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Gefangen in der Anonymität

4. Mai 2010

In autoritären Staaten wie China und Iran wird heute vor allem im Internet um die Meinungsfreiheit gekämpft. Die Folgen sind nicht so positiv, wie es die Internetgemeinde erträumt, denn die Freiheit birgt Risiken.

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Angriff auf den Internetdienst Twitter

Der Sieg der Internetgemeinde über die Zensur schien im Iran vergangenen Juni unmittelbar bevorzustehen. Streng kontrollierte das Regime vor der Wahl die Oppositionspolitiker und ihre Zeitungen, da entfaltete sich plötzlich mit ungeheurer Wucht in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook und in der Bloggerszene eine Wahlkampagne der Regierungsgegner. Vor allem junge Leute verabredeten sich im Internet, um dann in Massen auf die Straße zu strömen und mit grünen Fahnen und Tüchern für den Wechsel zu demonstrieren. Peter Mezger beobachtete damals als einer der wenigen ausländischen Journalisten die Wahl. "Die Kopftücher rutschten immer weiter nach hinten und die Röcke wurden immer kürzer. In den Stadien wurde getanzt, die Farbe grün war das beherrschende Element im Iran. Und die dachten, wir haben es geschafft, dank Internet und dank allem." Doch das sei ein großer Trugschluss gewesen, glaubt der Journalist, der die Ereignisse im Iran seit 30 Jahren verfolgt. "Die Demonstranten haben sich selbst betrogen, weil sie nur noch sich selbst gesehen haben. Sie haben nicht mehr die andere Realität im Land gesehen, sondern haben ihren eigenen Wunschtraum potenziert."

Symbolbild China Internet Internetcafe lan party zensur
Internetcafe in ChinaBild: AP

Unauffindbar dank Pseudonym

Die Wahl gewann der amtierende Präsident Ahmadinedschad, vermutlich mit massiven Fälschungen, der grüne Traum zerplatzte. Zwar hielt sich die Opposition lange auf den Straßen und auch jetzt gibt es im Internet starken Widerstand, doch die grüne Bewegung bekam ziemlich schnell die Schattenseiten der digitalen Freiheit zu spüren. Maryam Mirza ist Frauenrechtlerin und eine der bekanntesten iranischen Bloggerinnen. "Vor zwei Monaten wurde bekanntgegeben, dass 30 Menschen, die sich im Internet für Freiheitswerte eingesetzt haben, festgenommen wurden", berichtet sie. "Wir wissen nicht, was aus ihnen in der Zwischenzeit geworden ist, denn die meisten von ihnen haben mit Pseudonymen gearbeitet."

Enemies of the Internet 2010 Flash-Galerie
Die Organisation "Reporter ihne Grenzen erstellt jedes Jahr eine Liste mit den größten "Feinden des Internet"Bild: RSF

Mirza setzte sich im Internet für Frauenrechte ein und war in Deutschland als die Proteste begannen. Sie kehrte nicht zurück und entging so dem Schicksal vieler Aktivisten, für die das Internet zur Falle geworden ist. Nach der anfänglichen Euphorie über die Kommunikationsmöglichkeiten, die sich auch in streng autoritären Staaten durch das Internet ergeben, wird inzwischen auch vor den Gefahren gewarnt. Früher habe der Geheimdienst foltern müssen, um an die Informationen zu gelangen, die er heute bequem in den sozialen Netzwerken abrufen kann, spitzte der amerikanische Internet-Journalist Jewgeni Morosow, der ursprünglich aus dem autoritär regierten Weißrussland stammt, vor kurzem die Situation zu. Und der Konzern Google hat sich im März aus China zurückgezogen – nach eigenen Angaben, weil Hacker gezielt die Mailkonten von Dissidenten auf den Servern des Konzerns angriffen. Davor versuchte Google vier Jahre lang, eine Balance zwischen den restriktiven chinesischen Gesetzen und dem eigenen Anspruch, oder auch Geschäftsmodell, eines möglichst freien Datenflusses zu halten, sagt Kai Oberbeck, Sprecher des Konzerns in Deutschland. "Gerade aus dem Grunde, haben wir, seit wir in China tätig sind auch keinerlei personalisierbare Dienste angeboten. Wir wollten von der dortigen Regierung nicht zur Herausgabe solcher persönlichen Daten aufgefordert werden können."

Die 50-Cent-Partei in privaten Diensten?

Social Media Facebook
Eine Seite des Online-Netzwerks FacebookBild: picture alliance/dpa

Das Potential des Internets haben inzwischen auch manche staatliche Propagandaapparate erkannt. Sie zensieren nicht mehr nur Seiten, sie verfolgen auch Internetdissidenten und versuchen, die Diskussion im Internet zu beeinflussen. Der chinesische Staat war der erste, der vermutlich massenweise Nutzer für regimetreue Kommentare bezahlte. 50-Cent-Partei werden sie spöttisch genannt, nach einem Gerücht, nach dem diese für jeden Eintrag 50 chinesische Cent erhalten. Inzwischen allerdings fürchte die Regierung ihr eigenes Modell, sagt Shi Ming, freier Journalist und Mitarbeiter bei der Deutschen Welle. Vor kurzem habe das chinesische Justizministerium in einer renommierten Zeitung vor der Beeinflussung von Gerichten durch Internetmedien gewarnt. "Das Justizministerium lässt schreiben", zitiert er, "Und der Satz spricht Bände: Ein renommierter Rechtsanwalt mit könne mit ein bisschen Geld 50.000 Schreiber an einem Tag konzentriert in allen Diskussionsforen schreiben lassen, so dass eine Stimmung zugunsten oder zu Ungunsten eines Urteils entstehen könnte."

Längst beeinflussen die Internetforen in China so gut wie jede Diskussion. Das Internet sei zu einem derart wichtigen Medium geworden, dass der Wettstreit um die Vorherrschaft längst nicht mehr nur zwischen einer kritischen Netzöffentlichkeit und der Regierung ausgetragen werde, sagt Shi Ming. "Das Internet erzwingt heute schon auch in den klassischen Medien - eine Vielfalt der Stimmen, die letztlich auch eine Vielfalt der Stimmen von Lobbyisten wiedergeben. Es ist nicht mehr so, dass die Lobbyisten ihr Spiel hinter verschlossenen Türen auskungeln, sie tragen ihre Kungeleien immer mehr an die Öffentlichkeit."

Ruhe im iranischen Internet

Internet in Iran Männer im Internetcafe
Iranische User in einem Internetcafé in TeheranBild: AP

Darin immerhin, gleichen sie traditionellen Medien durchaus. Die Regierung begnüge sich angesichts dieser Unübersichtlichkeit nicht mehr mit einer gezielten Zensur. Diskussionen, die aus dem Ruder laufen könnten, würden einfach komplett unterdrückt. Nicht Meinungen würden zensiert, sondern ganze Themen, die sich dann aber meist nach einer Zeit der Stille umso massiver Bahn brächen. Für die etwas jüngere iranische Internetgemeinde haben sich solche Muster noch nicht herausgebildet. Nach den letzten Verhaftungswellen, so berichtet Bloggerin Maryam Mirza, sei es jetzt sehr ruhig im persischsprachigen Internet.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Thomas Latschan