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Milliarden für den Staat?

20. Oktober 2010

Der unerwartet kräftige Wachstumsschub wird dem deutschen Staat deutlich höhere Steuereinnahmen bescheren als erwartet. Doch man sollte das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist, meint Rolf Wenkel.

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Für dieses und das nächste Jahr erwarteten Steuerschätzer "mindestens 30 Milliarden Euro" mehr im Vergleich zur letzten Steuerschätzung vom Mai, berichtet die "Frankfurter Rundschau". Bei der letzten Steuerschätzung im Mai sind die Experten noch von einem Wachstum von 1,4 Prozent in diesem Jahr ausgegangen. Inzwischen aber rechnen die führenden Forschungsinstitute mit 3,5 Prozent Zuwachs bei der Wirtschaftsleistung, die Bundesbank mit mehr als drei Prozent - in jedem Fall ist also mindestens mit einer Verdopplung des ursprünglich veranschlagten Wachstums zu rechnen. Damit ist klar, dass die Einnahmen aus Unternehmenssteuern wie Körperschafts- und Gewerbesteuer reichlicher fließen werden als noch im Frühjahr angenommen. Hinzu kommen noch zusätzlichen Milliardeneinnahmen aus den von der Regierung geplanten Steuererhöhungen wie etwa die Brennelementesteuer und die Flugticketsteuer. Und drittens hat der Arbeitsmarkt in Deutschland die Krise deutlich besser überstanden als befürchtet. Das bedeutet weniger Ausgaben für Transferleistungen und für die Bundesagentur für Arbeit und mehr Einnahmen bei der Lohn- und Einkommenssteuer. Insgesamt wird da wohl für Bund, Länder und Gemeinden ein ordentliches Sümmchen zusammenkommen.

Rolf Wenkel, Wirtschaftsredaktion (Foto: DW)
Rolf Wenkel, WirtschaftsredaktionBild: DW

Und das schöne an diesem Aufschwung ist, dass er von zwei starken Säulen getragen wird. Da ist nicht nur der Exportboom - im kommenden Jahr bestehen gute Chancen, zum ersten Mal in der Geschichte die Marke von einer Billion Euro im Export zu erreichen, meint der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Anton Börner. Sondern auch, und das ist besonders erfreulich: Mindestens die Hälfte des Wachstums wird durch die Binnennachfrage generiert. Und das ist etwas, in den vergangenen Aufschwungzyklen fast nie erreicht worden ist: Dass nach einer Erholung beim Export dann auch die Investitionen und schließlich der private Konsum zulegen. Jetzt haben wir sozusagen einen Aufschwung nach klassischem Muster.

Begehrlichkeiten

Kein Wunder, dass die Hoffnung auf Mehreinnahmen sofort Begehrlichkeiten und Wünsche weckt. In der Kritik stehen vor allem die Steuererhöhungen und das Sparpaket der Bundesregierung. Brauchen wir dieses Sparpaket überhaupt noch?

Ja - denn zur Haushaltskonsolidierung gibt es keine Alternative. Wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble klug ist, dann streicht er die zusätzlichen Einnahmen ein und verringert die Nettoneuverschuldung um diesen Betrag. Sparen und weniger Schulden machen ist und bleibt angesagt. Denn gerade im Aufschwung muss gespart werden, im Abschwung wäre Sparen Gift gewesen, das hätte die Konjunktur noch mehr abgewürgt. Nicht umsonst hat die Regierung ja in der Krise zwei Konjunkturprogramme aufgelegt. Jetzt aber muss konsolidiert werden. Damit kommt Deutschland übrigens auch früher dazu, die Kriterien des europäischen Stabilitätspaktes zu erfüllen. Anfang des Jahres wurde die deutsche Defizitquote auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Nun geht die Bundesbank von deutlich weniger als vier Prozent aus, und schon im nächsten Jahr könnte die europäische Drei-Prozent-Marke eingehalten werden.

Es kann alles ganz anders kommen

Allerdings: Steuerschätzungen sind Prognosen über künftige Einnahmen, und es kann ja alles ganz anders kommen. Schließlich bestehen noch erhebliche Risiken in der Weltwirtschaft. In den USA droht das so genannte double dip, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen nach der ersten Krise nicht ausreichen und das Land im nächsten Jahr in eine erneute Rezession schlittert. Damit würde ein bedeutender Nachfrager im Welthandel ausfallen. Zudem droht da ja noch der ominöse Währungskrieg, in dem viele Länder versuchen, durch eine Abwertung ihrer Währung zu Wettbewerbsvorteilen zu kommen. Das könnte auch Folgen für Deutschland haben. Denn ein starker Euro könnte die schon nachlassende Exportdynamik zusätzlich dämpfen. Man sollte also das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.

Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Klaus Ulrich