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Fußball ist Integrationsmotor

7. Juli 2010

Auch unter Einwanderern in Deutschland grassiert das Fußballfieber. Viele Migranten drücken der deutschen National-Elf für die FIFA-WM die Daumen.

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Deutsche Fußballfans (Foto: apn)
Bild: AP

Neukölln gilt als Problemstadtteil in Berlin: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Ausländeranteil ebenfalls. In dem Bezirk wohnen Menschen aus gut 160 Nationen zusammen. Ausgerechnet hier, genauer an der Sonnenallee, hängt zurzeit die wohl größte Deutschland-Fahne in der Hauptstadt.

Berlins größte Deutschlandfahne im Stadtteil Neukölln (Foto: DPA)
Berlins größte Deutschlandfahne im Stadtteil NeuköllnBild: picture alliance/dpa

Die beiden deutsch-libanesischen Brüder Ibrahim und Youssef Bassal haben sie gehisst. 17 mal 5 Meter misst die schwarz-rot-goldene Flagge. Mit ihr wollen die Brüder ihre Freude über den deutschen WM-Erfolg zeigen. Die deutsche Fahne habe nicht nur eine Farbe, sie habe drei. Für Ibrahim Bassal ist das eine Parallele zur National-Elf. Die habe auch verschiedene Farben und sei eben Multikulti.

In der Tat: Die Spieler der deutschen National-Elf mit Migrationshintergrund könnten bei der FIFA-WM 2010 ein eigenes Team bilden: Elf von ihnen haben ausländische Wurzeln. Sie haben maßgeblich zum Erfolg der deutschen Mannschaft beigetragen. Drei der Nationalkicker wurden in Polen geboren: Lukas Podolski, Miroslaw Klose und Piotr Trochowski. Jerome Boatang hat Wurzeln in Ghana, Dennis Aogo in Nigeria. Sami Khediras Vater stammt aus Tunesien und die Eltern von Mesut Özil und Serdar Tasci kommen aus der Türkei. Marko Marin kam in Bosnien-Herzegowina zur Welt. Der Vater von Mario Gomez stammt aus Spanien. Und Claudemir Jeronimo Barreto, besser bekannt als Cacau, wurde in Sao Paolo in Brasilien geborenen.

Fußballer als Vorbilder

Der Neuköllner Fahnenschmuck ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Migranten über den bisherigen deutschen Fußball-Erfolg freuen. Die Zusammensetzung des DFB-Teams trage in Deutschland stark zur Identifikation mit der Mannschaft bei, sagt der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, Safter Çinar, der auch Migrationsbeauftragter des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist.

Ähnlich sieht das Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Spieler mit Migrationshintergrund seinen Vorbilder für die, die deutschstämmig sind, genauso, wie für die, die sich in unser Land integrieren wollen.

Rapper Bushido (Foto: dpa)
Rapper BushidoBild: picture-alliance/dpa

In der Kabine des deutschen Teams ist vor dem Spiel immer wieder auch Musik des Rappers Bushido zu hören, der ein WM-Lied für die Nationalmannschaft geschrieben hat: "Fackeln im Wind". Ihn verbindet mit dem Spieler Sami Khedira, dass auch sein Vater aus Tunesien stammt. "Wir sind Deutschland und auch wir sind deutsche Gesichter", sagte Bushido der ARD. Das Problem sei nur, dass man dies in einigen Bereichen in Deutschland noch nicht akzeptiert habe.

Spiegelbild der Gesellschaft

Experten sind allerdings skeptisch, ob aus dem multikulturellen Taumel mehr als ein Sommermärchen wird. Aus Sicht von Mario Peucker vom Europäischen Forum für Migrationsstudien an der Universität Bamberg zeigt die multiethnische DFB-Elf immerhin, dass ein Pluralisierungsprozess in Deutschland abläuft. Sport und speziell Fußball seien ein Spiegelbild der Gesellschaft. Anders als früher seien jetzt Menschen, die gar nicht dem ethnisch-deutschen Bild entsprechen, Sympathieträger und Identifikationsfiguren. Die Nationalspieler würden auch in den Medien ein sehr positives Bild von Migranten abgeben, so Migrationsforscher Peucker im Hessischen Rundfunk. Allerdings seien Fußball und andere gesellschaftliche Bereiche doch sehr unterschiedlich und weit voneinander entfernt, sodass man die Rolle dieses Sports bei der Integration nicht überwerten sollte.

Fußballexperte Dietrich Schulze-Marmeling (Foto: DPA)
Fußballexperte Dietrich Schulze-MarmelingBild: picture-alliance/Defodi

Auch Dietrich Schulze-Marmeling sieht positive Aspekte. Der Sachbuchautor ("Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft") aber warnte im Südwestrundfunk ebenfalls vor zu großer Euphorie. In Frankreich habe man, als das Land 1998 mit einer Multikulti-Truppe Weltmeister wurde, von einem neuen Republikanismus gesprochen, der auch die Migrantenkinder integrieren würde. Nach dem vorzeitigen Aus und den Mannschaftsquerelen bei der laufenden WM habe man das Gefühl, dass nun genau die Migrantenkinder als Sündenböcke herhalten müssten.

Flaggenschmuck für 1500 Euro

Zurück nach Neuköln: Auch wenn man kaum noch aus dem Fenster schauen kann, weil alles schwarz-rot-gold verhüllt ist, im Haus der Brüder Bassal machen alle bei der Beflaggungsaktion mit. Doch die Fahne hat auch Gegner: Zwei Mal schon haben vermutlich linksextreme Vermummte an der Flagge gezerrt und gezündelt. Doch Ibrahim und Youssef Bassal lassen sich von solchen - wie sie sagen - "komischen Deutschen" nicht die Stimmung vermiesen.

Schon insgesamt 1500 Euro haben die beiden investiert, damit die maßgeschneiderte Riesenflagge die Fassade ihres Hauses ziert. Und um die Fahne bis zum Ende der Fußballweltmeisterschaft zu schützen, schieben die Brüder sogar nachts Wache.

Autor: Arnd Riekmann

Redaktion: Kay-Alexander Scholz