1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Integration

26. April 2010

Noch vor ihrer Vereidigung sorgte Deutschlands erste türkischstämmige Ministerin für Wirbel in ihrer CDU: Christliche Symbole gehörten nicht in Schulen, erklärte Aygül Özkan – und ruderte dann zurück.

https://p.dw.com/p/N6ph
Der Hausmeister einer bayerischen Schule hängt ein Kruzifix ab (Archivbild: dpa)
Der Hausmeister einer bayerischen Schule hängt ein Kruzifix ab (Archivbild)Bild: dpa

Jung, konservativ und muslimisch – das sind die ersten Stichworte, die fallen, wenn es um die CDU-Politikern Aygül Özkan geht. Die deutsche Juristin mit türkischen Wurzeln ist kurz davor, Sozial- und Integrationsministerin in Niedersachsen zu werden. Ein politischer Coup, bescheinigen selbst Kritiker dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Sie könnte die Christdemokraten bei den Wählern mit türkischer Herkunft oder mit muslimischem Glauben endlich etwas beliebter machen. Ihr künftiger Amtskollege Armin Laschet, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, jubelte: "Solch echten Aufstieg in ein hohes Staatsamt gibt es nur mit der CDU."

Aygül Özkan (Foto: dpa)
CDU-Politikerin Aygül Özkan soll die erste türkischstämmige Ministerin in einem Bundesland werdenBild: picture alliance/dpa

Jetzt hat Aygül Özkan Ärger einigen Schrecken in ihrer Partei ausgelöst. Religiöse Symbole gehörten nicht in staatliche Schulen, sagte die 38-Jährige der Illustrierten Focus - und meint damit nicht nur Kreuze, sondern auch Kopftücher. Der künftige Chef Özkans, Christian Wulff, beeilte sich, festzustellen, dass seine Regierung Kreuze an den Schulen begrüßt - "im Sinne einer toleranten Erziehung auf Grundlage christlicher Werte."

Erregte Reaktionen aus der CDU

Ein Rüffel auch aus Berlin: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, hält nichts von Özkans Ansichten. "Kreuze in den Schulen sind Ausdruck unserer Tradition und unseres Werteverständnisses", sagte sie im Deutschlandfunk. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so war von Regierungssprecher Christoph Steegmanns zu erfahren, stimmt ihrer Integrationsbeauftragten hier zu.

Kenan Kolat (Foto: dpa)
Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in DeutschlandBild: AP

Regelrecht bissig reagierte die traditionsverhaftete Schwesterpartei CSU. Von dort wurde der Politikerin geraten, darüber nachzudenken, ob sie noch in der richtigen Partei sei. "Abstrus" nannte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt Özkans Vorstoß. Mit jugendlichem Eifer verlangte die Schüler-Union gar, Özkan erst gar nicht zu vereidigen. Am Montag (26.04.2009) ruderte die Gescholtene dann offenbar zurück: Zusammen mit Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) habe sie vor der Landtagsfraktion deutlich gemacht, dass "Kreuze an niedersächsischen Schulen erwünscht sind", erklärte Fraktionschef David McAllister in Hannover.

Häme vom politischen Gegner

Auf Spott von der politischen Konkurrenz musste die CDU nicht lange warten. "Ich finde es ja vom Prinzip her lobenswert, dass Herr Wulff das gemacht hat [sie ernannt hat, d. Red.], aber bevor sie überhaupt im Amt ist, wird ja ganz deutlich, da wird jemand genommen, der gar nicht zur CDU passt", sagte etwa Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Wochenende. "Wenn sie annähernd versucht, ihre Positionen als Sozialministerin umzusetzen, dann ist sie im Dauerclinch mit ihrer CDU."

Ministerpräsident Christian Wulff (Foto: dpa)
Ministerpräsident Christian Wulff will die CDU stärker bei Migranten verankernBild: picture-alliance/ dpa

Positiv äußerte sich Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland zu Özkans Haltung. "Die Meinung, die die Frau Ministerin vertritt, ist auch unsere Meinung: nämlich zu sagen, dass in die Schule keine religiösen Symbole gehören. Das gilt für alle - es geht also nicht nur um Kruzifixe, sondern auch um das Kopftuch", sagte Kolat der Deutschen Welle.

Kruzifix- und Kopftuchurteile

In Deutschland plagt man sich mit der Frage religiöser Symbole in öffentlichen Einrichtungen schon seit Jahrzehnten. 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat keine Position in weltanschaulichen Fragen beziehen darf und deswegen auch nicht anordnen darf, dass in Schulzimmern Kreuze aufgehängt werden dürfen. Dem Urteil ging ein neunjähriger Rechtsstreit voraus, es hat aber nur in seltenen Fällen dazu geführt, dass die christlichen Symbole entfernt wurden.

Um Kopftücher in der Schule ist ebenfalls lange gestritten worden. 2003 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass einer Lehrerin nach dem Grundgesetz nicht per se verboten werden darf ein Kopftuch zu tragen. Das müsse extra in einem Landesgesetz geregelt werden, sagten die Richter.

Reizthema kehrt zurück

In letzter Zeit ist es etwas ruhiger geworden um das Reizthema. Dass die Diskussion wieder in Gang gekommen ist, freut Kenan Kolat. "Sie ist in dieser Frage in der CDU eine streitbare Person", stellt er fest, auch wenn er den Zeitpunkt vielleicht nicht so ganz glücklich findet. "Gut, sie ist Abgeordnete, sie hat auch ein bisschen Erfahrung, aber ein Ministeramt ist etwas anderes. Da muss man natürlich das, was man sagt, zwei-, drei-, fünfmal überdenken." Jetzt will Kolat erst einmal abwarten, wie sie sich als Ministerin schlägt, denn "es ist nicht die entscheidende Frage, ob jemand wegen seiner Herkunft Ministerin wird, sondern was sie im Amt leisten kann."

Nach ihren letzten Aussagen vor dem Amtsantritt hat sie sich viel vorgenommen – auch viel Ärger mit der eigenen Partei. Sie ist für die doppelte Staatsbürgerschaft und ergebnisoffene EU-Beitrittsverhandlungen. Die Parteilinie ist eine andere. Mit der Ernennung der türkischstämmigen Politikerin Aygül Özkan wollte die CDU der deutschen Politik eine echte Überraschung bereiten. Im Augenblick wirken die Christdemokraten selbst ziemlich überrascht.

Autor: Heiner Kiesel

Redaktion: Dеnnis Stutе