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Fluchtpunkt für verfolgte Juden

17. Januar 2010

Die Dominikanische Republik gilt heute als Eldorado für Pauschaltouristen und Billigurlauber. Was kaum einer weiß: in den 1940er Jahren fanden verfolgte Juden aus Europa hier Zuflucht - und das unter Diktator Trujillo.

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Fluchtpunkt Karibik, Buchcover
Bild: Christoph-Links-Verlag

Als Felix Bauer, Horst Wagner und 36 andere Personen 1940 endlich in Ciudad Trujillo ankamen, hatten sie eine lange Reise hinter sich. Aus dem nationalsozialistischen Deutschland waren sie in die Schweiz geflüchtet. Von dort nach Südfrankreich, dann über die Grenze nach Spanien, Portugal und schließlich über den Atlantik nach Ellis Island, die Einwanderungsinsel bei New York. Von da aus gelangten sie in die Dominikanische Republik, deren Präsident Trujillo sich persönlich dafür eingesetzt hatte, dass den Verfolgten Asyl gewährt wurde.

Deutsche und österreichische Juden bei der Ankunft in Ciudad Trujillo, ca. 1940/41. Copyright: Christoph Links Verlag
Ankunft in Ciudad TrujilloBild: Christoph Links Verlag

Der Despot als Wohltäter

Trujillo aber war kein Menschen- oder gar Judenfreund, sondern ein berüchtigter Despot. "Er ist ein Rassist und Anhänger Hitlers gewesen", sagt Autor Hans-Ulrich Dillmann. "Er hat haitianische Vorfahren gehabt, war selbst dunkelhäutig und hatte die Vorstellung, dass man mit Weißen das Land ökonomisch aufbauen kann. Die Haitianer hat er gehasst."

Weiße in dieser Lesart auch die Juden aus Deutschland und Österreich, die nach langen Wirren schließlich in dem Karibikstaat landeten und - so glaubte Trujillo - das Land vorwärtsbringen und die schwarze Bevölkerung an den Rand drängen würden . "Viele haben gar nicht gewusst, was auf sie zukommt. Aber sie haben gedacht, alles ist besser, als in Europa zu bleiben und dort verfolgt, inhaftiert oder ermordet zu werden", erklärt Dillmann. 100.000 Flüchtlinge sollten ab 1940 in der Karibik Asyl bekommen, das hatte der Diktator, der sich als Wohltäter gab, vollmundig angekündigt. Nur 750 Emigranten ist schließlich nach zermürbenden Verhandlungen und einem aufwändigen Bewerbungsverfahren die rettende Flucht gelungen.

Überforderte Flüchtlinge

Diese jüdischen Professoren, Musiker, Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern und Geschäftsleute aus Berlin, Köln oder Wien sollten nun in dem gottverlassenen Nest Sosua einen Kibbuz in der Karibik errichten, ein landwirtschaftliches Vorzeigeprojekt, für das praktisch alle Voraussetzungen fehlten. Niemand war dafür ausgebildet. Sonne, Hitze, karge Böden, Mangel an Gerätschaften, Krankheiten, die Bespitzelung durch die örtliche Polizei, dazu die Sorge um die in Europa zurückgebliebenen Angehörigen, all dies stellte die Geflüchteten vor immense Probleme. Unterkünfte mussten gebaut, die Selbstverwaltung der Siedlung organisiert, das kulturelle und religiöse Leben gestaltet werden.

Fluchtpunkt Karibik. Unterricht im Gartenbau für die Siedlerkinder. Copyright Christoph Links Verlag
Gartenbau-Unterricht für die SiedlerkinderBild: Christoph Links Verlag

Collegio Luis Hess

Der Journalist Hans-Ulrich Dillmann lebt in Santo Domingo und hat zusammen mit der Historikerin Susanne Heim Archive durchforstet, Dokumente gesichtet, Zeitzeugen gesprochen und dabei die ganz und gar unglaubliche Geschichte der jüdischen  Emigranten in der Karibik zutage gefördert. Luis Hess, der noch heute in Sosua lebt und dort vor kurzem seinen 101. Geburtstag feierte, war einer der Männer der ersten Stunde: "Hess ist sehr früh emigriert nach Spanien und sprach perfekt Spanisch, als er kam. Er hat auch die ganzen Verhandlungen mit der dominikanischen Regierung geführt, war Lehrer und Übersetzer, hat hier geheiratet, später ist er Direktor der jüdischen Schule geworden. Diese Schule wurde bei seiner Pensionierung dann in Collegio Luis Hess umbenannt."

Fluchtpunkt Karibik. Nach 1945 begann man in Sosua mit der industriellen Wurstherstellung. Es gab auch koschere Salami! Copyright Christoph Links Verlag.
Koschere SalamiBild: Christoph

Heute leben nur noch wenige Dutzend Nachkommen der einstigen Einwanderer in der Dominikanischen Republik. Und dennoch haben die jüdischen Flüchtlinge Spuren hinterlassen. Nicht nur mit der kleinen Synagoge und im Museum: "Alles, was Sosua heute ist und was Sosua heute hat, das haben die Juden aus Deutschland und Österreich aufgebaut. Es ist eine wahre Erfolgsgeschichte", sagt Autor Dillmann. Denn nach 1945 begann man mit der Produktion von Milchprodukten und der industriellen Wurstherstellung - alles nach deutschem Rezept. "Productos Sosua steht heute nach wie vor für hohe Qualität", sagt Autor Dillmann. Und noch heute lese man in den dominikanischen Zeitungen kein böses Wort über Juden.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Petra Lambeck  

Hans-Ulrich Dillmann/Susanne Heim: "Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik". Christoph-Links-Verlag. 192 Seiten, 72 Abbildungen. €  24,90. 

ISBN 978-3-86153-551-5.