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Zwanzig Tage Freiheit

23. Oktober 2010

Wochenlang hielten im Sommer 2009 Proteste Irans Regime in Atem. Ein iranisch-französischer Dokumentarfilm zeigt nun, wie eine ganze Stadt die Freiheit schnupperte. Bevor die Demonstrationen niedergeknüppelt wruden.

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Still aus dem iranischen Dokumentarfilm Twenty Days that shook Tehran (Foto: Ali Razi)
Ein fast normaler Wahlkampf - dann kamen die ProtesteBild: Ali Razi

Frühjahr 2009 in Teheran. Auf der Straße streiten die Anhänger der beiden Reformkandidaten Mehdi Karroubi und Mir Hussein Mussavi miteinander. Mussavi sei scheinheilig, habe eine dunkle Vergangenheit und populistisch sei er außerdem, schreit einer. Eine Mussavi-Anhängerin hat ähnliches über Karroubi zu sagen und im Übrigen: Wer so schreie und die anderen nicht zu Wort kommen lasse, spalte das Reformer-Lager. An einem anderen Ort der Stadt, schwören vor einer Wahlkampfveranstaltung ältere Frauen und Männer dem Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad die Treue. "Ahmadinedschad wird den Islam voranbringen. Und dann wird der göttliche Retter kommen. Und diesen Verrätern das Genick brechen", ruft eine schwarz verschleierte Frau in die Kamera.

Eine Stadt im Aufbruch

Auch beim nächtlichen Autokorso in der Innenstadt, dem typischen Teheraner Balzritual, hält die Jugend Plakate aus dem Auto. "Der Iran besteht nicht nur aus Teheraner Studenten", rufen die Anhänger Ahmadinedschads siegesgewiss. Der umstrittene Präsident hat seine Anhänger in den Armenvierteln und auf dem Land. Aus den Autos, die mit den grünen Fahnen des Reformerlagers geschmückt sind, wird Ahmadinedschad dagegen als Diktator beschimpft und Freiheit gefordert. Der Film "Twenty days that shook Teheran", der jetzt auf dem Dokumentarfilmfest in Leipzig zu sehen war, zeigt eine Stadt im Aufbruch.

Still aus dem iranischen Dokumentarfilm Twenty Days that shook Tehran (Foto: Ali Razi)
Das alles hier ist nur Show, um die Leute zum Wählen zu bringen, sagt ein Bürger. Er sollte recht behaltenBild: Ali Razi

Zwanzig Tage dauert im Iran der Wahlkampf. Eine kurze Zeit, in der Politik und Gesellschaft zum Leben erwachen, in der die Luft mit Parolen, Argumenten, Hoffnungen, Schwüren und Verschwörungstheorien angefüllt ist. "Ich wusste dass es in der iranischen Gesellschaft ein enormes Potential für den Wechsel gibt", sagt der Regisseur Ali Razi. "Aber ich hätte diesen Raum der Freiheit nicht erwartet. Das zeigt, dass die iranische Gesellschaft das Potential für demokratische Diskussionen hat und die Leute sich gegenseitig zuhören können. Es überrascht und es freut mich, wie sehr sich die Iraner gegenseitig anhören."

Ali Razi, iranischer Theaterregisseur und Filmemacher, der in Paris lebt, hatte beschlossen, den Wahlkampf 2009 zum Thema eines Film- und Theaterprojekts zu machen. Mit Schauspielern wollte er ein Stück über den Wahlkampf einstudieren. Das Sujet wollten sie aus den Straßen herauskristallisieren. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse auf der Straße, das Theaterstück wird abgesagt. Doch das ist keine Tragödie, denn das eigentliche Drama spielt sich da längst auf der Straße ab. Während der ganzen Zeit begleitet eine Kamera die Schauspieler auf ihren Streifzügen durch die Stadt. Dutzende Menschen haben am Ende der Kamera ihre Ansichten, ihre Hoffnungen und ihre Wut erzählt, sie haben die Filmemacher beschimpft, weil sie sie für ein Reporterteam des staatlichen Fernsehens halten, oder vorsichtig gefragt, für welchen Sender sie arbeiten, bevor sie loslegen zu schimpfen. Sie haben sich miteinander gestritten und wettgeeifert, wer die lautesten Parolen geschrien hat. Die eigentliche Botschaft fasst am Ende ein junger Mann zusammen: "Das zeigt, dass die Leute hier noch am Leben sind, dass sie nicht bereit sind, die Macht denen zu überlassen, die lügen, und miteinander ihr abgekartetes Spiel treiben."

"Wir werden alle betrogen"

Nur selten äußert inmitten dieser hoffnungsvollen Stimmung jemand Skepsis. "Das alles hier ist nur Show, um die Leute zum Wählen zu bringen. In Wirklichkeit steht der Sieger längst fest", sagt einer. "Dieser Wahlkampf dient nur dazu, die Leute an die Urne zu bringen, um hinterher sagen zu können, die Iraner hatten Gelegenheit zu freien und fairen Wahlen gehabt. Wir werden alle betrogen."

Er wird am Ende Recht behalten. Was danach geschieht, ist bekannt: Der Sieg Ahmadinedschads, die Demonstrationen und schließlich die Niederschlagung der Proteste und die Verhaftungen. All das zeigt der Film nicht mehr. Es ist ein Film über eine Stadt, die für zwanzig Tage zum Leben erwacht ist.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Manfred Götzke