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Sarrazin und die Medien

1. September 2010

Thilo Sarrazin hat mit seinen Thesen über die Integrationsfähigkeit von Muslimen und über die "Gene von Juden" einen Medienhype ausgelöst. Darüber haben wir mit dem Kulturwissenschaftler Claus Leggewie gesprochen.

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Portraitfoto Claus Leggewie (Foto: Karlheinz Schindler/ dpa)
Claus LeggewieBild: picture-alliance/ ZB

DW-WORLD.DE: Herr Leggewie, warum regen sich die Deutschen über die Thesen des Herrn Sarrazin so sehr auf? Hier herrscht doch Meinungsfreiheit.

Claus Leggewie: Ja gewiss. Meinungsfreiheit heißt ja nicht, dass ich mich nicht aufregen darf. Zur Meinungsfreiheit gehört dann auch, dass ich mich zurück aufrege, wenn jemand meiner Meinung nach unsinnige, schlecht begründete und in ihrer politischen Wirkung fatale Äußerungen macht. Jean Paul Sartre hat einmal den schönen Satz gesagt, dass der Antisemitismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen.

Aber warum stürzen sich die Medien so auf Herrn Sarrazin und sein Buch: liegt das nur an seinen Äußerungen, oder sind das die letzten Reste des "Sommerlochs"?

Ich glaube, dass es ein personalisiertes Interesse gibt, das heißt, wir stürzen uns auf Themen, wenn sie mit einer interessanten Story über eine Person verbunden sind. Also hier ist ein ehemaliger Finanzsenator und Bundesbanker, der einen Ausfall gegen eine bestimmte Art von Migrationspolitik der letzten Jahrzehnte macht. Das interessiert das Fernsehen mit seinen Talkshows, das interessiert aber auch die anderen Medien, weil es kurzfristig einen hohen Nachrichtenwert hat, weil es skandalisierend wirkt, eine Person kann angeklagt, aber auch zum Märtyrer erklärt werden, was wiederum Sympathie und Antipathie erzeugt.

"Es gibt eine ausgeprägte Islamkritik"

Das Ganze hat weniger mit Inhalten zu tun, sondern eher mit medialer Aufbereitung. Ich glaube, dass an Sarrazin sich viele Geister scheiden können, und das ist das, was sowohl die Medien interessiert als auch die Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre Meinung in der veröffentlichen Meinung nicht vorkommt. Viele Menschen, die dem Islam kritisch gegenüber stehen, haben das Gefühl, dass man in Deutschland den Islam nicht kritisieren dürfe, weil es eine Riege von Gutmenschen oder politisch korrekten Politikern gibt, die das nicht zulassen. Das ist natürlich völlig falsch, denn es gibt eine sehr ausgeprägte Islamkritik. Aber auch Leute, die aus völlig anderen Gründen das Gefühl haben, von der Politik nicht wahrgenommen zu werden, haben jetzt offensichtlich das Thema ausgewählt um zu sagen: "Hier spricht endlich mal ein Volkstribun für uns!"

Spielt Herr Sarrazin selbst dabei eine bestimmte Rolle? Immerhin gehört er nicht zur rechten Schmuddelecke?

Sein Gedankengut ist rechts, wenn nicht rechtsradikal. Das ist ja auch schon wieder verboten, das zu sagen, weil das für viele diffamierend ist, nur weil er in der SPD ist. Deren Integrationspolitik ist in den letzten Jahrzehnten nicht gerade durch Liberalität oder links sein ausgezeichnet gewesen, sondern es war auch eine protektionistische Politik gegen Einwanderung. Und die Tradition, die Herr Sarrazin innerhalb der SPD verkörpert, ist dort durchaus weit verbreitet. Allerdings gibt es auch in anderen Parteien genauso Ablehner wie Befürworter.

"Vergiftung des Zusammenlebens"

Was bedeuten die Thesen Sarrazins für die Integrationspolitik Deutschlands und das Zusammenleben zwischen Deutschen und Muslimen?

Für das erste nichts, weil es kein sinnvoller Diskussionsbeitrag ist, es fällt ja weit hinter das zurück, was in der Integrationspolitik seit Jahren diskutiert wird und wo es auch effektive Verbesserungen gibt. Wir haben uns zum Beispiel darauf geeinigt, dass man Kinder von Einwanderern möglichst frühzeitig in die Kindergärten und ins Bildungssystem einbezieht und sie nicht außen vor lässt, wie das lange Jahre auch gewollt war. Zum Zweiten kann ich nur sagen: es vergiftet das Zusammenleben. Es führt zu den Reaktionen, die jetzt als Belege dafür angeführt werden, dass Herr Sarrazin recht hat. Seine Beiträge führen sicherlich nicht zu einer Versachlichung und zur Beruhigung der Diskussion, sondern es wird mehr und mehr Hass produziert in unserer Einwanderungsgesellschaft. Von beiden Seiten. Die islamophoben Kritiker sind in vieler Hinsicht vollständig aggressiv und verhasst und die Gegenreaktion aus dem, was wir "Parallelgesellschaft" nennen, ist ebenso hasserfüllt und gewalttätig.

Das Gespräch führte Klaus Gehrke

Redaktion: Conny Paul