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Vergessenes Land

15. Januar 2010

Armut, Diktaturen, Anarchie und Wirbelstürme: Haitis Lage war schon vor dem Erdbeben eine Katastrophe, doch die Weltgemeinschaft hat sich nur halbherzig gekümmert, findet Ina Rottscheidt.

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Bild: DW

Wer jemals nach Haiti gereist ist, hat vielleicht zu Hause auch diese neidischen Blicke geerntet: Von Sonne, Strand und guten Urlaubswünschen war dann meist die Rede. Wenn man dann aufklärte, dass es sich nicht um die Südsee-Insel Tahiti handelt, wurden die Gesichter meist länger. Bei dem Hinweis auf das ärmste Land der westlichen Hemisphäre waren die Urlaubsfantasien dann gänzlich vernichtet.

Haiti ist ein vergessenes Land. Seit Jahrzehnten ist es das. Es gibt dort keine nennenswerten Rohstoffe, keine strategischen Interessen, keine Absatzmärkte, nur arme Menschen. Und viele Katastrophen: Blutige Diktaturen, zuletzt unter Jean Bertrand Aristide, der 2004 in die Flucht geschlagen wurde und ein Land in Chaos und Anarchie hinterließ. 2008 die Hungerrevolten. Wenige Monate später die Wirbelstürme, die das Land dem Erdboden gleich machten und hunderte Opfer forderten. Kurze Momente, in denen Haiti zurück in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit kroch, um kurz darauf wieder in der Vergessenheit zu verschwinden.

Internationale Mitverantwortung

Insofern trägt auch die Weltgemeinschaft eine Mitverantwortung dafür, dass das Erdbeben ein solches Ausmaß annehmen konnte, wie wir es jetzt in allen Nachrichtensendungen sehen: Denn Haiti war auf so eine Katastrophe nicht vorbereitet. Die medizinische Versorgung war schon vorher mangelhaft, es gab schon vorher zu wenig Wasser und Nahrung. Und dass die ärmlichen Hütten, die die Hügel von Port-au-Prince hoch wuchsen, einem solchen Beben nicht standhalten würden, war jedem sofort klar, der sie einmal gesehen hat.

Doch nur selten wurde eben hingeschaut: Haiti blieb bis auf einige kleine Hilfsorganisationen allein mit seiner Armut, seinen Problemen und seiner politischen Instabilität. Daran konnten auch die UN-Truppen nicht viel ändern; sie haben zwar das Land von dieser totalen Anarchie erlöst, von den Banden, die ganze Stadtteile unter Kontrolle hielten und sich bis aufs Blut bekämpften. Die UN haben dafür gesorgt, dass Ansätze von Demokratie wieder zurück in dieses politische Chaos kehrten - von daher ist ihr Verdienst nicht zu unterschätzen. Aber die UN können keine Jobs schaffen, keine Mägen füllen, keine Investitionen ins Land locken und nicht den Klientelismus und die Korruption abschalten, die das Land seit 200 Jahren aussaugen.

Haiti braucht längerfristiges Interesse

Geberkonferenzen, Solidaritätsbekundungen und Sonderbeauftragte muteten in der Vergangenheit eher wie eine hilflose Geste der Internationalen Gemeinschaft an. Bei der letzten Geberkonferenz für Haiti im vergangenen Frühjahr einigte sie sich auf eine Unterstützung von 320 Millionen Dollar für Haiti. Zum Vergleich: Allein die USA haben für ihre "notleidenden" Banken 700 Milliarden Dollar ausgegeben.

Was Haiti jetzt braucht, ist längerfristige Hilfe und ein Interesse, dass auch dann noch anhält, wenn die erschütternden Bilder von Opfern und Trümmern wieder von unseren Fernsehbildschirmen verschwinden, wenn die Nothilfe in den Wiederaufbau übergeht. Haiti braucht Hilfe, jetzt sofort, das ist klar, aber es braucht sie auch die nächsten zehn, vielleicht zwanzig Jahre. Und die Weltgemeinschaft braucht langen Atem und Geduld - damit Haiti nicht wieder in der Vergessenheit verschwindet.

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Oliver Pieper