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Gezieltes Töten und das Völkerrecht

28. Juli 2010

Nach den WikiLeaks-Veröffentlichungen diskutiert Deutschland über das gezielte Töten von Menschen im Krieg. Gemeint ist die Liquidierung von ausgewählten Zielpersonen. Was sagt das humanitäre Völkerrecht dazu?

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Symbol der ISAF auf dem Rucksack eines liegenden Soldaten in Südafghanistan (Foto: AP)
Bild: AP

Die rund 92.000 überwiegend geheimen WikiLeaks-Dokumente bestätigen, dass eine US-Einheit namens "Task Force 373" existiert und Spezialaufträge ausführt. Dazu gehört im Einzelfall auch das gezielte Töten ("targeted killing") von Menschen. In den Dokumenten finden sich viele Hinweise auf die Existenz einer "Joint Prioritized Effects"-Liste (JPEL) der Alliierten in Afghanistan. Sie legt fest, welche Aufständischen festgesetzt und welche Aufständischen liquidiert werden sollen.

Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat die US-Dokumente lange vor der Veröffentlichung bei WikiLeaks gemeinsam mit der "New York Times" und dem britischen "Guardian" einsehen können und kommt zu dem Schluss:

"Nirgendwo in den Dokumenten ist diese Liste vollständig abgedruckt, doch aus tausenden Berichten lassen sich insgesamt 84 Meldungen über JPEL-Aktionen herausfiltern."

Zwei Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr trainieren mit der Waffe im Anschlag (Foto: AP)
KSK-Soldaten trainieren für den EinsatzBild: AP

Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums beteiligen sich Bundeswehrsoldaten nicht an der gezielten Tötung führender Taliban. Oppositionspolitiker der Grünen und der SPD fordern trotzdem Aufklärung über die Spezialkommandos, die auch im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan unterwegs sind. Namentlich genannt werden in den Anfragen der Opposition die "Task Force 373" und ein geheimes, deutsches Kommando namens "Task Force 47". Unbestritten ist, dass Bundeswehrsoldaten vom "Kommando Spezialkräfte" (KSK) am Hindukusch im Einsatz sind.

Das humanitäre Völkerrecht

Grundsätzlich gilt im Krieg das humanitäre Völkerrecht, das die Rechte der Kriegsführung zusammenfasst. Das humanitäre Völkerrecht soll im Krieg oder in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten dafür sorgen, dass Zivilisten den bestmöglichen Schutz genießen.

Afghanistan fällt in die Kategorie "nicht-internationaler bewaffneter Konflikt". Dort kämpfen keine Staaten gegeneinander, sondern eine internationale militärische Allianz kämpft gegen Taliban, El Kaida und ihre Verbündeten.

Das humanitäre Völkerrecht erlaubt das gezielte Töten im Krieg. "Auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist die gezielte Tötung von Kombattanten oder Kämpfern erlaubt. Aber die Tötung von Zivilpersonen, wenn sie nicht gerade direkt an den Kampfhandlungen teilnehmen, ist nicht erlaubt", sagt Völkerrechtler Michael Bothe von der Frankfurter Goethe-Universität.

Aber diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten im Kriegsrecht greife in Afghanistan nicht, schränkt Bothe sofort ein, "weil der Status derer, die da gezielt getötet werden, oft unklar ist". Deswegen findet er die laufende Diskussion in Deutschland sehr wichtig und nötig.

Keine klaren Fronten

Die rechtliche Grauzone beginnt an dem Punkt, an dem das humanitäre Völkerrecht mit den modernen asymmetrischen Terror-Kriegen ohne klare Fronten nicht mehr Schritt halten kann. Karin Oellers-Frahm vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg betont, dass die Genfer Konventionen vorschreiben, dass sich Kombattanten deutlich durch ihre Uniformen zu erkennen geben müssen. "Aber das findet heutzutage in modernen Terrorkriegen nicht mehr statt."

Verhaftete Taliban an der afghanisch-pakitanischen Grenze (Foto: AP)
Kämpfer oder Zivilisten?Bild: AP

Stattdessen, sagt Oellers-Frahm, "nutzen die Kämpfer ganz bewusst aus, dass der Schutz von Zivilpersonen ein besonderes Anliegen der Kriegsführung ist". Taliban und El-Kaida-Kämpfer tragen keine Uniform und mischen sich oft unter die Zivilbevölkerung, um verdeckt zu agieren. Oder die Kämpfer benutzen die Zivilbevölkerung während der Kampfhandlungen direkt als Schutzschild. "Daraus resultieren dann auch solche Kommando-Operationen", sagt die Heidelberger Völkerrechtlerin, "um möglicherweise verheerende Angriffe präventiv abzuwenden."

Oellers-Frahm denkt dabei auch an die Bombardierung von zwei entführten Tanklastern im Raum Kundus Anfang September 2009. Ein deutscher Oberst hatte den Luftangriff damals in Auftrag gegeben. Dabei waren bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Zivilisten. Die Quellen schwanken zwischen 56 und mindestens 70 Menschen. "Die Bombardierung der Tanklastwagen in Kundus nachts um halb eins war kein offener Kampf. Aber es war auch nicht zu vermuten, dass sich um diese Uhrzeit viele Zivilpersonen in der Gegend aufhalten", argumentiert die Völkerrechtlerin. Es sei allerdings zu erwarten gewesen, "dass die beiden Tanklastwagen für einen Angriff benutzt werden. Deswegen kann man es in diesem Einzelfall rechtfertigen, sie zu beschießen".

So entschied auch die Bundesanwaltschaft und stellte die Ermittlungen gegen den betroffenen Bundeswehroberst ein.

Der Fall Mullah Omar

Steckbrief des Taliban-Führers Mullah Omar (Foto: AP)
Steckbrieflich gesuchtBild: AP

Auf die Frage, ob das humanitäre Völkerecht die gezielte Tötung des Taliban-Führers Mullah Omar decken würde, fällt die Antwort von Oellers-Frahm eindeutig aus. Omar ist seit dem Sturz des Taliban-Regimes im Herbst 2001 abgetaucht.

"Wer fernab irgendwo sitzt und nicht an Kämpfen teilnimmt, der kann nicht als Kombattant bezeichnet werden", sagt Oellers-Frahm. "Er ist nicht in Kampfhandlungen verwickelt. Also kann er auch nicht gezielt getötet werden."

Ein Fazit

Soldaten in asymmetrischen Kriegen kämpfen nicht nur unter Stress gegen Kombattanten, die von Zivilisten nicht zu unterscheiden sind. Sie kämpfen auch in einer rechtlichen Grauzone, in der sie die Politik alleine lässt. Daran ändert auch der verstärkte Einsatz von unbemannten Drohnen nichts, die immer wieder losgeschickt werden, um wichtige Führer der Aufständischen in Afghanistan und im pakistanischen Grenzgebiet auszuschalten.

In Deutschland kommt erschwerend hinzu, dass sich die Bundesregierung lange geweigert hat, den Afghanistan-Einsatz als "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" zu bewerten. Das humanitäre Völkerrecht greift aber nur im Krieg.

Doch die humanitären Regeln der Kriegsführung versagen, sobald die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilpersonen nicht mehr möglich ist. Oft können Kommando-Aktionen erst im Nachhinein richtig eingeschätzt werden. Das aber bringt dann die getöteten Zivilisten nicht zurück.

Autorin: Sandra Petersmann

Redaktion: Kay-Alexander Scholz