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Wahlrecht für Migranten bedeutet nicht automatisch bessere Integration

29. März 2010

Wie können Migranten zu mehr politischer Teilhabe in Deutschland motiviert werden? Der Politwissenschaftler Andreas Wüst ist der Frage nachgegangen, welche Rolle das Wahlrecht dabei spielen könnte.

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Andreas Wüst (Grafik: DW)
Andreas WüstBild: DW

Seit den 1970er-Jahren werden in Deutschland Möglichkeiten für eine bessere Integration von Bürgern mit Migrationshintergrund diskutiert. Derzeit besteht in Wissenschaft und Politik ein breiter Konsens darüber, dass gute Kenntnisse der deutschen Sprache zentrale Voraussetzung für die Integration sind. Nur wer Deutsch spricht, kann sich an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens aktiv beteiligen.

Der zweite Erfolgsfaktor für Integration ist Bildung. Nur ein ausreichend hohes Bildungsniveau ermöglicht einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben. In vielen Schulen wird deshalb inzwischen darauf geachtet, dass Kinder mit Migrationshintergrund nicht hinter die anderen Kinder zurückfallen, denn Sprach- und Bildungsdefizite lassen sich später nur noch schwer aufholen.

Sprache und Bildung erleichtern die vollständige Integration von Migranten. Es wäre aber zu kurz gedacht, von der gesellschaftlichen und beruflichen Integration unmittelbar auf die politische Integration zu schließen.

Hürde Wahlrecht

Viele Migranten bleiben trotz guter Sprachkenntnisse, gesellschaftlichem Engagement und beruflichem Erfolg von der politischen Teilhabe in Deutschland ausgeschlossen. Der Hauptgrund hierfür ist die Verknüpfung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft. Grundsätzlich dürfen sich nur deutsche Staatsbürger an Wahlen beteiligen. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet jedoch in der Regel die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft. Für viele Migranten der ersten Generation wäre das ein sehr hoher Preis.

Doch keine Regel ohne Ausnahme: Mit dem Vertrag von Maastricht wurde 1993 eine europäische Staatsbürgerschaft, die sogenannte Unionsbürgerschaft eingeführt. Sie ermöglicht es EU-Bürgern, sich auch in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union an Wahlen zu beteiligen, wenn sie dort dauerhaft leben. Allerdings gilt diese Regelung nur für Europawahlen und für Wahlen in Gemeinden, Städten und Landkreisen.

So können sich im Prinzip mittlerweile mehr als zwei Millionen Unionsbürger an einigen Wahlen in Deutschland beteiligen.

Die Beteiligung von Unionsbürgern an Europawahlen aber ist verschwindend gering, 1999 haben sich zwei Prozent von ihnen überhaupt für die Wahl registrieren lassen; 2004 waren es sieben Prozent.

Bei Kommunalwahlen sieht es, wie die Abbildung zeigt, etwas besser aus. Nur wenige Großstädte weisen allerdings getrennte Wahlbeteiligungsraten für Deutsche und EU-Ausländer aus, darunter Berlin, Hamburg, Bremen und Stuttgart.

Beteiligung von EU-Bürgern an Kommunalwahlen (Quellen: Wahlämter, Statistische Ämter)
Beteiligung von EU-Bürgern an Kommunalwahlen (Quellen: Wahlämter, Statistische Ämter)

Die Zahlen der Statistiken zeigen, dass die Beteiligung der Unionsbürger an Kommunalwahlen stets weit unterdurchschnittlich ist. Zwischen 15 und gut 26 Prozent der Unionsbürger haben sich an den kommunalen Wahlen der vier Städte beteiligt.

Die Analysen der Stuttgarter Ergebnisse von 1999 und 2004 zeigen zudem, dass sich tendenziell Bürger südeuropäischer Staaten seltener an den Wahlen beteiligt haben als solche aus nord- und westeuropäischen Staaten.

Geringere Wahlbeteiligung

Blickt man auf andere Länder, in denen im Prinzip alle Migranten auf kommunaler Ebene wählen dürfen, wie in den Niederlanden oder in Schweden, ist das Bild ähnlich. Wahlberechtigte ohne Staatsbürgerschaft beteiligen sich auch dort unterdurchschnittlich häufig an Wahlen. In Schweden ist die Wahlbeteiligung in den letzten 30 Jahren zudem rückläufig. Beteiligten sich 1976 noch rund 60 Prozent der Ausländer an den dortigen Kommunalwahlen, waren es 2006 nur noch 37 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Wahlbeteiligung unter Schweden von gut 90 Prozent vergleichsweise leicht auf mittlerweile 79 Prozent gesunken.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Wenn Ausländer das Wahlrecht auf kommunaler Ebene besitzen, machen sie davon alles in allem deutlich seltener Gebrauch als Staatsbürger.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle Migranten in Deutschland an diesen Beteiligungsmustern etwas ändern würde. Positiv wäre sicherlich, dass alle Migranten - man denke vor allem an die Türkischstämmigen - und nicht nur die EU-Bürger den deutschen Staatsbürgern in Gemeinden, Städten und Landkreisen politisch gleichgestellt wären.

Wahlrecht versus Einbürgerung

Doch wäre dies auch positiv für die Integration insgesamt? Dahinter sollte ein Fragezeichen gesetzt werden. Studien aus den USA und verschiedenen europäischen Ländern zeigen, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft mit einem deutlichen Integrationsschub, auch mit Blick auf die politische Beteiligung, einhergeht. Ein Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger könnte die Staatsbürgerschaft dagegen weniger attraktiv machen, denn das Wahlrecht ist ein wertvoller Bestandteil der Staatsbürgerschaft.

Eine Alternative zur Ausweitung des Wahlrechts und seiner Trennung von der Staatsbürgerschaft, ist die Förderung der Einbürgerung von Migranten, im Zweifel auch unter Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft. In jedem Fall sollte es das Ziel des Staates sein, langfristig keine Bürger erster und zweiter Klasse zu haben, sondern Migranten vollständig zu integrieren. Die grundsätzliche Einladung, Staatsbürger zu werden, ist hierzu ein möglicherweise besseres Mittel als die Gewährung weiterer Rechte für Nicht-Staatsbürger.

Autor: Andreas Wüst
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

Andreas Wüst (Foto: privat)
Bild: privat

Dr. Andreas Wüst, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Sein Forschungsschwerpunkt ist u. a. das Thema Migranten und deren politische Integration. Er wohnt in der Nähe von Heidelberg.