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Unbequeme Wahrheit

8. Februar 2010

Aus umweltpolitischer Sicht wäre ein globaler Schrumpfungsprozess nötig, schreiben Lars Schmidt und Dr. Pierre Ibisch in der Gastkolumne des DIE. Ist dann aber noch eine herkömmliche Entwicklungspolitik vertretbar?

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Symbolbild Gastkolumne (Foto: DW)
Bild: DW

In ihren vorherigen Kolumnen ("Wachstum und nachhaltige Probleme“ vom 19.10.2009 und "Nachhaltigkeit die Zweite: Eine neue ökologische Radikalität“ vom 30.11.2009) plädierten die Autoren für eine neue ökologische Radikalität und mehr neuer statt "alter Politik“. Ein "Green New Deal“ im Sinne eines klimawandelneutralen Wirtschaftswachstums führe nicht in die Nachhaltigkeit. Grundsätzlich sei Wachstum auch keine langfristig tragfähige Lösung für die Armutsbekämpfung. Nunmehr diskutieren die Autoren aktuelle Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung und erläutern, inwieweit diese umsetzbar scheinen.

Konzepte für die Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung lassen sich zumeist drei Kategorien zuordnen: Erstens: Ersetzen von quantitativem Wachstum durch qualitatives Wachstum, also Entkoppelung von Ressourcenverbrauch durch Steigerung der Effizienz, de-materialisierte Wertschöpfung und Konsistenz im Sinne von geschlossen wirtschaftlichen Stoffkreisläufen, zweitens: Nullwachstum u.a. in Form der von Herman Daly skizzierten “Steady-State Economy” und drittens Schrumpfung oder Kontraktion unter der Annahme, dass die Tragfähigkeitsgrenzen bereits überschritten worden sind.

Qualitatives Wachstum entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Illusion, die jenen als Ausrede dient, die entweder einen Strukturwandel aus eigenen Interessen verschleppen wollen oder von einem starken Glauben an unsere technische Innovationskraft beseelt sind. Relative Entkoppelung, also eine Reduktion des Verbrauchs von Energie und auch von bestimmten Naturressourcen pro Einheit BIP, findet in vielen Ländern zwar statt. Allerdings sorgen Rebound-Effekte dafür, dass Effizienzgewinne durch zusätzlichen Konsum und Schaffung neuer Produktionsstrukturen zunichte gemacht werden. Auch entstehen im Rahmen technischer Innovationen oft zusätzliche Abfallstoffe, die das Konsistenzprinzip untergraben. Generell werden Effizienzgewinne in einzelnen Ländern global durch Bevölkerungswachstum und steigenden Lebensstandard aufgebraucht.

Globale Schrumpfung wünschenswert

Ist es wünschenswert und möglich, den absoluten und wachsenden Ressourcenverbrauch durch Einführung von Obergrenzen zu stabilisieren bzw. zu reduzieren? Im Sinne globaler Gerechtigkeit wäre ein globales Nullwachstum (die "Steady-State Economy“) weder ethisch akzeptabel noch in Ansätzen umsetzbar, da es den Entwicklungsländern ein unzumutbares Opfer abverlangt. Stattdessen müsste, ähnlich den Absichten der internationalen Klimapolitik, eine absolute Reduktion des Ressourcenverbrauchs in Industrie- und Schwellenländern beginnen, während Entwicklungsländer eine gewisse Zeit ihren Ressourcenverbrauch weiter steigern dürften. Obwohl theoretisch denkbar, erweist sich globales Nullwachstum wegen der strukturellen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern als unmöglich. Ein Schrumpfungsprozess oder auch nur schwächeres Wachstum in Industrie- und Schwellenländern würde zwangsweise zu einer Verringerung z. B. von Rohstoffimporten führen, während Direktinvestitionen in Entwicklungsländern abnehmen könnten. Ein Schrumpfungsprozess in Industrieländern würde auch das Wachstum in Entwicklungsländern reduzieren.

Zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung wäre ein globaler Schrumpfungsprozess hingegen genau das Richtige. Das damit verbundene Dilemma hat Tim Jackson mit folgendem Satz auf den Punkt gebracht: "Wachstum ist nicht nachhaltig, Nicht-Wachstum führt unter den jetzigen Rahmenbedingungen zu gesellschaftlicher Instabilität.“ Dem hinzuzufügen ist nur, dass eine Fortführung des Wachstumspfades zu einer endgültigen und unbeherrschbaren Instabilität von Erdsystem und den von ihm abhängigen Gesellschaften führen könnte. Je früher allerdings mit einer freiwilligen Schrumpfung begonnen würde, desto mehr Gestaltungsmöglichkeiten blieben für die Minderung einer ggf. eintretenden gesellschaftlichen Destabilisierung. Schrumpfung bedeutet weniger Konsum, heißt weniger Produktion, macht gleich weniger Arbeit und weniger Einkommen, was wiederum weniger Konsum bedeutet und so weiter und so fort. Schrumpfung ohne gerechte Umverteilung von Arbeit und Einkommen würde zu gesellschaftlichen Unruhen führen. Niko Paech skizziert eine Post-Wachstumsökonomie als eine Mixtur aus Umverteilung, der Trennung vom gegenwärtigen Geld- und Zinssystem, Innovationsorientierung und globaler Fremdversorgung. Es müsste eine Balance zwischen Eigen- und Fremdversorgung innerhalb regionaler Wirtschaftskreisläufe erreicht werden, welche weniger einkommens- bzw. geld- und damit auch wachstumsabhängig wären. Dazu gehörte auch eine mit einem gegen Null tendierenden Zinsniveau ausgestatte Währung nach dem Vorbild vieler bestehender Regionalwährungen, die eine Akkumulation von Kapital mangels Anreiz verhindert.

Wenig Chancen für Alleingänge

Welche Chancen hat ein solcher Ansatz, der vielen Post-Materialisten so wünschenswert erscheint? Bundeskanzlerin Merkel hat mehrfach betont, dass es einen Alleingang in Richtung Nachhaltigkeit nicht geben wird. Global wäre damit nichts gewonnen, da der Rest der Welt weiter wachse. Ja, er würde Deutschland im internationalen Wettbewerb benachteiligen und ggf. sogar isolieren. Eine globale Lösung im Rahmen einer bestehenden oder weiteren internationalen Konvention auf UN- oder WTO-Basis anzustreben, erscheint extrem unrealistisch, denn wer sollte dafür schon eintreten? Selbst wenn eine solche Wachstumsbeschränkungs-Konvention zustande käme, käme sie erstens zu spät und würde zweitens an Ineffektivität sicherlich der Klimarahmenkonvention nacheifern. Die ‚Kopenhagener Ereignisse’ haben jüngst gezeigt, dass ein vom Konsensprinzip geleitetes und auf Einschränkung der Nationalstaaten zielendes globales Regime wenig Erfolg versprechend ist. Zu unbequem ist die Wahrheit, dass wir über unsere Verhältnisse leben und nur Verzicht eine nachhaltige Entwicklung wieder möglich machen könnten.

Bleibt also eine ökologische Radikalität - die darauf abzielt, dass die Gesellschaft endlich anerkennt, Teil eines Ökosystems zu sein, dessen Naturgesetzen sie nicht entfliehen kann - dazu verdammt, auf geduldigem Papier gepredigt zu werden? Sollen wir wegen des gesellschaftlichen Beharrungspotenzials offenen Auges und mit Vollgas, befeuert von Wachstumsbeschleunigungsgesetzen, Hand in Hand mit dem Rest der Welt, vor die Wand fahren? Es geht darum, realistische Szenarien zu entwickeln, sich dabei der unvermeidlichen "Schwarzmalerei-Totschlag“- Argumente zu erwehren, und im Sinne einer grundlegenden und präventiven Daseinsfürsorge Politiker und Gesellschaft dazu zu bringen, endlich das Wohlergehen heutiger und zukünftiger Generationen als Ausgangspunkt für alle Entscheidungen zu machen.

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Neue Politik nötig

Wir brauchen eine Politik, die fundamental reformiert werden muss: Sie muss ihre Entscheidungen auf Erkenntnissen aller Wissenschaftsdisziplinen und ethisch begründen und sich nicht einseitig von den "Wirtschaftsweisen“ und von kurzfristig denkenden Lobbyisten leiten lassen. Regierungen müssen Rechenschaft ablegen, wie relevante wissenschaftliche Erkenntnisse – z. B. zu Klimawandel, Endlichkeit von Ressourcen, Armutsvermehrung und nicht-linearem Verhalten von Systemen - in Entscheidungen berücksichtigt werden. In einer echten Wissensgesellschaft sollte so viel aktuelles und komplexes Wissen wie nur möglich in die Politik eingehen. Die Wissenschaftlichen Beiräte der Regierung müssten deutlich unabhängiger sein als es derzeitig der Fall ist; definitiv sollten sie nicht von den Regierenden selbst berufen werden.

Unabhängig davon, ob es global- oder bundespolitisch gelingt, das Ruder herumzureißen, ist eine Doppel-Strategie, ähnlich dem Vermeidungs- und Anpassungskonzept im Klimaschutz, sinnvoll. Denn selbst eine freiwillige Reise in eine Welt ohne Wachstum würde alles andere als sanft verlaufen. Nachhaltigkeit durch Schrumpfung wäre, wie es Claus Leggewie und Harald Welzer in Anlehnung an den REM-Song in ihrem Buch ausdrücken, "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“. Ob wir wie im Lied allerdings zum Schluss "…and I feel fine“ singen können, ist höchst zweifelhaft. All jene, die bei Nachhaltigkeit von kultureller Erneuerung träumen, von Ausruhen auf dem akkumulierten Wohlstand und von freier Zeit für die Entwicklung geistiger Werte, geben sich einer Illusion hin. Anpassung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung heißt: Ersetzung von Globalisierung und Fremdversorgung durch individuelle, lokale und regionale Initiativen. Regionalwährungen, geschaffen um sich dem Trend der Globalisierung zu widersetzen und die eigene Region wieder stärker zum wirtschaftlichen Mittelpunkt zu machen, sind ein Anfang. Weitere Schritte sind die Steigerung der Selbstversorgung oder Versorgung mit Gütern und regenerativer Energie aus der Region, gegen Regionalgeld, Dienstleistungen oder Tauschhandel. Wir müssten unabhängigere kommunale Strukturen schaffen, die auch ohne Wachstum ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Stabilität, Sicherheit und politischer Steuerung zu garantieren in der Lage sind. Solche Gemeinden oder Netzwerke von Gemeinden wären im Falle eines wahrhaftigen „Crashs“ weniger verletzbar.

Legitimation für Entwicklungspolitik fehlt

Aber wie steht es mit der medizinischen Versorgung, mit Sicherheit und politischen Rechten? Und was passiert mit unangenehmen Überbleibseln unserer Industriegesellschaft wie etwa atomaren Zwischen- und Endlagern oder militärischem Gerät? Wenn die Komplexität menschlicher Gesellschaften proportional mit ihrem Energie- und Ressourcenumsatz zunimmt, müsste eine nachhaltige Post-Wachstumsgesellschaft wesentlich einfacher aussehen, z.B. hinsichtlich ihrer Institutionellen Gestaltung und Serviceleistungen. Möglicherweise ist der Nationalstaat als gesellschaftliche Organisationsform ein Hindernis auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Ein tragisches Dilemma, da doch auf der anderen Seite die Nationalstaaten die Akteure einer Weltumweltpolitik sein müssten.

Angesichts einer solchen Perspektive für Deutschland und andere Industrienationen ist es fast müßig, über Entwicklungspolitik respektive Armutsbekämpfung nachzudenken. In der Tat sollten wir uns ernsthaft fragen, ob es angesichts solcher Perspektiven vertretbar ist, Entwicklungsländer bei der Anbindung an ein nicht mehr tragfähiges globales System zu unterstützen. Erhöhen wir damit nicht unnötig ihre zukünftige Fallhöhe, wenn wir z. B. Länder dabei unterstützen, für den Export zu produzieren, anstatt sich auf die Versorgung ihrer Binnen- oder Regionalmärkte zu konzentrieren? Da wir aber weiterhin auf unser Turbowachstumsbeschleunigungsprogramm setzen, fehlt uns jegliche Legitimation, derartige Fragen auch nur zu denken.

Der Beitrag stellt die persönliche Meinung der Autoren dar und muss sich daher nicht mit den Ansichten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) decken.

Über die Autoren:

Lars Schmidt, freier Berater und bis Dezember 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Prof. Dr. Pierre Ibisch, Fachhochschule Eberswalde, Fachbereich für Wald und Umwelt

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.