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Startschuss für anonyme Bewerbungen

25. November 2010

Damit Ausländer, ältere Menschen und Mütter mit Kleinkindern bei der Jobsuche nicht benachteiligt werden, testen Firmen und Behörden in Deutschland die anonyme Bewerbung. An diesem Donnerstag startet das Pilotprojekt.

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Bewerbungsmappe (Foto: Bilderbox)
Bild: BilderBox

Landet die Bewerbung von Ali oder Mehmet auf dem Schreibtisch eines Personalchefs, wird sie vermutlich aussortiert. Egal wie gut die Zeugnisse sind. Die identische Bewerbung, abgeschickt von Peter oder Hans, führt eher zum Erfolg, also zum Vorstellungsgespräch. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn (IZA).

"Allein ein türkischer Name kann dazu führen, dass die Chancen auf ein persönliches Vorstellungsgespräch um bis zu ein Viertel sinken", sagt Ulf Rinne vom IZA. In der Studie hatten die Bewerber mit deutschen Namen durchschnittlich etwa 14 Prozent höhere Chancen, zum Gespräch eingeladen zu werden. "In der ersten Stufe des Bewerbungsverfahrens gibt es also eine substanzielle Diskriminierung", so der Volkswirt Rinne.

Kein Foto, kein Alter, kein Familienstand

Christine Lüders (Foto: picture-alliance/dpa)
Christine LüdersBild: picture alliance / dpa

Und es sind nicht nur Bewerber mit ausländischem Namen, die benachteiligt werden. Erhebungen zeigen, dass auch Frauen und vor allem Mütter, Behinderte oder ältere Menschen in Bewerbungsverfahren schlechtere Chancen haben – ganz gleich, wie gut sie ausgebildet sind. Christine Lüders, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes leitet, hat ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, das an diesem Donnerstag (25.11.2010) startet. An dem einjährigen Testlauf beteiligen sich fünf Unternehmen - darunter die Telekom und die Post - sowie das Bundesfamilienministerium und die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen.

"Foto, Alter, Familienstand – all das hat in der anonymen Bewerbung nichts zu suchen", erklärt Christine Lüders. So soll verhindert werden, dass Unterlagen von Migranten oder älteren Bewerbern von vorneherein aussortiert werden. "Wenn ein Bewerber diese Hürde genommen hat und erstmal im Vorstellungsgespräch sitzt, dann verliert so manches Vorurteil seinen Wert", so Lüders.

"Die Wirtschaft soll sich nicht aufregen"

Viele Arbeitgeber sind allerdings nicht begeistert. Sie befürchten zu viel Bürokratie, weil es vermutlich ohne eine neutrale Zwischenstelle nicht gehen wird. "Der Aufwand, neue Stellen zu besetzen, wird wesentlich größer", so Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Christine Lüders verteidigt dagegen das Projekt: "Die Wirtschaft soll sich nicht aufregen und diesem Pilotprojekt erstmal eine Chance geben." Das Verfahren sei freiwillig und sie habe auch nicht vor, die anonyme Bewerbung gesetzlich vorzuschreiben.

Oliver Sonntag (Foto: L'Oreal)
Oliver SonntagBild: L'Oréal

Zu den Freiwilligen, die an dem Pilotversuch teilnehmen, gehört auch der Kosmetik-Konzern L'Oréal. "Wir wollen unbewusste Entscheidungen bei der Personalauswahl verhindern", sagt Personaldirektor Oliver Sonntag. International gemischte Teams, in denen Frauen, Männer, ältere und jüngere Kollegen zusammenarbeiteten, seien besonders erfolgreich. Auch deshalb sei es im Interesse des Unternehmens, Diskriminierung im Bewerbungsverfahren zu auszuschalten.

"Die anonyme Bewerbung wird uns klar dabei helfen, viele verschiedene Menschen kennen zu lernen und sie aufgrund ihrer Qualifikation auszuwählen." Doch was passiert im Vorstellungsgespräch: Werden die Vorurteile nicht spätestens dann wieder wirksam? Nein, meint der Personaldirektor von L'Oréal: "Im persönlichen Gespräch kann jeder auf sein Können, seine Motivation und seine Energie aufmerksam machen, da besteht Chancengleichheit", so Oliver Sonntag.

Kein deutsches Phänomen

Logo des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA)
Das Institut zur Zukunft der Arbeit erstellte die Studie

Auch der Volkswirt Ulf Rinne vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn ist davon überzeugt, dass nicht nur die Jobsuchenden von der anonymen Bewerbung profitieren: "Es sollen doch die fähigsten Bewerber die offenen Stellen bekommen. Wenn aber Diskriminierung dazu führt, dass genau das nicht passiert, dann ist das ein gesamtwirtschaftliches Problem, das zu Wohlfahrtsverlusten führt."

Diskriminierung im Bewerbungsverfahren ist übrigens kein deutsches Phänomen, sondern kommt in vielen Ländern vor. In den USA ist die anonyme Bewerbung deshalb schon lange selbstverständlich, Frankreich und die Schweiz testen derzeit entsprechende Verfahren. Ein ähnliches Projekt in Göteborg in Schweden hat kürzlich ergeben, dass die anonyme Bewerbung offenbar wirkt: Dort hatten Frauen und Ausländer deutlich bessere Chancen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Autorin: Monika Dittrich
Redaktion: Christian Walz