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Merk war am Nordpol

26. April 2010

Markus Merk war am Nordpol. Der frühere Fußball-Weltschiedsrichter legte den Weg vom 89. Breitengrad bis zum Pol auf Skiern zurück. Der 48-Jährige erzählte DW-WORLD.DE von seinen Erlebnissen während der Expedition.

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Ex-Schiedsrichter Markus Merk und die Journalistin Birgit Lutz Temsch im Zelt während der Nordpol-Expedition 2010. Foto: visualimpact.ch/Thomas Ulrich
Markus Merk im Zelt (r. Birgit Lutz-Temsch)Bild: visualimpact.ch/Thomas Ulrich

DW-WORLD: Markus Merk, herzlich willkommen zurück im Warmen. Haben sie als Erinnerung von ihrem Nordpol-Trip auch ein paar Frostbeulen mitgebracht?

Markus Merk: Erst einmal vielen Dank. Die Frostbeulen sind jetzt gottlob nach einer Woche wieder verheilt. Aber die letzten drei Tage war es auf dem Weg zum Pol sehr eisig. Man macht dann doch einige Fehler, die man letztendlich büsst. Aber die paar Frostbeulen im Gesicht sind wieder verheilt. Und was eben absolut bleibt, ist dieses einmalige Erlebnis, auf dem Weg zum Pol in diesem Team zu arbeiten und natürlich der tolle Erfolg, als eine von nur sechs Expeditionen den Pol erreicht zu haben.

Ihre Last-degree-Expedition - vom letzten Breitengrad 111 Kilometer Luftlinie bis zum Pol auf Skiern, den Schlitten hinter sich herziehend - war alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Was hat diese Expedition denn so schwer gemacht?

Wir sind am 89. Breitengrad aus dem Hubschrauber heraus und hatten ein fantastisches Wetter. Eigentlich ein Tag, wie man so schön sagt, zum Reinbeißen, strahlend blauer Himmel. Aber das sollte nur ein paar Stunden so bleiben. Schon in der ersten Nacht hat uns diese negative Drift erwischt. Da sitzt du auf dieser riesigen Eisplatte und es treibt dich mit einer Geschwindigkeit von 500 Meter bis einen Kilometer die Stunde von deinem eigentlichen Ziel, dem Nordpol, weg. In den ersten vier Tagen haben wir über Nacht immer wieder unsere tagtäglich gegangene Wegstrecke verloren, d.h. wir hatten am fünften Tag, zur Halbzeit der Expedition, immer noch 98 Kilometer bis zum Ziel und damit, realistisch gesehen, kaum noch eine Chance, unter diesen Umständen den Pol zu erreichen.

Ex-Schiedsrichter Markus Merk in der Arktis, mit Schlitten, im Hintergrund das Zelt. Foto: visualimpact.ch/Thomas Ulrich
Markus Merk mit Schlitten und Zelt in der ArktisBild: visualimpact.ch/Thomas Ulrich

Also mussten wir die Tageszeit außer Kraft setzen. Wir haben ja dort das Glück, dass es 24 Stunden hell ist. Wir sind nicht mehr nach der Uhr gelaufen, sondern nur nach unserer körperlichen Verfassung. Wir haben die Pausen, die man braucht, um wieder Energie zuzuführen, absolut eingeschränkt. Leider Gottes hat sich dann an diesem fünften Tag unser Team um zwei Männer verkleinert, die gesundheitlich nicht mehr in der Lage waren, diese Wegstrecke mit uns zu gehen. Wir waren jetzt nur noch zu dritt.

Weiter, weiter, weiter

Dann hatten wir das große Glück, dass die Drift aufgehört hat. Wir haben dann in fünf Tagen 98 Kilometer geschafft. Das konnte nur funktionieren, weil wir ein Trio waren, das absolut funktioniert hat. Wir haben uns immer wieder gesagt, weiter, weiter, immer weiter. Ohne unseren Expeditionsleiter Thomas Ullrich würde man dort als Unerfahrener keine zwei Tage überleben. Er hat immer wieder gesagt, die Arktis ist hart, sie straft, aber irgendwann belohnt sie einen.

In der Nacht zum 13. April haben wir um 1.58 Uhr den Pol erreicht. Just in dieser Polnacht hat die Drift wieder eingesetzt. Wir lagen dann anschließend noch 56 Stunden im Zelt, weil uns der Hubschrauber aufgrund der Wetterlage nicht herausholen konnte. In diesen 56 Stunden sind wir wieder 41,5 km vom Pol weggedriftet.

Eine tolle Leistung! Sie haben es eben angesprochen, zwei der fünf Expeditionsmitglieder haben sich mit dem Hubschrauber ausfliegen lassen, weil sie mit den schweren Verhältnissen nicht klar kamen. Waren sie denn in diesem Moment auch versucht, in den Helikopter zu steigen?

Nein, absolut nicht. Ich glaube, das ist der Wille, eine Eigenschaft, die man absolut mitbringen muss, wenn man auf Expeditionen geht. Auch den Gedanken, den Pol nicht erreichen zu können, gab es eigentlich nie.

Wie in der Schöpfungsgeschichte

Wir hatten einen sensationellen Moment, wie wir ihn alle (Thomas Ulrich, Birgit Lutz-Temsch und er) noch nie erlebt haben. Es war mitten im Sturm und plötzlich tat sich ein kleiner roter Fleck am Horizont. Innerhalb von drei, vier, fünf Minuten wurde aus diesem roten Fleck ein 360 Grad strahlender blauer Himmel. Wir standen mitten in der Sonne in diesem arktischen Licht auf einem riesigen Eisfeld und es war Schweigen. Das erste, was ich da gedacht habe, war, so muss es gewesen sein. Das ist die Schöpfungsgeschichte, als Gott sprach: "Es werde Licht und es ward Licht.“. Es war ein unglaublich fantastischer Moment, den wir alle genossen haben. Die Arktis ist hart, aber das ist eben auch das Schöne, wenn man individuell und vor allen Dingen, wie bei uns, mit diesem tollen Team dagegen ankämpft. Sie belohnt einen in der Tat.

Eine von Eisnadeln übersäte Fläche nahe dem Nordpol. Foto: DW/Stefan Nestler
Faszinierende Landschaft der ArktisBild: DW/Stefan Nestler

Als sie dann den Nordpol letztlich doch erreicht haben, hatten sie da überhaupt noch Kraft, sich zu freuen?

Es gibt da ja kein Gipfelkreuz, keine Hütte, keine Stange, die den Nordpol markiert. Du gehst rein nach GPS und da siehst du eben, jetzt ist der 90. Breitengrad erreicht. Thomas hat dann in seinen Hüftgurt gegriffen, hat den Revolver rausgeholt und dreimal symbolisch in die Luft geschossen.

Der kleine Junge und der Globus

Ich bin Jahrgang 1962. Damals wurde einem zu Beginn seiner Schulzeit häufig ein Globus geschenkt. Ich habe keinen bekommen und so stand ich irgendwann im Kaufhaus und habe diese Weltkugel gedreht und mir gesagt: Mensch, das muss ja toll sein, einmal auf diesem Globus oben und unten stehen zu dürfen. Jetzt habe ich oben gestanden. Ich habe diesen Moment genossen. Ich habe kurz die Augen geschlossen und gesagt: Das ist es. Mir kam dieses Bild wieder, wie ich als kleiner Junge im Kaufhaus stand. Es war ein toller Moment, der aber nur Sekunden angehalten hat. Wir waren dann letztendlich froh, als unser Zelt stand und der Kocher wieder brannte.

Haben sie jetzt erst einmal genug von Kälte und Eis oder denken sie daran, auch unten auf dem Globus zu stehen?

Es war ja fast schon frühlingshaft, als ich wieder nach Deutschland kam. Ich schaute bei uns ums Haus herum. Alles blüht, die Luft ist eine ganz andere, frühlingshaft, zum Reinbeißen. Und trotzdem war das Erlebnis in der Arktis so toll, so einzigartig, viel mehr als ich mir davon versprochen hatte. Und da war die Sehnsucht eigentlich schon wieder da, zur nächsten Expedition zu gehen. Ich muss schon sagen, der Reiz ist unglaublich groß. Und sofern Gott will und ich auch gesund bleibe, ist es durchaus ein Ziel, auch das zweite Bild zu erfüllen und irgendwann mal ganz unten auf der Erde zu stehen.

Das Interview führte Stefan Nestler.
Redaktion: Wolfgang van Kann