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Wächterin der Demokratie

29. März 2010

Es gibt keinen Reform-Islam, behauptet Necla Kelek in ihrem neuen Buch "Himmelsreise". Das Buch reflektiert ihre Mitarbeit in der Deutschen Islamkonferenz. Doch ist der Dialog wirklich gescheitert, wie die Autorin meint?

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Necla Kelek blickt entschlossen in die Kamera (Foto: Wolfgang Borrs)
Bild: Wolfgang Borrs

Mit großen Erwartungen war Necla Kelek vor drei Jahren angetreten, um in der Deutschen Islamkonferenz mitzuwirken. Doch ein echter Dialog kam nicht zustande, schreibt Kelek in ihrem Buch "Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam". Das Buch reflektiert ihre Auseinandersetzungen der letzten Jahre mit dem Islam in Deutschland, besonders ihre Mitarbeit in der Islamkonferenz und beschäftigt sich andererseits mit der Entstehung und Geschichte des Islams.

Die Autorin und Soziologin Necla Kelek, links, und der Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland, Die Autorin und Soziologin Necla Kelek, links, und der Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, rechts, unterhalten sich am Donnerstag, 25. Juni 2009, zu Beginn der 4. Islam-Konferenz im Hamburger Bahnhof in Berlin. (AP Photo/Wolfgang Kumm, Pool), rechts, unterhalten sich am 25. Juni 2009, zu Beginn der 4. Islam-Konferenz im Hamburger Bahnhof in Berlin (Foto: AP Photo/Wolfgang Kumm, Pool)
Aus und vorbei?Bild: AP

Die deutsch-türkische Feministin kritisiert die Islamverbände in Deutschland. Nicht Integration der Muslime sei ihr Ziel, sondern Macht, um den fundamentalistischen Islam diskursfähig zu machen und in öffentlichen Institutionen zu verankern. Im Rahmen der Konferenz sei es nicht einmal möglich gewesen, den Koran kritisch zu hinterfragen. "Wenn ich aber Meinungsfreiheit zulassen möchte, wenn ich Demokratie haben möchte, muss ich auch zulassen, die Religion in Frage zu stellen", so die streitbare Soziologin.

"Kritische Islamwissenschaft unerwünscht"

Und es muss die Frage erlaubt sein, so Kelek, ob demokratie-feindliche Strukturen im Islam selbst begründet liegen, etwa, wenn es um fehlende Religionsfreiheit geht, um die Legitimation von Gewalt, um die Benachteiligung der Frauen. Doch mit kritischen Islamwissenschaftlern wie Tilman Nagel, Christoph Luxenburg oder Abu Zaid wollten die Islamverbände sich nicht auseinandersetzen.

Himmelsreise

Buchcover "Himmelsreise" von Necla Kelek (Foto: KIWI-Verlag)
Bild: kiwi-Verlag

Necla Kelek wendet sich in ihrem Buch der Entstehung des Islam zu, entmythologisiert Mohammed, indem sie die Interessenskonflikte benennt zwischen Mohammed dem Religionsstifter und Mohammed dem Geschäftsmann. Die

"Himmelsreise", die visionäre Reise Mohammeds ins Paradies und zurück, markiere einen Wendepunkt vom spirituellen Religionsstifter in Mekka hin zu einem kalkulierenden Realpolitiker in Medina, so Necla Kelek. Wer den Koran und die Hadithen, also die Überlieferung über die Taten Mohammeds in Zweifel zieht, gilt als gotteslästerlich. Kelek erinnert daran, dass die Islamverbände verhindert haben, dass der kritische Islamwissenschaftler Sven Muhammad Kalisch Ausbilder von muslimischen Religionslehrern wird. Kalisch hatte die Existenz Mohammeds als historische Person in Zweifel gezogen.

"Es gibt keinen liberalen Islam"

Necla Kelek, die sich selbst als liberale Muslimin bezeichnet, macht deutlich, dass Begriffe wie Freiheit, Ehre, Respekt im muslimischen Kosmos etwas anderes bedeuten als in einer Demokratie. Ihr Fazit: Es gibt keinen liberalen, aufgeklärten Islam. Prediger wie Tariq Ramadan und Fetulah Gülen, die einen Euro-Islam favorisieren, benutzen lediglich das Vokabular der pluralistischen Gesellschaft, um ihren Einfluss geltend zu machen, so Kelek. Und sie zeichnet die personellen und geistigen Verflechtungen der Islamverbände mit fundamentalistischen und islamistischen Strömungen nach.

Wächterin der Demokratie

Necla Kelek, bei der Buchpräsentation "Bittersüße Heimat", aufgenommen am 16.10.2008 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa/ Arno Burgi)
Dialog gescheitert?Bild: picture-alliance/dpa

Necla Kelek hat die muslimischen Verbände in der Deutschen Islamkonferenz immer wieder mit kritischen Fragen konfrontiert. Mit dem Ergebnis, dass die Islamkonferenz eine Studie über muslimisches Leben in Deutschland in Auftrag gegeben hat. Nur 15 bis 20 Prozent der Muslime, so die Studie, fühlen sich von den islamischen Verbänden überhaupt vertreten.

Das Buch "Himmelsreise" ist einerseits eine Aufforderung, sich mit den Grundlagen des Islams auseinanderzusetzen. Andererseits zeigt es, welche Rolle Necla Kelek im Ringen um die Entstehung eines liberalen Islam in Deutschland spielt: Sie ist zur streitbaren und umstrittenen Wächterin der Demokratie geworden.

Autorin: Marie Wildermann

Redaktion: Conny Paul