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Das Geschäft des Jahrzehnts

15. Mai 2010

Seit beinahe 400 Jahren spielt Oberammergau alle zehn Jahre die Leidensgeschichte von Jesus nach. Die Passion zieht auch in diesem Jahr Besucher aus aller Welt an und spült Geld in die leeren Kassen.

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Geld in der Registrierkasse eines Ladens (Foto: dpa)
Bild: dpa

Im Zentrum von Oberammergau ist das oberbayerische Dorf-Idyll in den vergangenen Wochen nur von den Souvenirläden gestört worden, deren kitschige Jesusfiguren vom bevorstehenden Großereignis kündeten. Das änderte sich am Samstag (15.05.2010), denn das Dorf hatte Gläubige und Pilgertouristen aus aller Welt zur Premiere der 41. Passionsspiele gebeten. Entsprechend dem 1633 abgelegten Gelübde von rund 2.000 Oberammergauern wird das Leben und Leiden Jesu Christi aufgeführt. Was damals als Vorsorge gegen die Heimsuchung durch die Pest gedacht war, hat heute neben der religiösen Bedeutung auch eine kommerzielle Funktion.

Modelle von Spielszenen für die Bühne (Foto: DW/ Per Henriksen)
Vorbereitung: Modelle von SpielszenenBild: DW

Während der Passionsspielzeit zwischen Mai und Oktober wird die 5.000-Seelengemeinde unweit des Staffelsees Tag für Tag genauso viele Gäste wie Einheimische zählen. Die kaufen nicht nur die geschnitzten Jesusfiguren der Souvenirläden, sie speisen und schlafen auch in Oberammergau, denn die meisten Eintrittskarten für das Jahrzehnt-Event werden nur im Paket mit ein bis zwei Tages-Übernachtungspauschalen angeboten. 300.000 Karten hofft man auf diese Weise an Besucher aus aller Welt loszuwerden, von denen Preise zwischen 200 und 800 Euro zu bezahlen sind. "Im Passionsjahr ist Oberammergau auf den Kopf gestellt", sagt Anni Hutter vom regionalen Fremdenverkehrsverein.

Ein zahlender Gast pro Einwohner

"Jeden Tag haben wir genauso viele Gäste wie Einwohner im Ort Oberammergau." Dafür reicht die Bettenzahl des kleinen Örtchens bei weitem nicht aus, und das, obwohl sich im Ortszentrum mindestens ebenso viele Gastronomiebetriebe wie Souvenirläden aneinanderreihen. Viele der Besucher werden in den umliegenden Ortschaften bis hinein nach Österreich einquartiert, was wiederum die hiesigen Busunternehmer freut, von denen die Passionsspielbesucher zu den 102 Vorstellungen chauffiert werden. An der Passion verdienen viele in Oberammergau und der Verkaufserlös dürfte eine zweistellige Millionensumme in die leeren Gemeindekassen spülen. Weshalb bei Bürgermeister Arno Nunn die Freude groß ist, auch wenn er als Zugereister aus dem Fränkischen, im Unterschied zu den meisten Dorfbewohnern, gar nicht spielberechtigt ist.

Die Bühne des Theaters(Foto: DW/ Per Henriksen)
Die Bühne des Theaters in OberammergauBild: DW

"Also, es ist ein Gelübdespiel, auf der einen Seite. Andererseits, und das lässt sich nicht verleugnen, hat es auch einen finanziellen Hintergrund für die Gemeinde: Im Passionsjahr 2000 lag der Erlös bei rund 25 Millionen Euro. Und wir hoffen, dass er dieses Jahr eine ähnliche Dimension erreicht." Hinter der mit religiöser Inbrunst vorgetragenen Spiellaune steckt bisweilen scharf kalkulierender Geschäftssinn. Etwa wenn die von Reiseveranstaltern zurückgegebenen Karten aus nicht verkauften Arrangements erst wenige Wochen vor Spielbeginn in den Einzelkartenverkauf gegeben werden.

Religiöse Inbrunst und Geschäftssinn

Im Februar lag die Rückgabequote bei etwa fünf Prozent, was angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise vom Verkaufsleiter der Passionsspiele, Werner Hirrlinger, als Erfolg gewertet wird. "Oberammergau ist natürlich sehr verwöhnt aus früheren Passionen, als die Aufführungen meist schon ein Jahr im Voraus zu 100 Prozent ausgebucht waren. Das ist dieses Jahr nicht der Fall. Aber mit der Rückgabequote von derzeit fünf Prozent können wir noch recht zufrieden sein." Dabei hatte man sich dieses Jahr etwas ganz besonderes für den wichtigen amerikanischen Markt einfallen lassen und die Hauptdarsteller des Jesus und der Maria höchstpersönlich auf Promotions-Tour über den großen Teich geschickt.

Doch nicht nur die Amerikaner waren in ihrem Buchungsverhalten für die Passion 2010 zurückhaltender als sonst, auch auf eine spanische Textausgabe hat man in diesem Jahr im Unterschied zum Jahr 2000 mangels Masse verzichtet. Dafür hofft man auf mehr Besucher aus Skandinavien, wo sich das Passionsspiel auch unter Protestanten großer Beliebtheit erfreut. Anders als in früheren Jahrzehnten ist die Passion aber noch aus einem anderen Grund kein Selbstläufer mehr, klagt Frank Seyfarth, geschäftsführender Direktor des Sonnenhofes, einem der führenden Hotels im Ort. "Es kommt ja heute noch dazu, dass insbesondere in der jüngeren Generation ein großer Prozentsatz gar nicht mehr weiß, was die Passion ist. Durch den Generationswechsel, den man erlebt und den Rückgang des Religiösen ist es schwierig einzuschätzen, was für Einnahmen uns die Passion künftig bringen wird." Da kam es übrigens ungelegen, dass Regisseur Christian Stückl, entgegen der Tradition, nun ausgerechnet im Krisenjahr 2010 entschieden hat, auch in den Abendstunden zu spielen. Beim Gedanken an die Dämmerstunde mit Jesus am Kreuz statt mit Abendgästen im Restaurant sah manch ein Gastronom rot.

Gastwirten drohen Einnahmeverluste

Bisher hatte die Gemeinde nach Passionsjahren immer auf großem Fuße gelebt. Hatte Schneekanonen gekauft und Sportanlagen gebaut. Doch aufgrund dieser Ungewissheiten will man künftig besser haushalten, sagt Bürgermeister Nunn. "Das ist Fluch und Segen der Passion. Sie können aufgrund der Einnahmen aus der Passion dem Bürger und Touristen sehr viel zur Verfügung stellen. Das muss aber auch unterhalten und gepflegt werden und da sind wir inzwischen an unsere Grenzen geraten und haben einen enormen Schuldenberg angehäuft." 20 Millionen Euro betrug das Haushaltsloch vor Beginn der Passion. Wenn die erhofften 500.000 Besucher kommen, dann würde man nach Abzug aller Investitionskosten einen Reinerlös von ungefähr 23 Millionen Euro erzielen. Und Oberammergau hätte sich – Jesus sei Dank – auf absehbare Zeit wieder saniert.

Autor: Daniel Scheschkewitz

Redaktion: Conny Paul