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Aufklärung der Verbrechen in Liberia

14. Januar 2010

Wie verarbeitet man Folter, Massenmord, Kannibalismus? Wie begegnet man dem Mörder seiner Tochter? Liberia hat sich für eine Wahrheits- und Versöhnungskommission entschieden und setzt auf schonungslose Aufklärung.

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Kindersoldaten Liberia (Foto:dpa )
Während des Bürgerkrieges in Liberia kämpften auch tausende Kindersoldaten...Bild: dpa

Energisch reckt Martha J. Watkins ihren rechten Arm in die Höhe, während ihre linke Hand auf der Bibel liegt. Sie steht vor einer Anhörung der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Fishtown, Provinz River Gee, Liberia. Vor vielleicht 60 Zuschauern und den neun Kommissionsmitgliedern erzählt Martha J. Watkins vom Krieg - von ihrem Krieg in Fishtown. Martha J. Watkins Ehemann starb an einem Nachmittag im Januar 2003. Man tötete ihn gemeinsam mit 368 anderen. Einigen wurden vorher Nägel durch Beine und Handflächen getrieben. Der Grund: sie hatten sich den Milizen des damaligen Präsidenten Charles Taylor in den Weg gestellt.

Der Mörder lebt nebenan

Opfer des Libria-Krieges (Foto:dpa)
...Menschen wurden getötet, vergewaltigt und verstümmelt...Bild: picture-alliance/dpa

Die Kommissionsmitglieder notieren in ihre Blöcke: ein weiterer Todesfall im Massaker von Glaro, Provinz River Gee. Martha kennt den Täter, denn sie wohnen nicht weit voneinander entfernt. Heute begegnen sie sich manchmal auf der Strasse und grüßen sich. "Es ist gut, dass er weiß, dass ich weiß und dass nunmehr alle im Land wissen, was er getan hat", sagt Martha. Sie ist nur eine von 5000 Zeugen, die in den vergangenen zwei Jahren ihre Aussage vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission und vor ganz Liberia öffentlich machten. Sie berichteten von sexuellem Missbrauch, von Massakern, von Plünderungen und Verschleppung während der Jahre 1979 bis 2003.

Verbrechen aufklären

Flüchtlinge Liberia (Foto:ap)
...viele sind heute noch auf der Flucht...Bild: AP

"Allein, dass die Menschen in die Öffentlichkeit treten und sagen `Es tut mir leid´ bedeutet eine Menge." Dadurch könne der Hass und das Unbehagen überwunden werden. Man habe endlich einen Weg gefunden, den Konflikt beizulegen, sagt Jerome Verdier, der Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Verdier ist ein besonnener Mann. Der harschen Kritik, die ihm und der Kommission oft entgegenschlägt, begegnet er mit Gleichmut. Man sei es den 250.000 Toten, den mehr als eine Million Binnenflüchtlingen, all den vergewaltigten Frauen und den misshandelten Kinder einfach schuldig, die Verbrechen der Vergangenheit aufzuklären.

Charles Taylor (Foto:ap)
...und die Verantwortlichen wie Ex-Präsident Charles Taylor kamen lange Zeit ungeschoren davon...Bild: AP

"Eine alte Wunde ist noch immer eine Wunde und Quelle größerer Qualen in der Zukunft. Wenn wir uns jetzt der Sache annehmen, ist es zwar schmerzhaft zu Beginn, aber schließlich, davon bin ich überzeugt, werden wir die Wunden heilen", sagt Verdier. Die Vereinten Nationen schätzten die Zahl der Straftäter auf 100.000. Man müsse also endlich damit beginnen, die Verbrechen zu benennen, denn einfach so weiterzumachen wie bisher und die Vergangenheit zu leugnen sei keine Möglichkeit. Die Versöhnungskommission scheint jedoch seit Beginn ihrer Arbeit die Gemüter eher zu erhitzen als zu versöhnen. Dem Schlächter Milton Blayhyi wurde während seiner Anhörung applaudiert, woraufhin Angehörige der Opfer verstört den Saal verließen. Kommissionsmitglieder erhalten Morddrohungen. Hört man sich auf der Strasse um, würden die meisten am liebsten alles hinter sich lassen und von vorn beginnen, nach vorne schauen, ihre Kinder zur Schule schicken, einer festen Arbeit nachgehen – leben eben.

Das Aus für Liberias Präsidentin?

Johnson-Sirleaf (Foto:ZUMA Press)
...heute muss sich auch Johnson-Sirleaf, die jetzige Präsidentin Liberias der Vergangenheit stellenBild: picture-alliance / s65 / ZUMA Press

Vergangenen Sommer legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor und seitdem tobt ein Sturm der Empörung im Land. Auf gut 1500 Seiten benennt das Gremium Täter und Opfer, fordert Sanktionen und empfiehlt die Einrichtung eines Sondertribunals. Auch der Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf wird nahegelegt, nach ihrer derzeitigen Amtsperiode, 30 Jahre lang kein Amt mehr zu bekleiden. Ihr wird vorgeworfen zu Beginn des Bürgerkrieges den Rebellenführer Charles Taylor mit Spendengeldern unterstützt zu haben. Die Präsidentin jedoch wehrt sich gegen diese Vorwürfe. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich damals Charles Taylor unterstützt habe, um einen brutalen Diktator wie Samuel Doe zu stürzen." Als sich dann aber Taylors wahres Gesicht gezeigt habe, sei sie zu seiner leidenschaftlichsten und schärfsten Kritikerin geworden. Außerdem habe sie immer offen darüber gesprochen und das liberianische Volk um Verzeihung gebeten, Taylor damals falsch eingeschätzt zu haben, verteidigt sich Johnson-Sirleaf.

Die Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission liegen nun dem Parlament vor. Sollte das Abgeordnetenhaus, in dem die Partei von Johnson-Sirleaf keine Mehrheit hat, die Empfehlungen als Gesetz verabschieden, würde dies das politische Aus für die Präsidentin bedeuten.

Autorin: Stefanie Duckstein

Redaktion: Michaela Paul