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Unregierbares Land?

6. April 2010

Parallel zu den Versuchen, eine Regierung im Irak zu bilden, wird das Land von einer Welle der Gewalt erschüttert. Mit Anschlägen soll offenbar die Regierungsbildung verhindert werden. Ist der Irak noch lenkbar?

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Anschlag in Bagdad, Foto: ap
Der Irak wurde am Osterwochenende von einer Anschlagsserie erschüttertBild: AP

Die irakische Hauptstadt Bagdad ist auch am Dienstag wieder (06.04.2010) von Explosionen erschüttert worden, darunter mindestens ein Selbstmordattentat, wie das irakische Innenministerium mitteilte. Damit wird die Gewaltserie fortgesetzt, bei der bereits am Wochenende mehr als 30 Menschen getötet und über 220 verletzt wurden: Am Sonntag hatten Attentäter binnen weniger Minuten ihre mit Sprengstoff beladenen Fahrzeuge vor der ägyptischen, der iranischen sowie in der Nähe der deutschen, spanischen und syrischen Botschaften gezündet. Am Samstag hatten maskierte Angreifer in einem Dorf südlich von Bagdad bis zu 25 Menschen getötet, unter ihnen Angehörige einer sunnitischen Bürgerwehr, die an der Seite des US-Militärs gegen Terroristen der El Kaida gekämpft hatten.

International wurde diese Gewaltserie verurteilt. "Diese Anschläge widersprechen unserem gemeinsamen Ziel eines friedlichen und demokratischen Irak", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich nach Angaben einer Regierungssprecherin "tief betroffen", insbesondere über den Anschlag in der Nähe der deutschen Botschaft.




Anschläge in Bagdad, Foto: ap
Über 30 Menschen waren bei einer Anschlagsserie am Osterwochenende in Bagdad getötet worden. Steckt El Kaida dahinter, wie die Regierung behauptet?Bild: AP

Steckt El Kaida dahinter?

Hintergründe der Anschläge sind noch nicht bekannt, bislang bekannte sich niemand zu der Tat. Die irakische Regierung macht jedoch das Terrornetzwerk El Kaida für die Anschläge verantwortlich. Der Irak-Experte Henner Fürtig vom GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg bezweifelt dies jedoch: Dafür seien die Anschläge zu diffus und keine klare Botschaft erkennbar, sagt er: "Insofern muss man sich schon fragen, ob es wirklich El Kaida oder nicht doch die Anhänger einzelner Wahlblöcke waren, die durch gezielte Anschläge den Gegner schwächen wollen."

Iraks politische Parteien ringen derzeit immer noch um eine Regierungskoalition. Dabei müssen unterschiedliche politische Strömungen und Glaubensrichtungen unter einen Hut gebracht werden. Wahlsieger war bei den Wahlen vom 7. März mit 91 Mandaten der frühere Ministerpräsidenten Ijad Allawi geworden, der an der Spitze eines säkularen Bündnisses steht. Doch der amtierende Ministerpräsident Nuri al-Maliki und seine Koalition für einen Rechtsstaat gewannen 89 der insgesamt 325 Mandate. Er will eine Allianz mit den Kurden und den anderen religiösen Schiiten-Parteien schmieden.

Der Irak-Experte Henner Fürtig, Foto: GIGA Institut für Nahost-Studien Hamburg
Prof. Henner Fürtig, Nahostexperte vom GIGA-Institut in HamburgBild: GIGA

"Da die Mehrheiten nur hauchdünn sind, könnte man vermuten, dass Anhänger der einzelnen Blocks derzeit mit Gewalt davon abgehalten werden sollen, im Parlament für das eigene Lager zu stimmen oder sogar dazu gebracht werden sollen, das Lager zu wechseln", vermutet Fürtig: "Das wäre natürlich eine drastische Methode, der Wahl zu ihrem Ergebnis zu verhelfen."

Wie lang zieht sich die Regierungsbildung?

Wie schon 2005 droht auch jetzt die Regierungsbildung im Irak wieder zu einer monatelangen Hängepartie zu werden. Experten halten eine Koalition der nationalen Einheit für geradezu lebenswichtig, andernfalls "müssen wir damit rechnen, dass die Gewalt in den Irak zurückkehrt", sagt Jahja al-Kubaisi, Wissenschaftler am Irakischen Institut für Strategische Studien. Eine Regierung, die Allawis nationalistisches Bündnis Irakija aus Schiiten und Sunniten trotz des starken Abschneidens außen vor lasse, laufe Gefahr, den Zorn der sunnitischen Minderheit auf sich zu ziehen.


Andere Experten vermuten hinter den Anschlägen auf die Botschaften in Bagdad auch gezielte Angriffe auf Staaten, die bereits im Wahlkampf politischen Einfluss auf den Irak gesucht hatten, wie etwa Syrien, der Iran und Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien. Daher handele es sich nicht um eine innerirakische Angelegenheit, so Fürtig, sondern um eine regionale Problematik, hinter der widerstreitende Terrorgruppen steckten, "das ist naheliegender als El Kaida", sagt er.

Eine generelle Tendenz zur Anarchie im Irak nach den Wahlen sieht Fürtig jedoch nicht, er spricht vielmehr von zwei Entwicklungen, die einander zuwiderliefen: "Eskalation einerseits und Rekonstruktion politischer Institutionen andererseits", sagt er. Die Wahlen in den vergangenen Jahren, das Verfassungsreferendum und die hohe Beteiligung bei den letzten Parlamentswahlen hätten gezeigt: So einigermaßen funktioniert die junge Demokratie im Irak, doch noch ist sie anfällig und es gelte: "Je länger sich die Regierungsbildung hinzieht, desto höher wird das Gewaltpotential."

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Thomas Latschan