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Das Singen des Waldes

9. Mai 2010

Der Amazonas lockte Wissenschaftler, Missionare und Glücksritter in den Regenwald auf der Suche nach Erfolg. Die Ureinwohner wurden einfach bekämpft. Ein Musiktheaterprojekt bringt den Amazonas in München auf die Bühne.

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Portrait von Walter Raleigh auf Leinwand im Hintergrund der Bühne projeziert (Foto: Regine Körner)
Bild: Regine Körner

Nein, es tanzen oder singen keine indianischen Ureinwohner. Es sitzt auch kein Papagei auf der Bühne. Flussgeplätscher begleitet das Orchester; Motorsägen rasseln. Eine Trias von drei selbstständigen Teilen zu je 60 Minuten lädt das Publikum ein, sich ein ganz neues Bild vom längsten Fluss der Welt zu machen. Drei Kurzopern aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln und medialen Techniken. Mit Sängern, Performern und Orchestermusikern ein eher traditioneller Ansatz für die Umsetzung der Inhalte: Angefangen vom Entdeckerdrang eines Walter Raleighs im 16. Jahrhundert über die Lebensphilosophie der heute im Grenzgebiet zu Venezuela lebenden Yanomami bis hin zur globalen Bühnenkonferenz gegen die Ausbeutung der Regenwälder.

Künstler auf der Bühne im Spotlight (Foto: Regine Körner)
Teil II des Künstlers Tato TabordaBild: Regine Körner

Der Blick des Anderen

Vom eurozentrischen Standpunkt hatte man sich schon vor Jahren auf der Münchner Biennale für neues Musiktheater verabschiedet. Man hatte sich - mit mehr oder weniger Erfolg - durch die japanische Dichtkunst "Haiku" auf postmodernen Klangflächen oder durch indisch-europäischen Minimalismus gespielt. In diesem Jahr gibt es einen neuen Anlauf unter dem Motto: "Der Blick des Anderen". Der Blick auf den Amazonas. Dass es ein manchmal zäher Weg voller Diskussionen, Reisen, Konferenzen und intensivem Networking mit den zahlreichen Mitwirkenden werden würde, war Klaus Schedl, dem Komponisten von Teil I: "Tilt", bereits am Anfang klar. Erst allmählich kristallisierte sich in den Gesprächen heraus, welche mediale Umsetzung angemessen sein könnte. Der Grund: Anders als bei den visuell dominierten Westeuropäern existiert bei den Urvölkern eine hochspezialisierte Hörtradition, so Davi Kopenawa, Schamane und Präsident der Hutukara Associacao Yanomami. Und während in Europa Wert auf Individualismus gelegt wird, gilt der Einzelne in Demini/Watoriki, dem Dorf der Yanomami, wenig.

Eine Gratwanderung

Eine Oper über den Mythos Amazonas zu schreiben sei eine Gratwanderung, ein Spagat, sagt Tato Taborda, Komponist von Teil II. Einerseits dürfe man nicht in Ethno-Kitsch verfallen, andererseits nicht die Moralkeule schwingen. Dass es jetzt drei von einander unabhängige Teile gibt, ließe mehr Spielraum, so Taborda. Anders als Schedl, der den Kolonialstil des Expeditionsberichtes von Walter Raleigh emotionsgeladen bis wütend vertont, plätschert in Tabordas Komposition "A Queda do Céu/ Der Einsturz des Himmels" ab und an doch der Fluss durch die überlieferten Gesänge der Yanomami. Das Publikum schlendert dazu durch einen Wald aus bodenlangen Leinwänden, den lange Sonnenstrahlen erhellen. Später, im dritten Teil "Amazonas-Konferenz", entwickelt vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) unter Peter Weibel, dominiert computergestützte Medienkunst den Raum. Im Mittelpunkt ein eigens entwickelter interaktiver Tisch für die Konferenzteilnehmer.

Internationale Zusammenarbeit

Publikum vor dunkel beleuchteter Bühne (Foto: Regine Körner)
Publikumsszene in Teil IIBild: Regine Körner

Seit fünf Jahren bereitet die fast unüberschaubare Gruppe von Komponisten, Medienwissenschaftlern, Künstlern und Musikern aus Südamerika und Europa das Musiktheaterprojekt "Amazonas – Musiktheater in drei Teilen" vor. Das ZKM Karlsruhe gehört dazu, das deutsche Institut für Entwicklungshilfe, Greenpeace, das Nationaltheater von Sao Carlos in Lissabon und auch das Potsdamer Klimaforschungsinstitut. Koordiniert von Initiator Joachim Bernauer. Kleine Projekte sind nichts für den Goethe-Institutsmitarbeiter. 2007 holte er Christoph Schlingensief in den Amazonas-Dschungel und Wagners "Fliegenden Holländer" vor das verdutzte Publikum des Opernhauses von Manaus. Dass die Oper damals nicht auf einem Amazonasdampfer aufgeführt wurde - für ihn ein kleines Ärgernis.

Künstler stehen auf einer Treppe, die auf der Bühne aufgebaut ist (Foto: Felix Gross)
Bauprobe in Teil IIIBild: Felix Gross

Erst der Anfang des Dialogs

Sein innovatives Musiktheaterprojekt "Amazonas" für die Münchner Biennale sowie die weiteren Aufführungsorte in Sao Paulo, Lissabon und Rotterdam ist erst der Anfang eines zeitgenössischen Dialogs mit der Urbevölkerung, so Bernauer. Gemeinsam mit dem französischen Anthropologen Bruce Albert soll gemeinsam mit den Yanomami vor Ort ein "transkulturelles Labor" eingerichtet werden.

Kein Zuschauer verlässt den Abend so, wie er ihn begonnen hat. Im Idealfall haben sich beim Publikum zwei Fragen aufgetan: Wie nehmen wir andere Völker wahr? Und: Wie gehen wir mit unserer Umwelt um? Wohlklingende, ästhetisch anregende Musikstunden sind nicht garantiert.

Autorin: Susanne Lettenbauer

Redaktion: Conny Paul