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Stellschraube Handel

15. Januar 2010

Der Klimawandel wird die ärmsten Länder am stärksten treffen, so wie die steigenden Nahrungsmittelpreise vor zwei Jahren. Experten machen die Regeln des weltweiten Agrarhandels dafür verantwortlich.

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Ein Landwirt erntet mit einem Mähdrescher Wintergerste (Foto: AP)
EU-Bauern sind hoch subventioniertBild: AP

Dass die Beseitigung von Hunger in den meisten Staaten im Wesentlichen davon abhängt, wie der Welthandel organisiert ist, mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber offiziell anerkannt wurde sie erst relativ spät. 1996 trafen sich die UN-Staaten zum Welternährungsgipfel in Rom und formulierten erstmals: "Wir sind uns einig, dass Handel ein Schlüsselelement ist, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten."

Kleinbauern marginalisiert

Zwei Kühe auf der Weide (Foto: dpa)
Europäische Subventionen ersticken die Landwirtschaft in AfrikaBild: picture-alliance/dpa

Gemeint war damals vor allem die Liberalisierung der Märkte: Die Industriestaaten sollten ihre Subventionen abbauen, und alle Staaten sollten Handelsschranken wie Zölle, Steuern und Ausfuhrbeschränkungen reduzieren, damit ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Passiert ist das nicht wirklich. Immer noch schützen die Industrieländer ihre Landwirtschaft, liberalisiert hat sich der Markt nur in einigen Bereichen. Und dort, wo der Markt liberalisiert wurde, sind neue Probleme aufgetaucht. Die Bauern könnten sich kaum vor Preisschwankungen schützen, sagt Olivier De Schutter, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung. "Die Kleinbauern in Entwicklungsländern haben keine Wahl, entweder, sie bleiben marginalisiert und arm, oder sie werden Teil der weltweiten Warenkette."

Das heißt: Entweder sie bauen bestimmte Güter an, die auf dem Weltmarkt erfolgreich sind, oder sie produzieren ausschließlich für den Eigenbedarf. Gefördert werden deshalb nicht die Produkte, die im Land gebraucht werden oder unter den dortigen Bedingungen am besten angebaut werden können, sondern die sich am besten verkaufen. Oft sind das Produkte, die viel Bewässerung brauchen, was neue Probleme schafft.

Ein alter Pferdekarren steht in Vangri (Indien) vor einer Hütte (Foto: dpa)
Indische Bauern sind arm und oft hochverschuldetBild: picture alliance/dpa

Die indische Regierung zum Beispiel habe in den letzten Jahren vor allem auf den großflächigen Anbau solcher Exportgüter gesetzt, sagt die Wissenschaftlerin Rajeswari Raina aus Indien, und damit einen Teufelskreis in Gang gesetzt: "Sie verschärft die negativen Folgen wie Wasserknappheit und Armut weiter und ist dann nicht in der Lage, darauf zu reagieren – etwa durch staatliche Hilfen oder Investitionen in die ländliche Infrastruktur." Die weitere Folge: Die Regierung begünstige große Firmen, die unter diesen Bedingungen Landwirtschaft betreiben können, und die Kleinbauern würden weiter marginalisiert.

„Systeme stehen in Frage“

Aber nicht nur die Situation der Bauern werde dadurch weiter verschärft, die Politik führe auch dazu, dass beispielsweise Wälder abgeholzt werden. Wenn mehr Wälder abgeholzt werden, verschlechtert sich auch die Klimabilanz des jeweiligen Landes. Und die Folgen des Klimawandels spüren wiederum diejenigen am stärksten, die ohnehin am meisten unter unfairen Handelsbedingungen und steigenden Lebensmittelpreisen leiden.

Im Jahr 2009 ist nicht nur die Klimakonferenz von Kopenhagen gescheitert, auch die Doha-Runden zur Liberalisierung des Welthandels stecken fest. "Es ist sehr interessant zu sehen, dass verschiedene Systeme jetzt in Frage stehen und neue Werte berücksichtigen müssen", sagt deshalb De Schutter. So könne die WTO nicht mehr ignorieren, dass die Liberalisierung auch Folgen hat für den Klimawandel und die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Ländern. Umgekehrt könnten die Klimapolitiker nicht unberücksichtigt lassen, dass ihre Entscheidungen Folgen haben für die Ernährungssicherheit.

Wüstenbildung (Foto: dpa)
Gerade in armen Ländern wirkt der Klimawandel starkBild: picture alliance/dpa

Der Welternährungsbeauftragte De Schutter fordert deshalb ein Umdenken nicht nur von den Handelspolitikern, sondern von allen, die mit diesen Problemen zu tun haben: Umwelt- und Klimapolitiker, Entwicklungspolitiker. Sie alle müssten sich mit den Fragestellungen der anderen stärker auseinandersetzen. "Wir müssen auf zwei Ebenen arbeiten", sagt er. Zum einen müsse sichergestellt werden, dass "Handel im Sinne von Entwicklung organisiert wird". Zum anderen müsse sich die Struktur der Märkte in den Entwicklungsländern ändern.

Nur wenn es Alternativen zu den globalen Warenketten gebe, könnten Kleinbauern auch nachhaltig wirtschaften. "Sie müssen auf lokalen und regionalen Märkten verkaufen können und dadurch mehr Wohlstand erreichen." Nur so könne sich die Landwirtschaft wieder stärker auf Anbaumethoden zurückbesinnen, die den Bedingungen in der Region entsprechen. Für ihn ist klar: Die Lösung der Probleme auf dem Agrarmarkt ist auch gleichzeitig ein wichtiger Schritt zur Minderung von Treibausgasen. Die Leidtragenden der Krisen müssen zu deren Lösung beitragen können.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Insa Wrede