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Gestohlenes Land?

9. Februar 2010

Vancouver fiebert den Olympischen Winterspielen entgegen. Kanadas Ureinwohner blicken dagegen mit gemischten Gefühlen auf das sportliche Großereignis. Findet die Medaillenjagd auf gestohlenem Indiander-Land statt?

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An Inukshuk monument is seen during first light in English Bay in Vancouver, British Columbia, Tuesday, Feb. 9, 2010. An Inukshuk design is the basis of the logo of the Vancouver 2010 Olympic Games which begin Feb. 12. Friendship and the welcoming of the world are the meanings of both the English Bay structure and the 2010 Winter Olympics emblem. (Foto: AP)
Imagewechsel oder Ausverkauf? Das Logo der Spiele: ein Inukshuk-SymbolBild: AP

Andächtig lauscht die Menge, die eben noch wütende Protestrufe von sich gegeben hat, dem Klagelied, das T’uy’tonat, eine Squamish First Nation, auf Vancouvers Victoria-Platz vorträgt.

First Nations Demonstrantin auf einer Pressekonferenz in Pidgeon Park, Vancouver (Foto: Dörthe Keilholz/DW)
Demonstration der First Nations in Pidgeon Park, VancouverBild: DW

First Nations, so nennen sich Kanadas Ureinwohner. Um die 200 von ihnen haben sich an diesem verregneten Abend versammelt, um gegen die Olympischen Winterspiele zu demonstrieren, die in wenigen Tagen in Kanadas Hauptstadt des Westens beginnen werden. Es ist nur eine von vielen Protestaktionen. First Nations-Demonstranten, die mit Plakaten und wütenden Protestgesängen durch Vancouvers Stadtmitte ziehen, sind schon seit einigen Monaten kein seltener Anblick mehr.

Auch T’uy’tonat, die Sängerin des Gebetsliedes, ist alles andere als Olympia-begeistert: "Keiner von uns wird davon profitieren. Als eine First Nation und als Frau bin ich gegen die Spiele, als Einwohner Vancouvers bin ich ebenfalls dagegen."

Olympische Austragungsorte auf umstrittenem Land

Gründe, die gegen die Olympischen Spiele sprechen, gibt es für Kanadas Ureinwohner viele: Umweltzerstörung, mangelndes Mitspracherecht, doch vor allem geht es um Land.

"Keine Olympiade auf gestohlenem Land": Protestaufkleber in Vancouver vor der Olympia-Uhr (Foto: Dörthe Keilholz/DW)
"Keine Olympiade auf gestohlenem Land"Bild: DW

Weiß-grüne Aufkleber einer Protestorganisation mit der Aufschrift "Keine Olympischen Spiele 2010 auf gestohlenem Land" kleben seit Wochen an jedem zweiten Laternenpfahl der Stadt. Das Motto soll darauf aufmerksam machen, dass sich ein Großteil der olympischen Austragungsorte in Gebieten befindet um die Lil'wat, Musqueam, Squamish and Tsleil-Waututh (Saywatooth) First Nations bereits seit Jahren mit der kanadischen Regierung streiten.

Land und die Frage wem es gehört - ein kontroverses Thema in Kanada, nicht nur mit Blick auf die Winterspiele, sagt Historikerin Jean Barman. Auf die jahrtausendalte Verbindung zwischen Kanadas Ureinwohnern und dem Land ihrer Vorfahren wird dabei von Seiten der Regierung und Industrie oft wenig Rücksicht genommen.

Die Ureinwohner Kanadas hätten eine sehr, sehr enge Verbindung zu ihrem Land. Es sei ihre ökonomische Basis, erklärt Barman. "Außerdem betrachten sie spirituell ihr Land als etwas, das lebendig ist. Es hat für sie eine tiefere, übergreifende Bedeutung. Das ist für nicht-indigene Leute oft schwer nachvollziehbar."

"Die vier Gastgeber-First Nations"

Doch nicht nur zwischen Regierung und First Nations gibt es Unstimmigkeiten. Auch innerhalb der Stämme ist man sich uneins über Vor- und Nachteile der Olympischen Spiele.

Einige Führungsmitglieder der vier Stämme, auf dessen Land Vancouvers Winterspiele ausgetragen werden, haben sich unter dem Namen "Die vier Gastgeber-First Nations" zusammen geschlossen. Im Austausch für finanzielle Unterstützung durch die Olympischen Komitees für Projekte, die ihren Stämmen zu Gute kommen sollen, treten sie offiziell für die Spiele ein.

"Wenn wir nicht an den Spielen teilgenommen hätten, hätte jemand anderes unsere Geschichte erzählt und das sollte niemals der Fall sein", sagt Tewanee Joseph, Vorstandsvorsitzender der vier Gastgeber-Nationen. Mit so vielen Vorurteilen sei ihre Kultur belastet. "Unser Ziel sollte es sein, diese Vorurteile abzubauen. Es ist an der Zeit, dass wir der Welt das Gute unserer Kultur vor Augen führen."

First Nations-Kultur: Imagewechsel oder Vermarktung?

In der Tat war First Nations-Kunst, Gesang und Tanz ein wichtiger Bestandteil der Kulturellen Olympiade - einer Reihe von Kulturveranstaltungen, die im Vorfeld der Olympischen Spiele statt fanden. Auch im Rahmen der Eröffnungszeremonien wird es an First Nations-Kulturdarbietungen nicht mangeln. Eine Zurschaustellung, in der viele First Nations keinen Imagewechsel, sondern eine Vermarktung ihrer Kultur sehen.

(Foto: DW/Dörthe Keilholz)
"Wir vertuschen unsere Realität für die Spiele": David DennisBild: DW

"Wir vertuschen die Realität für die Olympischen Spiele und singen unsere Lieder", sagt David Dennis, Olympia-Gegner und Präsident der Organisation Vereinigte First Nations. Man dürfe dabei jedoch nicht vergessen, dass die First Nations, die an den Spielen teilnehmen, dafür bezahlt werden. "In Wirklichkeit leben sie jedoch in Armut und ihre Cousins, ihre Nichten, ihre Verwandten haben keine Zukunft in diesem Wirtschaftsklima", so David Dennis.

Tatsächlich lebt ein Großteil der First Nations in British Columbia in Armut, ohne ausreichend Nahrung, Krankenversicherung oder Arbeit. Vancouver ist die Stadt mit der höchsten Obdachlosenrate in Kanada. Schätzungen zufolge sind um die 50 Prozent dieser Obdachlosen First Nations. Für diese traurige Realität scheint es, so Dennis, im Rahmen der Olympischen Spiele jedoch keinen Platz zu geben.

Autorin: Dörthe Keilholz

Redaktion: Sven Töniges