1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Röttgen beharrt auf Atomausstieg

14. Februar 2010

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat seine Forderung nach einem baldigen Atomausstieg bekräftigt. Damit sorgt er für Streit in der schwarz-gelben Koalition, die eigentlich längere AKW-Laufzeiten plant.

https://p.dw.com/p/M17S
Norbert Röttgen (Foto: AP)
Norbert Röttgen: Atomkraft - nein, danke.Bild: AP

Noch ist nicht klar, wie lange die deutschen Atomkraftwerke (AKW) am Netz bleiben sollen. Fest steht aber: Nach bisherigem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung sollen die Atommeiler auf jeden Fall länger laufen als ursprünglich geplant.

Nur einer will das Spiel nicht mehr mitspielen, jedenfalls nicht offiziell: Bundesumweltminister Norbert Röttgen forderte jetzt erneut, die Union solle sich möglichst bald von der Atomkraft verabschieden. Seine Partei müssen sich "gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will", sagte Röttgen vor einer Woche - und er legte am Sonntag (14.02.2010) noch einmal nach: Möglichst bald sollten die deutschen Atomreaktoren durch erneuerbare Energien abgelöst werden, so Röttgen. "Wenn man ein Ziel vor Augen hat, will man es schnell erreichen."

Röttgen gegen Brüderle

Rainer Brüderle (Foto: dpa)
Rainer Brüderle will den "Ausstieg vom Ausstieg"Bild: dpa

Damit stellte sich Röttgen gegen die vorherrschende Meinung in der schwarz-gelben Koalition, vor allem aber gegen seinen Kollegen, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Der hatte sich kürzlich für einen "Ausstieg vom Ausstieg" ausgesprochen. Brüderle argumentiert, die Förderung erneuerbarer Energie werde den Verbraucher Milliarden kosten. "Niemand will neue Kernkraftwerke in Deutschland. Eine langfristige Perspektive kann aber nur entstehen, wenn mit soliden Fakten statt mit ideologischen Schnellschüssen gearbeitet wird."

Verschärfte Debatte

Damit hat der Streit um den Atomausstieg in der schwarz-gelben Koalition deutlich an Schärfe zugenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich zur aktuellen Debatte noch nicht geäußert. Langfristig gibt aber auch sie der Atomenergie keine Chance: Atomkraft bleibe eine "Brückentechnologie", bis genug Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden könne. "Sie ist nicht meine favorisierte Energiequelle", sagte Merkel zur Atomenergie. Neue Atomkraftwerke sollen nicht gebaut werden, erklärte Merkel mehrmals: "Solche Gedanken habe ich nicht, kenne ich nicht, will ich nicht, nein."

Keine Alternative

Atomkraftwerk Biblis (Foto: AP)
Deutschlands ältester Atommeiler in Biblis/HessenBild: AP

Aber noch fehlt Deutschland die Alternative zur Atomkraft: Der Anteil an erneuerbaren Energien sei aktuell noch viel zu gering, um den Energiebedarf der Deutschen zu decken, argumentieren Politiker aller Parteien. Union und FDP wollen, dass Ökoenergie bis 2020 einen Anteil von 20 Prozent an der Stromerzeugung hat - das entspricht den EU-Vorgaben.

Für die Energiekonzerne war der Wahlsieg von Schwarz-Gelb dennoch ein Freudenfest: Die neue Bundesregierung hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern zu wollen. Für die Energiekonzerne bedeutet das Milliardengewinne, da die älteren Anlagen bereits abgeschrieben sind. Erneuerbare Energien sind im Gegensatz dazu für die Konzerne äußerst teuer. Die Energiefirmen hatten daher im vergangenen Jahr getrickst: Einige Atommeiler hätten nach den Vereinbarungen mit der ehemaligen rot-grünen (SPD/Grüne) Bundesregierung bereits vor der letzten Bundestagswahl vom Netz gehen sollen. Spontan starteten die Konzerne intensive Reparatur- und Wartungsarbeiten, nahmen die betroffenen AKW für einige Monate vom Netz, um damit die Gesamt-Laufzeit nach hinten zu verlängern. Und in der Zwischenzeit hatte Deutschland gewählt - und die vor Jahren unterzeichneten Beschlüsse und Gesetze zum Atomausstieg (Stichwort: "Atomkonsens") hatten keine Bedeutung mehr.

Bleibt die Frage,

RWE-Hauptsitz (Foto: AP)
Energiekonzerne wie RWE würden von längeren AKW-Laufzeiten profitierenBild: AP

...was die Energiekonzerne mit den Milliardengewinnen machen, die sie durch eine Verlängerung der Laufzeiten bekommen: Verbraucherschützer fordern, das Geld solle dem Endverbraucher zu Gute kommen, beispielsweise durch sinkende Strompreise. Eine andere Möglichkeit wäre, die Gewinne verpflichtend in die Erforschung von erneuerbaren Energien zu stecken. Das will beispielsweise Wirtschaftsminister Brüderle: Er will mindestens die Hälfte der Sondergewinne abschöpfen. Umweltminister Röttgen hatte Brüderle in der Vergangenheit auch in diesem Punkt widersprochen: "Der Staat muss jeden Anschein vermeiden, er schöpfe Sondergewinne ab und mache dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit."

Ungeliebtes Thema

Nach außen hin schweigt sich die Bundesregierung aus: Bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai sollen ungeliebte Themen wie Atomlaufzeiten und Endlagerfrage offiziell nicht diskutiert werden. "Grüne" Vorstöße wie der von Röttgen passen den anderen Parteien überhaupt nicht: Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kritisierte mehrfach, Röttgen wolle "den Menschen Sand in die Augen streuen, während Schwarz-Gelb im Hinterzimmer den Ausstieg aus dem Atomausstieg festzurrt." Auch die Sozialdemokraten fordern dringend, am Atomausstieg festzuhalten und manche Atomkraftwerke sogar noch schneller abzuschalten, als ursprünglich geplant. In der Auseinandersetzung um Kernenergie gehe es nicht nur um Klimapolitik und Energiepolitik, erklärte der SPD-Chef und frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, sondern auch um Arbeitsplätze. Denn bei den regenerativen Energien könnten Hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstehen - eine Verlängerung der Laufzeiten gefährde hingegen Arbeitsplätze.

Autorin: Anna Kuhn-Osius (dpa, ap, rtr)

Redaktion: Christian Walz