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Selbstbehauptung der deutschen Sprache

24. Februar 2010

14,5 Millionen Menschen lernen weltweit Deutsch als Fremdsprache. Die Bereitschaft dazu hängt von vielem ab, auch von der Öffnung der Deutschen für die Sprache der Anderen.

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schrift: deutsch lernen

Machen wir uns nichts vor: Mit dem gegenwärtigen Trend zum Englischen als Lingua franca kann das Deutsche nicht mithalten. In Europa, wo man die Zahlen genauer kennt, sprechen 38 Prozent der EU-Mitglieder Englisch als Fremdsprache, was sich mit 13 Prozent englischer Muttersprachler auf 51 Prozent summiert. Die deutsche Sprache bringt zwar 18 Prozent Muttersprachler auf die Waage, aber nur 14 Prozent Deutschlerner – also 32 Prozent in der EU insgesamt.

Noch bescheidener fällt die Rolle des Deutschen in den Gremien der EU mit ihren 23 Amtsprachen aus. Zwar ist das Deutsche seit dem Vertrag von Maastricht 1993 zusammen mit dem Englischen und Französischen als Arbeitssprache anerkannt, die Dominanz des Englischen ist jedoch unumkehrbare Realität. Dem steht das Bekenntnis der EU zur Vielsprachigkeit Europas gegenüber, die Aufforderung zur Dreisprachigkeit möglichst aller Mitbürger. Danach soll die Muttersprache durch die englische Verkehrsprache und die "Sprache des Nachbarn" als weitere Fremdsprache ergänzt werden. Man muss dies nicht als bloße Rhetorik abtun und die geringe Berücksichtigung des Deutschen in Brüssel als Skandal anprangern. Es macht vielmehr Sinn, die Lingua franca zu unterstützen und alle weiteren Sprachen zu fördern.

Fremdsprachenlernen im eigenen Land

Durch die Vitrine eines deutsch-englischen Kindergartens
Bild: dpa

Denn darin liegt der wirkliche Skandal: Während seit Jahren in Brüssel über die mangelhafte Verwendung des Deutschen geklagt wurde, drückte man gleichzeitig in Deutschland selbst den Fremdsprachenunterricht auf ein immer niedrigeres Niveau, mit leichter Abwählbarkeit der zweiten Fremdsprache an den Gymnasien. In den 1980er Jahren besaßen nur 14 Prozent der Deutschen, die sich auf Stellenausschreibungen beworben hatten, Fremdsprachenkenntnisse und rangierten damit sechs Prozentpunkte hinter dem europäischen Durchschnitt, ganze 16 etwa hinter Frankreich. Dabei ist der Wert von Mehrsprachigkeit mittlerweile unbestritten. Die europäische Integration und die internationale Mobilität schreiten in Riesenschritten voran und machen Sprachkenntnisse immer dringlicher, aber auch interessanter. Junge Menschen erfahren Sprachenlernen nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance zur Kommunikation – heutzutage einer der höchsten Werte überhaupt.

Glücklicherweise scheint insgesamt Besserung in Sicht. Die Zahl der Deutschen, die Fremdsprachen lernen, ist seit Kurzem wieder im Steigen begriffen. Der Grund liegt in einer breiten Förderung. Schüleraustausch, Kulturabkommen, Expertentagungen wie die von 1979 in Hamburg (mit den Homburger Empfehlungen für eine sprachenteilige Gesellschaft in Deutschland und Europa, bei der zum Beispiel Französisch als mögliche Eingangssprache an den Gymnasien etabliert wurde) haben eine Dauerdiskussion ausgelöst. Die Pädagogik hat das "interkulturelle Lernen" entdeckt, Aktionen wie Lerne die Sprache des Nachbarn sind bereits vielfach in die Tat umgesetzt worden: Im Saarland hat Französisch wieder angezogen, im Ruhrgebiet wird Niederländisch gebüffelt, in Bayern je nach Lage Tschechisch oder Italienisch.

Deutschlernen im Ausland

Montage von Irakischen Schülerinnen im Unterricht mit dem Logo des Goethe Instituts
Deutsch mit GoetheBild: DW-Montage/picture-alliance/dpa

Dieser positive Trend gilt aber auch für die Zahl der Deutschlerner im Ausland. Zwar kommen die Zeiten nicht wieder, in denen Deutschland mit seiner Sprache einmal Export(welt)meister war und sich das Deutsche als drittstärkste Fremdsprache in der Welt behauptete, fast gleichauf mit Englisch und Französisch. Immerhin hielt sich die deutsche Sprache bislang als eine regionale Lingua franca in Osteuropa, wo die ehemalige Donaumonarchie nachwirkt. Besonders nach der "Wende" flackerte diese Tradition wieder auf. Die Goethe-Institute konnten den Ansturm auf die Deutschkurse kaum bewältigen, zwölf neue Dependancen (wie zum Beispiel in Krakau) wurden gegründet, in Polen ist Deutsch nach wie vor die am meisten nachgefragte Fremdsprache. Mittlerweile hat allerdings auch im Osten das Englische gleichgezogen bzw. befindet sich auf der Überholspur.

Karl-Heinz Göttert, Autor des Buches "Deutsch. Biografie einer Sprache." Foto: privat
Karl-Heinz Göttert, Autor des Buches "Deutsch. Biografie einer Sprache."Bild: Ullstein Buchverlage

Es gibt also Schwerpunkte des Deutschlernens in der Welt, auch Rückgänge, wie sie nach einer Zeit der Prosperität etwa für Japan gemeldet werden. Die Gesamtzahl der Deutschlerner dürfte nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 15 und 20 Millionen liegen. Dabei ist die Tendenz insgesamt stabil, vielleicht sogar leicht steigend. In Europa hat Deutsch zu Französisch aufgeschlossen, bewegt sich mit ihm zusammen in einem oberen Mittelfeld. Weltweit gibt es punktuelle Fortschritte. Die Gründe fürs Deutschlernen mögen im Einzelnen vielfältig sein, von wirtschaftlichen Erwägungen bis zu privaten Vorlieben reichen. Ein Grund aber scheint in der Bereitschaft zu liegen, die Sprache der Anderen zu lernen. Wer sich den Anderen öffnet, findet auch selbst Zuspruch. Sprachenlernen lohnt sich so gesehen doppelt.

Autor: Karl-Heinz Göttert

Redaktion: Gabriela Schaaf

Karl-Heinz Göttert ist Professor für Germanistik an der Universität zu Köln und Autor zahlreicher Bücher. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Rhetorik sowie Magie und Alltag im Mittelalter.

Am 12. März erscheint im Ullstein Verlag sein Buch "Deutsch. Biografie einer Sprache".