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"Ein lebhafter Ausdruck der Demokratie"

28. April 2010

Nach den Tumulten im Parlament betont Ukraines Außenminister: Der Militär-Deal mit Russland ist extrem wichtig. Im Interview mit der Deutschen Welle sagt er aber auch: "Wir wollen so schnell es geht in die EU".

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Tumulte im ukrainischen Parlament (Foto: AP)
Heftige Tumulte im ParlamentBild: AP

Deutsche Welle: Am Dienstag hat Ihr Parlament ein Abkommen ratifiziert, das Russland zugesteht, die Schwarzmeerflotte bis 2042 weiterhin im Land zu stationieren. Dafür zahlt die Ukraine jährlich drei Milliarden Euro weniger für russisches Gas. Wie wichtig ist die Vereinbarung für Ihr Land?

Konstantin Grischtschenko: Sie ist äußerst wichtig. Wir mussten eine Lösung für ein akutes Problem für unsere Wirtschaft finden. Denn ohne zu wissen, wie wir angemessene Gaspreise erzielen können, konnten wir keinen Haushalt aufstellen. Mit der Ratifizierung der Vereinbarung haben wir auch den Haushalt anpassen können. Sonst hätten wir keine neuen Kredite vom Internationalen Währungsfonds bekommen, um unsere Wirtschaft anzukurbeln. Es gab also bislang eine Art Stillstand, der extrem gefährlich für die innere Stabilität und die ökonomischen Aussichten war.

Außerdem gab es wegen der in Sevastopol stationierten Schwarzmeerflotte ständig Probleme mit Russland - das ist nun vorbei. Die Verlängerung des Pachtvertrages gibt Russland die Möglichkeit, für eine bestimmte Frist zu planen und sie baut die emotionalen Spannungen ab, die gefährlich für unsere Beziehung sind. Die Vereinbarung schafft eine bessere Atmosphäre, um uns über gemeinsame strategische Projekte zu einigen. Es ist eine Win-win-Situation.

Nicht alle in der Ukraine sind mit dem Deal einverstanden. Während der Ratifizierung am Dienstag im Parlament flogen Eier, Rauchbomben wurden gezündet und es gab Demonstrationen in den Straßen. Haben Sie solch eine enorme Reaktion erwartet?

Konstantin Grischtschenko (Foto: AP)
Konstantin GrischtschenkoBild: AP

Man konnte von stark abweichenden Meinungen ausgehen und die politischen Parteien sind normalerweise sehr eloquent darin, diese Meinungen darzustellen. Ich denke, sie haben übertrieben, aber letztlich ist es ein lebhafter Ausdruck der wetteifernden Demokratie, die wir in der Ukraine haben.

Allerdings regiert in einer Demokratie die Mehrheit, die durch gerechte Wahlen legitim an die Macht gekommen ist. In diesem speziellen Fall denke ich, dass sich die Situation in ein paar Tagen beruhigen wird.

Die Ukraine hat seit Februar dieses Jahres eine neue Regierung und einen neuen Präsidenten – welche Konsequenzen hat das für die Außenpolitik?

Die größte Veränderung ist, dass wir nicht mehr so ideologisch motiviert sind, sondern einen eher pragmatischen Ansatz haben. Wir wollen die Demokratie im Land fördern, während wir unseren wichtigsten Partnern gegenüber zugänglich, aber gleichzeitig hart sein werden.

Die Außenminister Hrischtschenko und Westerwelle (Foto. AP)
Während in Kiew die Fäuste flogen, war Grischtschenko in Deutschland, wo er die Europa-Ausrichtung seines Landes bekräftigteBild: AP

Es bleibt bei unserer Ausrichtung zur Europäischen Union und einer größtmöglichen - und schnellstmöglichen - Integration in die EU. Wir wissen, das ist kein einfacher Prozess, aber es hat Priorität. Das Assoziationsabkommen, die Freihandelszone und Visa-Erleichterungen – das sind die wichtigsten Projekte, die wir mit der EU schnellstmöglich verhandeln wollen.

Neu ist, dass unser Verhältnis zu Russland offener ist und wir das Land nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen. Es gibt viele Projekte, die sowohl für Russland als auch für die Ukraine von Vorteil sind - wir brauchen die, um wettbewerbsfähig zu sein.

Ihre Regierung hat signalisiert, dass sie nicht länger daran interessiert ist, der NATO beizutreten. Wie stellen Sie sich einen derart neutralen Status ihres Landes vor?

Wir haben unsere Haltung an der Realität ausgerichtet: Wir sind ein europäischer blockfreier Staat. Wir sind nicht neutral. Der Grad einer Unterstützung für eine NATO-Mitgliedschaft lag nie höher als 30 Prozent und in den letzten Tagen der Vorgängerregierung sank er auf unter 20 Prozent. Damit kann keine Regierung nach einer Mitgliedschaft streben.

(Foto: AP/ Montage: DW)
"Die Unterstützung für einen NATO-Beitritt lag nie über 30 Prozent"Bild: AP Graphics/DW Fotomontage

Präsident Janukowitsch wurde auf der Basis gewählt, nicht der NATO beizutreten, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Wieso? Weil das sonst enorme Spannungen mit einigen unserer Nachbarn erzeugen würde. Wir glauben, der beste Schutz für die Ukraine sind sehr freundliche, sehr offene und gegenseitig förderliche Beziehungen mit Europa, den Vereinigten Staaten und Russland.

Bedeutet das, Sie wollen zwar engere wirtschaftliche Beziehungen mit Europa, wollen aber gleichzeitig mit Russland militärisch enger zusammenarbeiten?

Nein. Es gibt überhaupt keinen Bedarf für militärische Bindungen an Russland. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zur NATO - daran wird sich nichts ändern. Der Austausch mit der Allianz ist so intensiv wie möglich. Wir werden weiterhin gemeinsame jährliche Manöver mit NATO-Mitgliedsstaaten abhalten

Mit Russland besteht eine militärisch-technische Kooperation, weil unsere Streitkräfte die gleiche Ausrüstung nutzen, die wir von der ehemaligen Sowjetunion geerbt haben - und diese Kooperation ist für unsere Verteidigungsfähigkeit nötig. Das setzen wir fort. Gleichzeitig arbeiten wir bei bestimmten Systemen mit großen westlichen Rüstungsanbietern zusammen. Da gibt es kein Ungleichgewicht.

Nach der ukrainisch-russischen Gaskrise im Jahr 2009 bestehen in Europa Ängste, dass sich so etwas wiederholen könnte. Sind die berechtigt?

Dieses Problem wird nicht weiter bestehen, weil wir das Gasproblem mit Russland gelöst haben. Das werden auch die Europäer verstehen. Vielleicht nicht gleich morgen, aber spätestens im nächsten Winter. Der Transit von Gas aus Russland durch die Ukraine nach Europa ist nun gesichert, mindestens für die nächsten zehn Jahre.

Interview: Neil King
Redaktion: Manfred Götzke

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