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"Moderne Kunst muss dich beunruhigen"

19. April 2010

Don und Mera Rubell besitzen eine der bedeutensten Sammlungen für moderne Kunst. Ihr Lieblingskünstler? Neo Rauch. Wir haben sie gefragt, was sie an dem Deutschen so fasziniert und wie man moderne Kunst versteht.

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Don und Mera Rubell, Kunstsammlerpaar
Don und Mera Rubell aus Miami sammeln seit 45 Jahren Kunst.Bild: Chi Lam

Don und Mera Rubell gehören zu den bedeutendsten Sammlern für aktuelle Kunst. Seit 45 Jahren sind die Kunstjäger aus Miami auf der Suche nach neuen Talenten - ihre Sammlung umfasst über 5000 Werke. Darunter sind viele von Neo Rauch und anderen Malern der Leipziger Schule. Die Rubells gehörten zu den ersten Förderern von Rauchs Arbeit. Im DW-Interview erzählen sie unter anderem, was sie an Rauch so fasziniert und warum uns moderne Kunst oft Unbehagen bereitet.

DW-WORLD.DE: Don und Mera Rubell, erzählen Sie ein bisschen über Ihre Sammlung. Wer von Ihnen entscheidet, was gekauft wird?

Mera Rubell: Wir sammeln Kunst seit wir vor 46 Jahren geheiratet haben. In dem Moment, als wir zusammen kamen, begann dieser harte Kampf um zeitgenössische Kunst. Wir starteten mit dem Budget eines berufstätigen Paares – ich war Lehrerin und Don arbeitete in der medizinischen Ausbildung. Und neben unserem alltäglichen Leben, haben wir immer die zeitgenössische Kunstszene beobachtet.

Don Rubell: Wir entscheiden ganz alleine. Inzwischen sind auch unser Sohn und unsere Tochter involviert, so dass wir jetzt zu viert entscheiden, was wir kaufen und sammeln.

Mera Rubell: Man könnte es ein "Familienunternehmen" nennen.

Lassen Sie uns über Neo Rauch sprechen. Warum begannen Sie, gerade seine Werke zu sammeln?

Don Rubell: Das ist einfach. Er ist ein großartiger Künstler.

Also sahen Sie seine Arbeiten und wussten sofort – das ist es? Das ist das, was wir kaufen möchten?

Don Rubell: Mit Neo war das eine seltsame Sache, denn wir sahen seine Werke schon sehr, sehr früh – etwa 1994 oder 1996. Wir mochten sie sehr, dachten darüber nach und verfolgten seine Arbeit. Seine Werke wurden immer stärker und ich denke, es war im Jahr 2000, als wir unser erstes Stück von ihm kauften.

Mera Rubell: Wir reisten nach Berlin, nachdem die Mauer gefallen war, und jemand sagte uns, wir müssten unbedingt nach Leipzig, um zu sehen, was dort passiert. Wir fuhren hin und in dieser Akademie gab es eine beeindruckende, alte Malertradition.

Wie wirkten Neo Rauchs Werke auf Sie?

Don Rubell: Es ist eine Mischung aus Fantasie, Surrealismus und Geschichte, so dass es unwichtig wird, ob die Geschichte exakt so passiert ist, oder ob die Geschichte nur in seiner Vorstellung passierte. Der Ton der Bilder ist historischer als die Fakten hinter den Gemälden.

Mera Rubell: Genau das ist es! Er erzählt keine spezielle Geschichte. Seine Gemälde führen dich in eine Art psychologischen Raum – und was sie so stark macht ist, dass dieser psychologische Raum Vergangenheit und Gegenwart verbindet – und die Zukunft auch. Er ist einfach ein Meister. Er hat diese Fähigkeit mit Farbe, mit Form, mit Drama.

Rauch wird auch als erster deutscher Maler bezeichnet, der Ost und West verbunden hat.

Don Rubell: Die Assoziationen mit Ost-Deutschland kommen mehr durch seine Farbpalette, als durch seine Wahl eines subjektiven Themas. So erinnern die Farben an die historische Vergangenheit, die Themen seiner Werke sind aber fast zeitlos.

Rauch und viele Künstler der Leipziger Schule wurden erfolgreich in den USA, bevor sie wirklich in Deutschland ankamen. Warum ist das so?

Don Rubell: Ich denke nicht, dass die Sammler seiner Werke unbedingt Amerikaner waren, aber sie waren sehr international. Und das ist nicht unnormal. Es ist immer schwierig, mit Dingen zu handeln, wenn man nah an zu Hause ist. Die meisten großartigen amerikanischen Pop Art Sammlungen befinden sich zum Beispiel in Deutschland.

Was würden Sie jemandem sagen, der weder Kunstsammler noch Kritiker ist, in eine Neo Rauch Ausstellung geht und die Arbeiten sonderbar und sogar frustrierend findet?

Einfach, weil er nicht herausfinden kann, was die Bilder ihm sagen sollen.

Don Rubell: Das ist eine sehr gute Definition für gute, zeitgenössische Kunst. Denn wonach du immer in den besten zeitgenössischen Ausstellungen suchst, ist Kunst, die sich ein bisschen unbehaglich anfühlt und die von etwas handelt, was du nicht verstehst. Und Schritt für Schritt, über einen langen Zeitraum hinweg, nimmst du sie in dein eigenes Wesen auf.

Das ist genau das, was mit Neo Rauch passiert ist. Ich weiß bis heute nicht, worüber es in seinen Werken konkret geht. Ich weiß nur, dass es ausdrucksstarke Bilder sind. Der Grund, warum du das Bild nicht verstehst ist, weil niemand die Erzählung des Bildes festlegen kann.

Lass die Erzählung fallen – die Erzählung wird dir nicht gegeben.

Mera Rubell: Aber das ist nun mal, wie Kunst funktioniert. Es gibt so viele Informationen in der Welt, die dir Antworten geben. Aber richtig gute Künstler lassen dich nur hinein, in ihren eigenen mentalen Raum. Sie geben dir keine Antworten. Ich denke, der Künstler ist von seinem Werk genauso beunruhigt, verstört wie du. Und das bist du – ich bin es auch.

Das sind die Magie und das Geheimnis von Malerei. Sie entlädt sich in den entlegenen Gegenden unserer Vorstellungen und hat keine Antworten. Aber sie ergreift uns emotional.

Das Gespräch führte Jennifer Abramsohn.

Übersetzung: Julia Betzer

Redaktion: Conny Paul