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Neues Gesetz

14. April 2010

Palästinenser, die etwa in Gaza geboren wurden, könnten künftig aus der Westbank ausgewiesen werden, auch wenn sie dort leben. Ein neues Gesetz mit fatalen Folgen, wie der Anwalt Elad Cahana im DW-Gespräch erläutert.

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Palästinenser mit Flagge im Gazastreifen (Foto: AP)
Wer darf künftig noch im Westjordanland bleiben?Bild: AP

DW-WORLD.DE: An diesem Dienstag (13.04.2010) treten für das Westjordanland neue Aufenthaltsregeln in Kraft, mit denen Israel nach Darstellung von Menschenrechtsgruppen zahlreiche Palästinenser aus dem Westjordanland vertreiben kann. Herr Cahana, was genau besagt dieser militärische Erlass?

Elad Cahana: Eigentlich sind es sogar zwei Erlasse: Einer definiert, wer sogenannter "Infiltrator" – also eine Art "Eindringling" - im Westjordanland ist. Und das zweite Dekret legt fest, wie die richterliche Überprüfung dieser Fälle abläuft. Beide Erlasse wurden am 13. Oktober 2009 unterschrieben. Ein besonders großes Problem ist das erste Dekret, denn es definiert jeden, der im Westjordanland wohnt und dafür keine israelische Erlaubnis hat, als "Eindringling".

Welche Erlaubnis ist denn gemeint?

Das wissen wir leider nicht, diese "Erlaubnis" ist nicht definiert. Es handelt sich dabei um eine Erlaubnis, die das Militär im Westjordanland vergeben kann.

Müssen auch die Westjordanland-Bewohner, die einen palästinensischen Ausweis haben, diese besondere Erlaubnis haben?

Wir können nur vermuten, dass die IDF (Anm.d.Red.: Israeli Defence Force) diese Ausweise als Erlaubnis betrachten. Aber das ist wirklich nur eine Vermutung, weil wir schon so häufig mitbekommen haben, dass die IDF einige Bewohner des Westjordanlandes in den Gazastreifen gebracht haben. Bei einigen steht eine Adresse im Westjordanland im Ausweis, in den Computern des israelischen Militärs ist aber noch eine alte Adresse aus dem Gazastreifen vermerkt. Und daher scheint es der IDF nicht so wichtig, was in dem Pass steht, sondern was im Computer vermerkt wurde.

Wer ist denn genau betroffen und wer gilt als "Eindringling"?

Screenshot (Quelle: HaMoked)
Cahana arbeitet als Anwalt für die Organisation 'HaMoked'Bild: hamoked.org.il

Der Inhalt dieser Erlasse ist sehr allgemein gehalten. Aber unserer Erfahrung nach können wir ungefähr sagen, wer die Betroffenen sein werden. Allerdings erlaubt diese schwammige Definition der Armee, ihre Macht willkürlich einzusetzen. Seit dem Jahr 2000 versucht Israel, den Gazastreifen und das Westjordanland voneinander zu trennen. Israel aktualisiert zum Beispiel nicht die Adressen derer, die aus Gaza in das Westjordanland gezogen sind und dort jetzt legal wohnen. Für Israel leben sie laut Akten also noch in Gaza. Und sollten daher eigentlich auch in Gaza wohnen.

Die IDF hatte bereits in der Vergangenheit mehrfach versucht, Palästinenser aus dem Westjordanland in den Gazastreifen zu deportieren. Bis jetzt war es aber problemtisch, dies durchzusetzen. Wir waren mit unseren Petitionen beim Obersten Zivilgericht, das die IDF sehr stark kritisiert hat. Wir haben es oft geschafft, die Leute entweder zurück zu holen oder davor zu bewahren, deportiert zu werden. Und wir glauben, dass eines der Ziele dieser Erlasse ist, die Probleme mit dem Gericht zu vermeiden und rechtlich abzusichern.

Wer ist denn noch davon betroffen, außer der Gaza-Palästinenser, die im Westjordanland leben?

Eine weitere betroffene Gruppe sind Ausländer, die legal ins Westjordanland gekommen sind und besipielsweise dort geheiratet haben. Außerdem betrifft es die Palästinenser, die für ein Studium ins Ausland gegangen sind und denen Israel dann ihre Aufenthaltserlaubnis entzogen hat. Oder aber auch diejenigen, die in den 1970er und 1980er Jahren ausgewiesen wurden und dann im Zuge der Familienzusammenführung legal zurück gekommen sind. Nach israelischen Angaben sind diese Leute illegal im Westjordanland und würden zurück geschickt werden.

Zielen die Dekrete überwiegend auf die Palästinenser?

Ich denke, es betrifft überwiegend die Palästinenser, aber die Erlasse können auf jeden angewendet werden. Das einzige, was wir aus einem IDF-Statement in der Zeitung "Haaretz" entnehmen konnten, war, dass Israelis von dieser Regelung ausgenommen sind.

Also werden die illegalen Siedler im Westjordanland verschont?

Wir wissen es nicht, aber es scheint, als seien die Siedler davor geschützt, aber genau gesagt hat das keiner. Die linken Aktivisten meinen sie damit sicher nicht.

Israel benutzt oft das Argument "Sicherheit", geht es auch bei diesem Erlass um die Sicherheit Israels?

Das hier hat nichts mit der Sicherheit Israels zu tun. Das ist eine Strategie und es widerspricht den Osloer Verträgen, die eigentlich besagen, dass die Palästinensische Autonomie entscheidet, wer ein Bewohner ist und wer nicht.

Können Sie denn ungefähr schätzen, wie viele Menschen im Westjordanland von dem neuen Gesetz betroffen sein könnten?

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollen tausende Gaza-Palästinenser illegal im Westjordanland sein. Und wenn man dazu noch deren Kinder zählt und die Ausländer, dann sind das zehntausende Betroffene. Israel verfolgt die Strategie, dass sich die Familien dann an dem neuen Wohnort zusammenschließen. Und man muss dazu sagen, dass es oft so kommt. Der restliche Teil der Familie verkraftet die Trennung nicht und zieht dann nach.

Wie geht die Armee bei den Ausweisungen vor?

Das ist ganz unterschiedlich und manchmal passiert das auch zufällig: Man geht zur Schule, zur Arbeit oder passiert als ganz normaler Bürger einen Checkpoint im Westjordanland. Wenn die Soldaten dann bei der Überprüfung feststellen, dass die Person mit einer anderen Adresse, in Gaza zum Beispiel, vermerkt ist, dann kann alles sehr schnell gehen: Man wird verhört, kommt in einen Jeep und wird dann nach Gaza gefahren.

Welches Ziel verfolgt Israel mit diesen Erlassen?

Das Ziel wurde nie genannt. Aber wir glauben, dass die Kluft zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland noch größer werden soll. Außerdem will die Armee den Problemen vor Gericht entgehen. Eigentlich dürfen israelische Gesetze nach internationalem Recht und auch nach dem Zivilrecht nicht im Westjordanland angewendet werden, weil es besetztes Gebiet ist. Das Militär darf sich nur dann einschalten, wenn es um die Sicherheit oder das Wohlergehen der örtlichen Bevölkerung geht. Und beides kommt hier nicht zum Tragen.

Wie können sich die Palästinenser dagegen wehren?

Ich kann nicht sagen, wie viele letztendlich wirklich davon betroffen sein werden. Die IDF hat zwar jederzeit das Recht auf seiner Seite, aber das heißt nicht, dass sie es auch andauernd tun. Wir von "HaMoked" wollen, dass die Erlasse ganz abgeschafft werden. Und wenn ein Palästinenser Probleme bekommt, muss er sich ganz schnell Rechtsbeistand besorgen. Wenn diese Anweisungen nicht zurückgenommen werden, dann droht einigen der Palästinenser auch eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren. Das Gefährliche ist, dass das zweite Dekret im Prinzip dafür sorgt, dass die Palästinenser nur schwer dagegen vorgehen können, denn es besagt, dass eine militärische Kommission die rechtliche Überprüfung vornimmt. Diese kann man aber nicht einfach aufsuchen, sondern man muss warten bis man ihr vorgeführt wird. Das kann bis zu acht Tagen dauern. Die Deportation erfolgt aber spätestens nach drei Tagen.

Das Interview führte Diana Hodali.

Elad Cahana arbeitet als Anwalt für die israelisch-palästinensische Menschenrechtsorganisation "HaMoked", die sich seit 1988 für die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten engagiert. Zudem arbeitet die Organisation an der Weiterentwicklung von Standards und der Bedeutung internationaler Menschenrechte und humanitärer Gesetzgebung.