überfordert.

So wichtig diese Erkenntnis sein mag - vor allem für jene, die an eine Allmacht der USA glauben -, so wenig hilft sie den beiden Ländern im Moment weiter. Afghanistan ist noch mitten im Krieg. Und der Irak hat zuletzt eher Rückschritte als Fortschritte gemacht. Wikileaks liefert denjenigen Gruppen Auftrieb, die sich gerade wieder vom politischen Prozess abwenden. Zur politischen Hoffnungslosigkeit kommt die Erinnerung daran, wie viele Rechnungen noch offen sind, sowohl mit den USA als auch mit der neuen irakischen politischen Klasse.

Zusammengestellt von Thomas Latschan
Redaktion: Anne Allmeling