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DVD-Tipp: Romy Schneider in "Die Hölle"

Jochen Kürten
2. September 2010

Fragmente einer Kinofantasie - Der Film des Regisseurs Henri-Georges Clouzot blieb unvollendet. 40 Jahre später ist aus den damals gedrehten Sequenzen eine Dokumentation entstanden. In der Hauptrolle: Romy Schneider.

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Romy Schneider raucht - Szene aus 'Die Hölle' (Foto: Kinowelt)
Bild: Kinowelt

Es gibt ein paar Ruinen der Filmgeschichte, die wurden im Lauf der Jahrzehnte zur Legende. Filme, die aus den verschiedensten Gründen nicht fertig gedreht wurden, die in der Kinohistorie aber deutliche Spuren hinterlassen haben. "Die Hölle" ist so ein unvollendet gebliebenes, legendäres Werk, das man nun nach vielen Jahren entdecken kann - zumindest die Teile, die damals tatsächlich gedreht wurden, ergänzt durch Interviews und nachgedrehte Dialogszenen.

Henri-Georges Clouzot war bereits 1964 einer der erfolgreichsten französischen Filmemacher. Der Abenteuerfilm "Lohn der Angst" war ein Welterfolg. Der Thriller "Die Teuflischen" hatte ihm den Titel "französischer Hitchcock" eingebracht. Später, als die jungen Regisseure der "Nouvelle Vague" mit ihrer Experimentierfreude das Kino revolutionierten, rang Clouzot um Anschluss. Der Regisseur wurde damals von den jungen Rebellen des französischen Kinos schon zum alten Eisen gezählt. Der Film "Die Hölle" mit all seinen Experimenten sollte wohl auch eine Antwort auf diese Schmähungen sein.

Georges Clouzot und sein Star Romy Schneider bei den Dreharbeiten zu 'Die Hölle' (Foto: Kinowelt)
Am Set: Regisseur Henri-Georges Clouzot und sein Star Romy SchneiderBild: Kinowelt

"Die Hölle" (1964/2009)

Es ist dem Regisseur Serge Bromberg zu verdanken, dass wir uns heute ein Bild von Clouzots kühnem Filmabenteuer aus den 60er Jahren machen können. Bromberg überredete die Witwe Clouzots vor ein paar Jahren, die Dosen mit dem unveröffentlichten Film freizugeben. Aus den über 13 Stunden Material fertigte Bromberg "die Geschichte" dieses unvollendeten Meisterwerks, sprach mit den heute noch lebenden Beteiligten, drehte ein paar Dialoge nach, die damals nicht aufgenommen wurden und montierte das Ganze zu einem aufregenden Stück Filmgeschichte.

In "Die Hölle" wollte Clouzot zunächst eine durchaus konventionelle Eifersuchtsgeschichte erzählen: An einem Badesee in der Auvergne hat sich ein Paar, Odette und Marcel (Romy Schneider und Serge Reggiani) ein Urlaubshotel gekauft. Marcel steigert sich im Verlaufe der Geschichte in eine wahnhafte Eifersucht - seine schöne junge Frau scheint in seiner Phantasie von Liebhabern umgeben. Diese Phantasieszenen drehte Clouzot in Farbe, die "realen" Sequenzen waren dagegen in scharf konturiertem Schwarz-Weiß aufgenommen worden.

Krankhafte Eifersucht

Lichteffekt mit Romy Schneider - Szene aus 'Die Hölle' (Foto: Kinowelt)
Bild: Kinowelt

Es sind vor allem die Wahnvorstellungen des Mannes, die das Filmfragment der "Hölle" heute noch so faszinierend machen. Romy Schneider ist in unglaubliche Licht- und Farbeffekte getaucht, vielerlei optische Tricks machen aus ihr Vamp und Hure. Zusätzliche Toneffekte sorgen dafür, dass die krankhaften Eifersuchtsanfälle des verzweifelten Mannes zu einer psychedelischen Reise in den Wahnsinn werden. Hier ist "Die Hölle" Spiel- und Experimentalfilm zugleich, ein überbordendes Filmexperiment voll überraschender Einfälle und Tricks.

Leider blieb der Film Fragment. Erst wurde der Hauptdarsteller krank und stieg aus dem Projekt aus, dann erlitt Clouzot einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt und musste ein Jahr pausieren. Zuvor hatte er das ganze Team mit seinem Perfektionswahn an den Rande der Verzweiflung getrieben, Einstellungen immer wieder neu drehen lassen, drei komplette Kamerateams beschäftigt. Dass die coproduzierende amerikanische Firma ihm ein unbegrenztes Geldbudget zu Verfügung gestellt hatte, erwies sich im Nachhinein als katastrophaler Fehler. Nach dem Abbruch der Dreharbeiten verschwanden die 183 Büchsen mit Filmmaterial dann im Archiv. Bis Serge Bromberg den Film nun "wiederbelebte".

"Seine Gefangene" (1968)

Nachdem sich Clouzot von seinem Infarkt erholt hatte, drehte er vier Jahre später noch einen einzigen Spielfilm, der - obwohl fertig gestellt - lange Zeit ebenso vergessen war wie das Fragment der "Hölle". Viele Elemente des zuvor nicht beendeten Films wurden hier wieder aufgegriffen, die Spielereien mit Farbe und Lichteffekten, die Experimente mit Kunst und Kino. "Seine Gefangene" erzählt eine Dreiecksgeschichte, eine Amour fou: Josée, die junge Frau des Künstlers Gilbert, verliebt sich in den erfolgreichen Galeristen Stanislas. Im Paris der ausgehenden 60er Jahre wird gerade die kinetische Kunst als der letzte Schrei gefeiert.

Frau in Galerie mit kinetischen Kunstwerken - Szene aus 'Seine Gefangene' (Foto: Kinowelt)
Im Irrgarten der kinetischen Kunst: Odette (Elisabeth Wiener)Bild: Kinowelt

Die Beziehung zwischen Stanislas und Josée steuert auf eine Katastrophe zu: Stanislas experimentiert als Fotograf mit Aktmodellen, Josée zeigt sich zunächst ebenso fasziniert wie abgestoßen, verlässt dann aber Gilbert und versucht mit Stan eine "normale" Beziehung aufzubauen. Doch der ist dazu kaum fähig. Seine masochistischen und sadistischen Neigungen haben sich längt verselbstständigt.

Clouzot hat aus dem Stoff einen überraschenden Liebesfilm über Voyeurismus und Abhängigkeit, über Liebeswahn und Verhängnis gedreht. Auch wenn die visuellen Tricks des Films hier in die Handlung eingebaut sind - die kinetische Kunst in der Galerie dient als Hintergrund - und die filmischen Experimente deshalb ein wenig plakativer erscheinen als in der "Hölle" - so ist der Film über weite Strecken ein faszinierendes Melodrama aus der Zeit, als Farben, Musik und Psychedelik noch die Kunst beherrschten.

Serge Brombergs Film über "Die Hölle" und Clouzots "Seine Gefangene" liegen mit zahlreichen Extras in einer DVD-Box beim Anbieter "Kinowelt/Arthaus" vor.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Gaby Reucher