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"Wir wollen uns nicht mehr verstecken"

25. August 2010

Das neue Internetportal Qadita.net bricht ein Tabu: Es spricht offen über Homosexualität in der arabischen Welt. Dabei zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Schwule Künstler haben dort eine lange Tradition.

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Küssende Männer (Foto: AP)
Küssen in der Öffentlichkeit: In der arabischen Welt ein TabuBild: picture-alliance/dpa
Screenshot von www.qadita.net
Sieht auf den ersten Blick wie andere arabische Seiten aus: Qadita.netBild: www.qadita.net/

Das neue Internetportal Qadita.net sieht auf den ersten Blick aus, wie viele andere arabische Webseiten. Aber wer genauer hinsieht, bemerkt, dass Qadita.net ein lang gehegtes Tabu in der arabischen und islamischen Welt bricht: Auf der Webseite veröffentlichen schwule arabische Autoren unter Pseudonymen ihre Erzählungen und Gedichte in einer speziellen Rubrik, die - zumindest für Insider eindeutig - mit Regenbogenfarben gekennzeichnet ist.

Das neue Portal, das von Palästinensern in Israel betrieben wird, möchte im arabischsprachigen Webseiten-Dschungel eine Plattform "jenseits aller religiösen, politischen und sozialen Fesseln" anbieten, erklärt Rasha Hilwi, Redakteurin bei Qadita.net. Man wolle an Tabus rütteln, sensible Themen anpacken und den Usern gedankliche Freiheitsräume eröffnen.

Der Initiator des Projekts, Ala Hlehel, hat das neue Internetportal als eine freie Plattform konzipiert: Alle Autoren können jenseits von Zensur, kommerziellen, politischen und religiösen Einschränkungen zu Wort kommen. Ihr Standard, so sagt er, laute: "Jeder hat das Recht, seine Artikel zu veröffentlichen, solange die Qualität stimmt."


Gefährliches Outing

Raji Bathish, Redakteur Qadita.net (Foto: Raji Bathish)
Gegen das Patriachat: Raji BathishBild: Raji Bathish

Damit rüttelt Qadita.net an einem gesellschaftlichen Tabu: Zwar handelt es sich nicht um das erste Magazin in der arabischen Welt, das Homosexuelle zu Wort kommen lässt - in Marokko gibt es seit Mai sogar ein Online-Magazin speziell für Gay-Themen - Mut gehört aber auf jeden Fall dazu: Homosexualität wird in der öffentlichen Meinung arabischer Länder oft als "westlicher Import" diskreditiert, sie gilt weithin als unmoralisch oder fehlgeleitetes Verhalten. In einigen Ländern wird sie sogar mit dem Tod bestraft.

Doch Redakteurin Rasha hat auch politische Gründe: Sie sei Palästinenserin und als solche strebten sie und ihr Volk nach individueller und kollektiver Freiheit. "Und genau deshalb, finde ich, müssen wir uns auch für die persönliche Freiheit unserer Mitmenschen engagieren", fügt sie hinzu.

Im Fokus der Kritik

Das sieht allerdings nicht jeder so. Schon vor seinem Start Mitte August wurde das Portal zur Zielscheibe heftiger Kritik aus konservativen Kreisen. Und zwischenzeitlich war das Angebot nach Angaben der Qadita.net-Redaktion in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien gesperrt. Doch Raji Bathish, Redakteur der Gay-Rubrik bei Qadita.net, will sich davon nicht entmutigen lassen. "Die patriarchalische Dominanz in unseren Gesellschaften will einfach nicht akzeptieren, dass zehn Prozent der arabischen Gesellschaften homosexuell sind", empört er sich, "wir wollen uns nicht mehr verstecken, sondern zeigen, dass auch nicht-heterosexuelle Menschen ihre Gesellschaften durch Literatur und Kunst bereichern können!"

Rasha Hilwi, Redakteurin Qadita.net (Foto: Ehab Shukha)
Will politische und indviduelle Freiheit: Rasha HilwiBild: Ehab Shukha


Lange Tradition

Bathish knüpft hier an durchaus vorhandene Traditionen an: Insbesondere in der islamischen Literatur der Vergangenheit haben Homosexuelle deutliche Spuren hinterlassen. In der Zeit der Abbasiden-Dynastie von 749 bis etwa 1258 waren schwule Dichter berühmt für Gedichte über die Freuden des Weins und der Knabenliebe. Obwohl Teil des arabischen Kulturerbes, würden solche Werke seit Jahrzehnten zunehmend an den Rand gedrängt, erklärt Bathish: "Die Entwicklung des Patriarchats hat in den letzten Jahrhunderten einen dunklen Schatten auf sie geworfen. Homosexualität bedroht die Autorität. Deshalb wird sie unterdrückt."

Auto: Emad M. Ghanim

Redaktion: Ina Rottscheidt