1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Man hat keine Lehren aus Kundus gezogen"

4. September 2010

Vor einem Jahr kamen bei einem von Deutschen angeordneten Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan über 140 Menschen ums Leben. Völkerrechtler Gerd Hankel hat die juristische Aufarbeitung dieses Falles beobachtet.

https://p.dw.com/p/P2g2
Afghanische Soldaten sichern den Schauplatz des Tanklasterangriffs bei Kundus (Foto: AP)
Afghanische Soldaten sichern den Schauplatz des Tanklasterangriffs bei KundusBild: AP

Am 4. September 2009 hatte Bundeswehroberst Georg Klein in Afghanistan den Befehl zum Luftangriff auf zwei von Taliban entführte Tanklaster gegeben. Unter den mehr als 140 Getöteten befanden sich auch viele Zivilisten. Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung beschäftigt sich mit Kriegsverbrechen und Internationalem Strafrecht. Außerdem ist er Verfasser einer Studie über "Gezielte Tötungen im Krieg", die in diesem Herbst erscheinen wird. DW-WORLD.de hat mit dem Völkerrechtler über die juristische Dimension der "Kundus-Affäre" gesprochen.

DW-WORLD.DE: Herr Hankel, warum ist die Aufarbeitung dieses Falles eigentlich so schwierig?

Gerd Hankel: Weil es bei einer Vebrechensdimension wie der vorliegenden sehr schwer ist, eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit zuzuweisen, das heißt, klar zu machen, dass der Beschuldigte Oberst Klein im Wissen darum, dass Zivilisten in einer hohen Zahl getroffen und getötet werden können, gehandelt hat.

Sie sprechen von "Verbrechensdimension". War das ein Verbrechen?

Oberst Georg Klein (Foto: AP)
Oberst Georg KleinBild: AP

Es ist ja zunächst geprüft worden, ob es nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch ein Kriegsverbrechen ist. Doch das setzt voraus, dass der Täter sicher wusste, dass der militärische Vorteil die Zahl ziviler Opfer überwiegt. Das hätte er sicher wissen müssen. Und an dieser Sicherheit, die eben nicht nachweisbar ist, ist das von Anfang an gescheitert. Dann gibt es noch die Möglichkeit, das Verhalten von Oberst Klein nach dem normalen deutschen Strafrecht zu prüfen und zu gucken: Ist es Mord? Ist es Totschlag? Ist es fahrlässige Tötung? Und das wäre es nur dann, wenn er auf der nächsten Stufe der Prüfung auch rechtswidrig gehandelt hätte und sein Verhalten nicht durch das humanitäre Völkerrecht gedeckt gewesen wäre. Das ist es aber nach Aussage der Bundesanwaltschaft gewesen. Das heißt, ihm ist auch keine Fahrlässigkeit in der Einschätzung der damaligen Situation vorzuwerfen.

Es besteht ja die Gefahr, dass dieser Fall im juristischen Klein-Klein zerrieben wird. Kann man das auch im Großen und Ganzen betrachten? Was ist falsch gelaufen an dieser Stelle?

An dieser Stelle ist falsch gelaufen, dass Oberst Klein die Menschen, die dort in der Nähe der Tanklastzüge waren, hätte warnen müssen. Das ist ja auch von den amerikanischen Piloten angeboten worden, dass sie eine Art "Show of Force" machen wollten. Das hat er abgelehnt. Man kann das unterschiedlich bewerten: Man kann mit guten Gründen sagen, er hätte diese Menschen warnen müssen, man kann aber auch sagen, und das wird ja zumindest bei der Bundesanwaltschaft mehrheitlich getan: Wenn er möglichst viele Gegner vernichten wollte, dann kann er nicht vorher warnen, sondern muss gleich angreifen, und das hat er gemacht. Und das steht ihm rechtlich frei, so unerträglich dieser Gedanke auch ist: Er hat sich im Rahmen des geltenden Rechts bewegt.

Es ist ein bisschen so, als merkten wir jetzt erst: Das ist Krieg und wir haben es tatsächlich mit Töten zu tun. Wie passt das zusammen? Kann man Soldaten verbieten, im Krieg zu töten?

Ja, es gibt sogar eine ganze Reihe von Normen, die genau das verbieten, wenn es zum Beispiel um Zivilisten geht. Angehörige der Zivilbevölkerung dürfen nicht getötet werden, es sei denn, sie nehmen an den Kämpfen teil, und zwar unmittelbar. Aber solange sie das nicht tun, darf man keine Zivilisten töten.

Auf der anderen Seite werden Soldaten zum Töten im Krieg ausgebildet. Ist die Ausbildung dort falsch? Sind die Menschen vielleicht nicht mehr feinfühlig genug?

Das Problem ist, dass man in der Tat nach und nach das Gespür dafür verliert, was erlaubt ist und was nicht, und dass man dann dazu neigt, Entscheidungen zu fällen, wie jetzt im Falle des Oberst Klein, die mit dem Kriegsrecht nur noch bei ziemlich weiter Interpretation vereinbar sind. Diese Gefahr besteht in der Tat.

Auch in der Politik ist ja nicht ganz genau definiert, was wir eigentlich in Afghanistan machen: Ist das ein bewaffneter Konflikt? Ist es eine Auseinandersetzung? Oder ist es tatsächlich Krieg?

Das ist ein großes Problem. Ich persönlich bin der Meinung, dass mit den herkömmlichen rechtlichen Instrumentarien sogenannte humanitäre Einsätze - und um einen solchen handelt es sich ja auch in Afghanistan - nicht mehr durchgeführt werden können. Das herkömmliche humanitäre Völkerrecht, also das Kriegsrecht, erlaubt viel zu viel Gewalt. Und diese Gewalt ist kontraproduktiv und trägt nicht dazu bei, dass eine Gesellschaft befriedet wird. Das haben die Amerikaner im Irak erfahren und die Bilanz ist ja dort auch eindeutig, und das erfährt der Westen nun in Afghanistan auch. Das heißt, das humanitäre Kriegsvölkerrecht ist für solche Einsätze überhaupt nicht gedacht.

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg hat sich ja ziemlich lange um den Begriff "Krieg" gedrückt. Er hat ihn dann mit Bezug auf Afghanistan in den Mund genommen. Fehlt den Soldaten vielleicht auch eine gewisse Klarheit bei den Vorgaben aus der Politik?

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Foto: AP)
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu GuttenbergBild: AP

Sicherlich. Klare Vorgaben wären nicht schlecht. Auf der anderen Seite ist es sehr schwer, sich in bestimmten Situationen adäquat zu verhalten, weil Entscheidungen ja auch sehr, sehr schnell getroffen werden müssen. Und da fehlt es an einer klaren Maßgabe dessen, was möglich ist und was nicht. In Deutschland ist die Diskussion ja in eine Richtung gelaufen, die in eine zunehmende Radikalisierung führte. Das heißt, es gab verschiedene Taschenkarten, die Soldaten auf eine eher passive Rolle verpflichteten - zur großen Belustigung der internationalen Gemeinschaft und der Militärverbände aus anderen Ländern in Afghanistan -, und das hat man zusehends verschärft. Und ich vermute, dass auch Oberst Klein in einem bestimmten Verständnis dieser Erlaubnis, die ihm die Taschenkarte gibt, den Befehl gegeben hat. Und sicher wollte er damit auch ein Zeichen setzen: "Die deutschen Soldaten sind keine Pralinésoldaten, wir können das auch!"

Unter dem Strich - ein Jahr ist dieses Ereignis jetzt her: Hat man Lehren daraus gezogen?

So wie es aussieht, hat man bislang keine Lehren daraus gezogen. Man hat zwar eine ganze Reihe von Befehlen formuliert, die besagen, dass die Zivilbevölkerung geschützt werden soll, dass auch bei Angriffen darauf geachtet werden soll, dass es keine Kollateralschäden, wie man das ja nennt, gibt. Allerdings gibt es da - und das ist eine große Schwäche der bisherigen Situation - keine verbindlichen Regelungen. Das heißt: Man geht freiwillig einen Schritt zurück, kann aber jederzeit wieder zur alten Regelung zurückkehren und dann wieder in unbeschränktem Umfang Gewalt anwenden, und das ist der große Nachteil.

Gerd Hankel ist Völkerrechtler und Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Das Interview führte Jörg Brunsmann
Redaktion: Esther Broders / Thomas Latschan