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Die 'L.A. Gang Tour'

10. Februar 2010

South Los Angeles war Schauplatz blutiger Rassenunruhen und Geburtststätte der berühmtesten Gangs der USA. Jetzt gibt es eine Tour durch die berüchtigsten Ecken des Stadtviertels - für Touristen im klimatisierten Bus.

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Graffiti im Graffiti Labor "The Graff Lab", Los Angeles (Foto: DW/Kerstin Zilm)
"Führung durch ein Kriegsgebiet": die Bustour durch South CentralBild: Kerstin Zilm

"Mir ist klar, dass die Tour gefährlich ist und Risiken birgt. Darunter das Risiko zu sterben und mich zu verletzen. Teile meines Besitzes könnten beschädigt werden." Diese Erklärung müssen alle Teilnehmer der "LA Gang Tours" unterschreiben und 65 Dollar zahlen, bevor sie mit Ex-Gangmitgliedern auf einen Trip durch die gefährlichen Straßen von Los Angeles' Süden gehen.

LA Gang Tours Gründer Alfred Lomas im Bus (Foto: DW/Kerstin Zilm)
"Plattform und Geschäfts-Möglichkeit": Ex-Gang-Mitglied und Tour-Guide LomasBild: Kerstin Zilm

Bert Rietfeld aus den Niederlanden lebt seit einigen Jahren in LA, war aber bisher nur einmal in dieser Gegend. Und das aus Versehen. "Ich dachte immer, man geht da besser nicht alleine hin, es ist zu gefährlich", erzählt er. "Ich hab einmal die falsche Abfahrt von der Stadtautobahn genommen und landete in einem Viertel, wo ich dachte - bloß schnell wieder raus hier."

Der Australier Daniel Auld ist auf Weltreise. Die Bustour durch Gang-Reviere ist genau nach seinem Geschmack. Seit neun Monaten ist unterwegs, lebte unter anderem in einem Waisenhaus in Indien. Für ihn ist die Gangtour “eine logische Fortsetzung” seiner Reise.

Ex-Gangmitglieder sorgen für Waffenstillstand

LA-Gang-Tours-Gründer und Reiseführer Alfred Lomas war bis vor vier Jahren Mitglied einer Latino-Gang mit Verbindung zur mexikanischen Mafia. Für ihn sind die Bustouren Gelegenheit, von den Medien vernachlässigte Details aus Geschichte und Gegenwart der Gangs zu vermitteln. "Die Leute sind fasziniert von Gangs. Wir nutzen das als Plattform und Geschäftsmöglichkeit." Von den Einnahmen sollen Job-, Wohn- und Antigewalt-Projekte in dem Viertel bezahlt werden.

Jugendliche Sprayer bei "The Graff Lab", Los Angeles (Foto: DW/Kerstin Zilm)
Gangsterfreie Zone - fotografieren erlaubt: Die "LA Gang Tour" endet bei den jugendlichen Sprayern des "Graff Lab" in South Los AngelesBild: Kerstin Zilm

Der Bart getrimnmt, das kurze Haar nach hinten gegelt, steht Alfred in schwarzem Hemd und Jeans neben dem Busfahrer. Neben ihm schaut in dunkelblauer Windjacke Co-Reiseführer Melvin auf die Tourteilnehmer. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass entlang der Busstrecke Waffenstillstand herrscht. "Wenn zwei Viertel gerade übereinander herfallen, werden wir mit dem Bus nicht mitten durch fahren. Die Gangmitglieder sagen uns Bescheid, wenn es grade nicht cool ist", beruhigt Melvin die Touristen. Und fügt lächelnd hinzu: "Mir würde nichts passieren, aber wir wollen Euch nicht in die Schusslinie bringen!" Die Gegenleistungen für den Waffenstillstand: keine Zwischenstopps, keine Kameras!

Keine Safari - eher eine Tour durch ein Kriegsgebiet

Über die Stadtautobahn geht es nach Downtown Los Angeles. Zwischen glitzernden Wolkenkratzern und der Touristenidylle der ältesten Gebäude der Stadt stehen zwei Betonfestungen: Gefängnisse. Alle Mitarbeiter der LA Gang Tours haben hier gesessen, sagt Tourführer Alfred lapidar. Auch Promis belegen regelmäßig Zellen. Zum Beispiel Schauspieler Robert Downey Jr. Oder Paris Hilton.

LA Gang-Tourführer Melvin Jones (Foto: DW/Kerstin Zilm)
"Wir sind keine Safari": Tourführer Melvin JonesBild: Kerstin Zilm

Weiter geht es über den LA-River. Das ausgetrocknete Flussbett mit seinen Betonwänden ist beliebt als Graffiti-Untergrund und Filmkulisse. Von "Grease" bis zu "Terminator". Alfred zeigt auf eine Kreuzung. Dies war der Tatort einer der tödlichsten Gang-Schiessereien der US-Geschichte. Über 10 tausend Schüsse wurden abgefeuert. Ein paar Blocks weiter liegen Obdachlose auf Pappkartons. Misstrauisch schauen sie auf den klimatisierten Tour-Bus, der durch ihr Viertel rollt und auf die Gesichter hinter den leicht verdunkelte Scheiben.

Im Bus kommt man sich ein wenig vor wie bei der Fahrt durch einen Zoo. "Wir sind keine Safari!", widerspricht Tourführer Melvin. Es sei vielmehr wie eine Führung durch ein Kriegsgebiet, die helfe, Gangs besser zu verstehen. Zum Beispiel, dass viele, die dabei sind, gar keine Gewalt wollen.

"Gangmitglieder sind auch nur Menschen"

Nur am Ende der Tour dürfen die Gang-Touristen aussteigen und fotografieren. Zwischen heruntergekommenen Sozialbauten: eine gangsterfreie Zone. Jugendliche sprühen Graffiti auf Garagenwände. Daniel, der Weltreisende, hatte auf etwas mehr Spannung gehofft. Aber das Wichtigste sei Erkenntnis gewesen, dass auch Gang-Mitglieder nur Menschen seien, sagt der Australier. "In Gefahr waren wir bei der Tour nur auf der Autobahn." Für die Organisatoren ist das eine sehr gute Bilanz.

Autorin: Kerstin Zilm

Redaktion: Sven Töniges