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Weber in Bedrängnis

3. September 2010

Der mögliche Rauswurf des Skandal-Autors Thilo Sarrazin aus der Bundesbank könnte indirekte Folgen für die Europäische Zentralbank haben. Sarrazins Chef muss um seine Karriere fürchten. Bernd Riegert kommentiert:

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Symbolbild: Kommentar (Foto: DW)
Bild: DW

In Frankfurt am Main, wo die Europäische Zentralbank und die Bundesbank ihre Sitze haben, herrscht Wahlkampf. Kein Wahlkampf mit Plakaten und Reden, wie wir ihn aus der Politik kennen, sondern ein stiller, vornehmer Wahlkampf in Nadelstreifen. Bundesbank-Chef Axel Weber kämpft um den Posten des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), der im kommenden Jahr frei wird. Der Querulant Thilo Sarrazin, der jetzt wegen seines umstrittenen Buchs zur Integration von Einwanderern seinen Posten im Vorstand der Bundesbank verlieren soll, könnte Webers Karriereträume platzen lassen.

Zu zögerlich, so lautet die Kritik aus dem europäischen Ausland, sei Axel Weber gegen Sarrazin vorgegangen. Weber hatte Sarrazins Verirrungen zunächst als dessen Privatsache qualifiziert und das Ruder erst herumgerissen, als die Bundeskanzlerin den Rauswurf Sarrazins aus dem feinen Banker-Gremium forderte. Webers Gegner im Wettlauf um die EZB-Präsidentschaft werden ihm das als Führungsschwäche ankreiden. Der Fall Sarrazin könnte den Ruf des Bundesbankpräsidenten so weit ruinieren, dass Weber bei den Staats- und Regierungschefs der EU als Kandidat durchfällt.

Vom natürlichen Nachfolger zum Wackelkandidat

Bernd Riegert im Porträt (Foto: DW)
Bernd Riegert, EuroparedaktionBild: DW

Dabei galt der konservative, stets auf strikte Stabilität des Euro bedachte Professor Weber noch Anfang des Jahres als natürlicher Nachfolger des jetzigen EZB-Präsident Jean-Claude Trichet aus Frankreich. Doch zwischen damals und heute liegen die schwerste Krise der Gemeinschaftswährung Euro und zwei Rettungsschirme in gigantischer Höhe. Weber stellte sich im Mai aus Überzeugung gegen den Rettungsschirm und den Ankauf von schrottreifen Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Er kritisierte öffentlich die EZB, in deren Aufsichtsrat er selbst sitzt. Das haben ihm sowohl viele europäische Partner als auch Bundeskanzlerin Merkel übel genommen. Wer am Ende allerdings währungspolitisch Recht behalten wird, ist noch keineswegs entschieden.

Außerdem trommelt die französische Regierung gegen den deutschen Kandidaten, weil der konsequent auf der absoluten Unabhängigkeit der EZB besteht, die Paris schon immer ein Dorn im Auge war. Der US-amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger kritisierte Axel Weber wegen dessen angeblicher Halsstarrigkeit sogar als Risiko für den Euro. Amerikanische Zeitungen listen gerne Webers vermeintliche Fehler auf.

Der Bundesbankchef steht jetzt vor seiner größten Bewährungsprobe im stillen Wahlkampf. Sollte Thilo Sarrazin, den Weber nie im Präsidium der Bundesbank haben wollte, aber aus politischen Gründen akzeptieren musste, gegen seinen Rauswurf aus dem Bundesbank-Olymp klagen, dann hätte Axel Weber ein massives Problem. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass Sarrazin vor dem Arbeitsgericht siegen könnte. Dann hätte Weber einen wahren Mühlstein am Hals. Sein inoffizieller Gegenkandidat für den Chefposten bei der EZB würde jubeln: Mario Draghi, zurzeit Notenbankchef in Italien, einem der am höchsten verschuldeten Länder in Europa.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Julia Kuckelkorn