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Von der Kunst, das richtige Gesicht zu finden

30. September 2010

Im Rahmen des Fernsehfestivals "Cologne Conference" wurde auch der Deutsche Casting-Preis verliehen. Er würdigt die besondere Bedeutung des Castings von Schauspielern für Film- und Fernsehproduktionen.

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Tina Thiele (Foto: Nestor Bachmann/dpa)
Bild: picture-alliance/ZB

Ein Film ist nur so gut wie das Team, das ihn macht. Also braucht man für einen guten Film ein gutes Team. Dieses Team wiederum setzt sich in der Regel aus einer Vielzahl von Berufen aus der Filmbranche zusammen. Nicht zuletzt dem Casting-Director. Er hat die Aufgabe, den oder die Richtige für eine Rolle zu finden. Eine Arbeit, die viele Fähigkeiten voraussetzt. Wir trafen Tina Thiele, Journalistin und Autorin des Buches "Casting", um sie zum Thema zu befragen.

DW-WORLD.DE: Was macht einen guten Casting-Director aus?

Tina Thiele: Er oder Sie muss neugierig sein, Leidenschaft mitbringen, ein gute Menschenkenntnis und auf jeden Fall auch ein sehr gutes Organisationstalent besitzen. Außerdem sollte man gerne und regelmäßig ins Theater oder zum Vorsprechen an Schauspielschulen gehen, um Schauspieler oder neue Talente zu entdecken. Auch wenn heutzutage sehr viel über Fotos, Vitae und Demobänder besetzt wird, bleibt der persönliche Kontakt zum Schauspieler wahnsinnig wichtig. Dies ist zwar unheimlich schwer im immer schnelllebigeren Geschäft durchzusetzen, aber nichts geht über den persönlichen Kontakt zum Künstler. Darüber hinaus ist ein guter Casting-Director auch ein echter Beratungspartner und oft auch der Erste, der das Drehbuch liest, mitberät und entwickelt. Da gehört einfach sehr viel zu - sicherlich auch ein dickes Fell, denn man ist kreativer Dienstleister.

Milos Forman (Foto: AP Photo/Jan Bauer, )
Großer Casting-Fan: Milos FormanBild: AP

Ein guter Cast ist der Garant für den künstlerischen, vor allem aber für den wirtschaftlichen Erfolg einer Filmproduktion. In Ihrem Buch zitieren Sie den tschechischen Regisseur Milos Forman, der sagt: "Casting is everything". Welchen Stellenwert räumen Sie der Castingarbeit bei der Entstehung eines Filmes ein?

Wenn man so was in einem Buch zitiert, will man wohl ein wenig provozieren und akzentuieren. Ich wollte damit darauf aufmerksam machen, dass Casting ein wichtiges "Gewerk" im Filmprozess neben anderen darstellt. Das fängt bei der Drehbuchentwicklung an: Letztlich sind es ja die Schauspieler, die das Drehbuch zum Leben erwecken. Und diese Puzzleteile zusammen zu stellen, also sich intensive Gedanken darüber zu machen: Wer kann das spielen? Funktioniert der Zusammenschluss von Charakteren und Gesichtern - äußerlich wie auch auf einer psychologischen Metaebene? Natürlich muss man dann auch klären, ob derjenige zu einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Budget kann. Das alles gehört zu den Aufgaben eines Casting-Directors. Bei der Entstehung eines Films ist Casting zwar nicht "everything", aber eben auch nicht "nothing". Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, wie viel Arbeit dahinter steckt.

Sie haben selbst als Casting-Director an verschiedenen Projekten mitgewirkt. Wie muss man sich einen typischen Arbeitstag vorstellen?

Ich durfte damals das Kinoprojekt "Edelweisspiraten" noch im Drehbuchprozess kennen lernen. Der Regisseur Nico von Glasow gab es mir damals und bat mich darum, meine Meinung zu äußern. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich hatte damals im Jahr 1999 vom Beruf des Casting- Directors noch nichts gehört und habe ihm interessanterweise eine Familienaufstellung seiner Figuren gemacht und mich sehr intensiv mit ihm über die Beziehung der einzelnen Persönlichkeiten ausgetauscht. Er fand diesen Gedanken phantastisch und lud mich ein, diese Arbeit mit ihm fortzusetzen. So war ich zwei Jahre bei der Kino-Spielfilm-Produktion "Edelweisspiraten" mit dabei und auch in St. Petersburg, weil die Kinder eigens für das Projekt ausgebildet wurden. Man wollte ihnen nicht unmittelbar das Gefühl vermitteln, sie seien Stars, sondern ihnen einfach nur die Möglichkeit geben, an einem interessanten Projekt mitzuwirken.

Die Darsteller des Films Edelweißpiraten (Foto: dpa)
Die Darsteller des Films EdelweisspiratenBild: picture-alliance/dpa


Darauf folgten diverse Studentenprojekte. Eines, das mir sehr am Herzen liegt und das ich dann mit Hanna Hansen, Casting-Director aus München zusammen gemacht habe, ist "Futschikato". Daraus wurde später ein Fernsehfilm.

Ein Casting-Director besetzt wirklich Jahre, jahrzehntelang. Davon kann bei mir nicht die Rede sein. Ich habe mal einen Einblick in die Castingarbeit bekommen - was aber eben sehr wichtig war, um die Materie zu verstehen und jetzt intensiv darüber zu schreiben.

In Ihrem Fachbuch "Casting" ziehen Sie den Vergleich zwischen "Casting made in USA" und "Casting made in Germany". Wo liegen die wesentlichen Unterschiede?

Der wesentliche Unterschied ist einfach der wirtschaftliche Aspekt. In Amerika herrscht ein knallhartes Business. Da verpfändet ein George Clooney sein Haus und glaubt voll an sein Projekt, wenn er einen Film macht. In Deutschland hingegen ist das Filmgeschäft subventioniert. Es gibt hierzulande die Filmförderung. Kaum ein Film entsteht ohne Filmförderung und Zuschuss der Sender. Man kann von einem eigenen, kleinen Wirtschaftssystem sprechen, das durch Filmförderungen finanziert und aufgebaut wird und nicht durch Privatkredite oder richtige Industriegeschäfte wie in Amerika.

George Clooney vor Clooney-Bild (Foto: AP Photo/Domenico Stinellis)
Engagiert: George ClooneyBild: AP

Sie sind seit 2006 Inhaberin der in Deutschland einzigartigen Online-Redaktion "casting-network. Das Branchenportal". Was ist die Idee dahinter?

Die Plattform ist im Grunde genommen eine konsequente Weiterführung meines Buches "Casting". Während der Arbeit an diesem Buch merkte ich ab einem bestimmten Zeitpunkt, dass sich viele Kontaktdaten von professionellen Casting-Directors oder Fotografen ständig ändern, und somit nicht mehr richtig in das Medium Buch passen. So entstand Casting-network - das ist auch bis heute eine der Hauptsäulen - also die "Gelben Seiten" der professionellen Castingbranche. Darüber hinaus produzieren wir sehr viele journalistische Inhalte. Last but not least bildet die dritte Säule unsere Jobbörse: Im Premium Bereich für Profis und im offenen Bereich für Kleindarsteller, Komparsen und Kinder.

Der Deutsche Casting-Preis wurde von 1997 bis 2004 im Rahmen der Cologne Conference verliehen, dann aber zunächst abgeschafft. Inzwischen hat er sich seit drei Jahren wieder fest etabliert bei dieser Veranstaltung. Warum ist ein Deutscher Casting-Preis wichtig?

Erstmal freut es mich sehr, dass in diesem Jahr der Deutsche Casting-Preis an Ulrike Müller, Casting-Director aus Berlin (unter anderem für "Die Fremde") geht. Der Casting-Preis ist wichtig, weil Schauspieler wie zum Beispiel Hannah Herzsprung ihre Karriere bei "Vier Minuten" nicht hätte machen können, wenn Nina Haun, die im letzten Jahr den Casting-Preis bekommen hat, sie für diese Rolle nicht durchgeboxt hätte. Es wurde nämlich nach einer jungen Schauspielerin gesucht, die Klavier spielen konnte. Hannah konnte das zwar nicht, aber Nina wusste, dass sie das lernen kann. Und dieses Know-How, dieses Vertrauen und diese Leidenschaft gehören neben einer exzellenten Menschenkenntnis zum Casting dazu. Viele denken, Casting sei ein Beruf, den man mal eben so machen könne. Ich hingegen halte Casting für einen professionellen Beruf, der genauso wie andere Berufe einen großen Teil beiträgt zum Erfolg eines Films. Ein Casting-Preis ist wichtig, um auf die Leute aufmerksam zu machen, die neben den Schauspielern im Background die Fäden ziehen, damit ein guter Film zustande kommt. Und die sollten dann genauso wie ein Regisseur oder Drehbuchautor auch einen Preis bekommen.

Das Gespräch führte Sonja Badorek

Redaktion: Jochen Kürten