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Weiter Streit um "Stuttgart 21"

3. Oktober 2010

Der Streit um das Bahn-Großprojekt "Stuttgart 21" weitet sich aus. Am Wochenende warfen sich Befürworter und Gegner des genehmigten Bahnhofsneubaus in Stuttgart mangelndes Demokratieverständnis vor.

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Der neue Durchgangsbahnhof.
So soll der neue Bahnhof irgendwann einmal aussehenBild: Visualisierung: Aldinger & Wolf

Das Aktionsbündnis gegen den Neubau hat für Montag (04.10.2010) zu weiteren abendlichen Demonstrationen in Stuttgart aufgerufen. Zu den Protestaktionen werden nach Angaben der Veranstalter rund 20.000 Teilnehmer in der baden-württembergischen Landeshauptstadt erwartet.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus, flankiert von Innenminister Heribert Rech (li.) und Umweltministerin Tanja Gönner (alle CDU) (Foto: dpa)
Ministerpräsident Stefan MappusBild: picture-alliance/dpa

Ministerpräsident Stefan Mappus und Innenminister Heribert Rech (beide CDU) machten am Sonntag erneut deutlich, dass sie an dem Projekt festhalten wollen. Auch einen Baustopp bis zur Landtagswahl lehnten sie ab. Mit dem Projekt "Stuttgart 21" soll die Landeshauptstadt an das europäische Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz angebunden werden. Dazu soll der bisherige oberirdische Kopfbahnhof abgerissen und durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ersetzt werden. Ebenso wie Mappus bot auch Bahn-Chef Rüdiger Grube den Projektgegnern Gespräche an. Er sei jederzeit zu einem konstruktiven Dialog bereit, allerdings auf der Basis des Rechtsstaats, sagte Grube der "Bild am Sonntag".

Streit um Äußerungen von Bahnchef Grube

Für Kritik sorgte Grubes Bemerkung, es gebe kein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau. Dazu hatte Grube erklärt: "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst." Das Projekt sei demokratisch ausreichend legitimiert und werde umgesetzt.

Grünen-Chef Cem Özdemir (Foto: AP)
Cem ÖzdemirBild: AP

Dem hielt Grünen-Chef Cem Özdemir in der gleichen Zeitung entgegen, die Parlamente hätten in Unkenntnis über die wahren Kosten und Risiken über das Vorhaben abgestimmt. Jetzt komme die wirkliche Faktenlage immer mehr ans Licht. "Kein schwäbischer Häuslebauer würde auf Teufel komm raus am Bau festhalten, wenn ihm klar wird, dass es viel teurer und schwieriger wird als gedacht - und ihm am Ende mehr schadet als nützt." Das Projekt könne nicht gegen friedliche Demonstranten "durchgeprügelt" werden, so Özdemir.

Auch Jan Korte vom Vorstand der Linken warf Grube ein seltsames Demokratieverständnis vor und forderte wie die Grünen einen nachträglichen Volksentscheid über das Projekt "Stuttgart 21".

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Gegner des Projektes Stuttgart 21 demonstrieren am Freitag (01.10.2010) in der Nähe des Bundeskanzleramtes in Berlin (Foto: dpa)
Projekt-Gegner in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Insgesamt vergiftet der Streit um das Bahnprojekt zunehmend das Klima zwischen Union und Grünen. Der baden-württembergische Regierungschef hielt den Grünen vor, eine außerordentliche Opposition gegen das Projekt zu organisieren. Die tue so, "als lebten wir in einer Diktatur". Vielmehr müssten alle zeigen, dass es um eine wichtige Sachfrage gehe, nicht aber "um Krieg oder Frieden". Mappus sagte dem „Hamburger Abendblatt“ (Montagsausgabe) weiter, es müsse alles getan werden, um das Verhältnis zwischen Gegnern, Befürwortern und Betreibern des Zukunftsprojekts zu entkrampfen.

Unterdessen hat sich Grünen-Chef Özdemir für seine Äußerung nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten vom Donnerstag entschuldigt, Ministerpräsident Mappus habe offenbar Blut sehen wollen. Mappus akzeptierte die Entschuldigung, beschuldigte die Grünen aber zugleich, das Thema "Stuttgart 21" ein halbes Jahr vor der Landtagswahl instrumentalisieren zu wollen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warf den Grünen vor, ihnen entglitten allmählich die Formen des Anstands. Die Grünen zeichneten sich in der Opposition im Wesentlichen "durch eine bebende Unterlippe der Empörung" aus. Bei den Protesten müsse allen Seiten "so etwas wie Niveau" abverlangt werden können.

Strafanzeige gegen die Bahn

Demontration gegen 'Stuttgart 21' am 30. September 2010 (Foto: dapd)
30. September 2010Bild: dpad

Inzwischen haben Gegner des Großprojekts "Stuttgart 21" wegen der Baumfällungen im Schlossgarten Strafanzeige gegen die Bahn gestellt. Dazu sagte der Pressesprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, die Betreiber von "Stuttgart 21" verhielten sich immer dreister: "Erst Polizeigewalt gegen die Bürger, dann illegale Holzfällungen - so handeln sonst nur afrikanische Terrorregime, die den Regenwald abholzen." Konkret geht es in der Anzeige um die Bedrohung des Juchtenkäfers und von Fledermäusen durch die Arbeiten.

Am Donnerstag hatte die Polizei in Stuttgart rund 5000 Demonstranten gewaltsam zurückgedrängt, damit für die Bauarbeiten Bäume gefällt werden konnten. Bei dem Einsatz waren zwischen 130 und 400 Menschen verletzt worden. Eine zweite Demonstration am Freitag in der Stuttgarter Innenstadt war dann friedlich verlaufen. Nach Angaben der Veranstalter hatten daran 100.000 Menschen teilgenommen, die Polizei sprach von 50.000 Demonstranten.

Autor: Hartmut Lüning (dpa, dapd, rtr)
Redaktion: Marko Langer