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Auf dem Sprung ins "kleine China"

9. März 2010

Die EU will ihre Handelsbeziehungen in Südostasien ausbauen. Erstes Ziel: ein Freihandelsabkommen mit dem kommunistischen Vietnam, dessen Wirtschaft und Gesellschaft sich nach Westen orientieren.

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Vietnamesische Studenten zeigen rote und gelbe Karten und symbolisieren so die Landesflagge (Foto: AP)
Vietnam: nur noch formell ein sozialistisches Land?Bild: AP

Die Zeit drängt: Da Konkurrent China in Südostasien als Wirtschaftspartner immer wichtiger wird, haben die europäischen Staaten es eilig, denn sie wollen selbst vom Wachstumsmarkt in der Region profitieren. Doch auch für das kommunistische Vietnam wäre ein Freihandelsabkommen ein bedeutender Schritt:

Vietnamesische Arbeiter am Strand von Ha Long Bay (Foto: AP)
Ein Land zwischen Modernisierung und TraditionBild: AP

"Wenn das Handelsabkommen mit der EU demnächst zustande kommen würde, würde das Vietnam sehr viele Vorteile bringen", erklärt Vietnam-Experte Phuong Le Trong. Er stammt selbst gebürtig aus Vietnam, kam als Kind nach Deutschland und studierte in Aachen Soziologie. Heute lehrt er an der Universität Bonn. Sollte der Handel erleichtert werden, könne sich Vietnam größere Chancen auf dem Weltmarkt ausrechnen.

Wandel in rasantem Tempo

Trotz der Entfernung kennt Phuong Le Trong sein Heimatland gut. Er selbst reist regelmäßig nach Vietnam und beobachtet dort eine politische Transformation: Der Sozialismus existiert seiner Meinung nach nur noch auf dem Papier. Vietnam, so der Experte, könnte man in wirtschaftlicher und auch in politischer Hinsicht als ein "kleines China" betrachten. "Für Vietnam ist es schon seit langem ein Wunsch, zu anderen Ländern der Welt Beziehungen zu haben, insbesondere Handelsbeziehungen. Denn das Land befindet sich derzeit in einem rasanten Entwicklungsprozess", so der Experte.

Vor allem wirtschaftlich scheint sich Vietnam immer stärker am Westen zu orientieren. Eine Beobachtung, die auch der Unternehmer Luat Trong Nguyen gemacht hat. Vietnam sei noch immer ein sozialistisches und zentral regiertes Land mit einem Ein-Parteien-System. Auf der anderen Seite könnten Unternehmen sehr eigenständig agieren. "Das heißt, wir haben die freie Marktwirtschaft."

Luat Trong Nguyen, Geschäftsführer der deutsch-vietnamesischen Unternehmensberatung Viet Trade Center
Unternehmensberater Luat Trong NguyenBild: Quelle Privat, rechtefrei.

Wanderer zwischen zwei Welten

Luat Trong Ngyen verließ Vietnam im Kindesalter als Flüchtling und kehrte als Unternehmer zurück: In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, und in Frankfurt am Main gründete er eine deutsch-vietnamesische Unternehmensberatung und pendelt regelmäßig zwischen beiden Ländern hin und her. Noch habe Vietnams Wirtschaft einiges aufzuholen, um in allen Branchen europäische Qualitätsstandards zu erfüllen, meint er. "Deswegen ist es für uns auch noch sehr wichtig, uns das Know-How der europäischen Länder und Geschäftspartner anzueignen." So könnte die Qualität der vietnamesischen Waren verbessert werden. Und das sei der richtige Weg, um sich auf dem europäischen Markt zu etablieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, unternimmt das Land derzeit enorme wirtschaftliche Anstrengungen. "Vietnam bemüht sich nach Kräften mit anderen Ländern gleich zu ziehen", beobachtet Vietnam-Experte Phuong Le Trong. Und die Voraussetzungen dafür sind seiner Meinung nach nicht schlecht. Es gebe eine ausbaufähige Infrastruktur, und "daran können sich die Mitgliedstaaten der EU noch stark beteiligen".

Die "Preußen Asiens"

Schüler im Deutschunterricht (Foto: Mathias Bölinger, DW)
Neue Generation: die Jugend Vietnams ist am Westen orientiertBild: DW

Besonders für Deutschland könnte sich eine engere wirtschaftliche Kooperation mit dem kommunistischen Land lohnen. Schließlich gelten die Vietnamesen aufgrund ihrer Arbeitsdisziplin und Gründlichkeit schon lange als die "Preußen Asiens". Neben der Mentalität hat das Land aus deutscher Sicht noch einen zweiten Vorteil: In keinem anderen Land Asiens wird soviel Deutsch gesprochen wie in Vietnam. Eine Tatsache, die auf die engen Verbindungen zur DDR zurückzuführen sind. Zu Zeiten der deutschen Teilung kamen zehntausende Vertragsarbeiter und Studenten aus Vietnam nach Ostdeutland, lebten und arbeiteten für mehrere Jahre in Berlin, Dresden oder Leipzig. Diese alten Verbindungen könnte man in Zukunft noch stärker nutzen, davon ist Geschäftsmann Luat Trong Nguyen überzeugt.

Schon jetzt ist die EU nach den USA der zweitgrößte Exportmarkt für Vietnam, das Export-Volumen liegt bei mehr als neun Milliarden Euro. Nicht zuletzt bietet die neue ökonomische Dynamik Vietnams auch Potential für soziale Veränderungen, hofft Vietnam-Experte Phuong Le Trong. Denn "nach der Öffnung der Wirtschaft folgt irgendwann auch eine stärkere Liberalisierung der Gesellschaft".

Autor: Joscha Weber
Redaktion: Esther Broders