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Untersuchungen zum Massaker in Guinea

30. Dezember 2009

Ein Vierteljahr ist vergangen seit dem "blutigen Montag" in Conakry. Soldaten stürmten eine Oppositions-Kundgebung, töteten und vergewaltigten. Die UN bezeichnen das Massaker als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

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Das Poster eines Oppositionellen liegt zerissen im Sand nachdem Soldaten eine Kundgebung von Oppositionsanhänger gestürmt hat (Foto: AP)
Gewalt und Zerstörung: Der "blutige Montag" von ConakryBild: AP

Guinea im Herbst 2009: NGOs und Opposition demonstrieren gegen das Militärregime von Präsident Moussa Dadis Camara. Dieser hatte sich ein dreiviertel Jahr zuvor unblutig an die Macht geputscht. Die größte Veranstaltung findet am 28. September im Stadion der Hauptstadt Conakry statt. 50.000 Menschen haben sich hier versammelt. Dann stürmt das Militär das Stadion. Mariame Sy erlebte die Gewalt vor Ort und berichtet von Vergewaltigungen: "Ich konnte dem gerade noch entgehen, kein Soldat hat mich angefasst. Ich war bekleidet und wurde geschützt. Aber sobald man eine Frau sah, legte man sie auf den Boden. Man weiß, was dann passierte. Ich war dort."

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Moussa Daddis Camara, selbsternannter Präsident Gineas bei einer Kundgebung (Foto: dpa)
Machthaber in Guinea: Moussa Daddis CamaraBild: dpa

Die Soldaten vergewaltigten nicht nur brutal, sie schossen auch in die Menge. Anschließend versuchte die militärische Führung Guineas, die Taten zu vertuschen: Leichen wurden aus dem Stadion und Krankenhäusern mitgenommen und in Massengräbern verscharrt. So steht es in den jetzt öffentlich gewordenen Berichten der Vereinten Nationen und der amerikanischen Organisation Human Rights Watch. Beide basieren auf insgesamt mehr als 900 Interviews mit Augenzeugen, Militärangehörigen, medizinischem Personal und Diplomaten vor Ort. Während nach offiziellen Angaben 57 Menschen starben, wurden laut UN mindestens 150 getötet, mehr als tausend verletzt und über einhundert Frauen sexuell missbraucht. Die Untersuchungskommission schlussfolgert in ihrem Bericht: "Es ist angemessen, die Taten vom 28. September und den nachfolgenden Tagen als 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' zu beschreiben."

Ein Fall für Den Haag

Das Vorgehen der Soldaten, so heißt es in dem Bericht weiter, sei "organisiert" und "systematisch" gewesen. Damit widerspricht die Kommission Aussagen von Juntachef Camara, dass einige Mitglieder von Garde und Armee schlicht außer Kontrolle geraten seien. Der selbsternannte Präsident Camara gilt als Hauptverantwortlicher für das Massaker, gemeinsam mit weiteren Offiziellen, darunter der Anführer der Präsidentengarde, Abubakar "Toumba" Diakité sowie der Leiter der Anti-Drogen-Einheit, Moussa Tieggboro Camara. Sie trügen eine "individuelle strafrechtliche Verantwortung", heißt es in dem UN-Bericht. Und weiter: "Die Kommission empfiehlt, dass sich der Internationale Strafgerichtshof mit den Personen beschäftigt, auf denen – den Erkenntnissen dieses Berichts zufolge – ein starker Verdacht liegt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben."

Eine verhüllte Leiche liegt am Boden des Stadions von Conakry am 28. September 2009 (Foto: dpa)
Laut UN wurden im September mindestens 150 Menschen im Stadion getötetBild: DPA

Sanktionen verschärft

Auch Frankreichs stellvertretender Botschafter bei der UN, Nicolas de Riviere, fordert eine schnelle Anklage. Er sagt: "Straflosigkeit kann keine Option sein. Der Internationale Strafgerichtshof muss sich damit befassen. Wir hoffen, dass die Täter – auch Dadis Camara – möglichst schnell vor Gericht gestellt werden.“

Eine offizielle Stellungnahme der UN gibt es bislang nicht. Derzeit wird der Bericht aus dem Französischen übersetzt und von verschiedenen Delegationen geprüft. Er war vor der offiziellen Veröffentlichung an die Presse durchgesickert. Die Europäische Union hat unterdessen ihre Sanktionen gegen die guineische Junta verschärft: Jegliche finanzielle und fachliche Unterstützung wird eingestellt. Bereits direkt nach dem Massaker hatten EU, Afrikanische Union und USA Sanktionen wie ein Waffenembargo oder Reiseverbot verhängt und mehr Demokratie gefordert.

Instabile politische Lage

Guineas Junta-Chef Camara mit seinem Premierminister Kabine Komara in Conakry
Guineas Junta-Chef Camara mit seinem Premierminister Kabine Komara in ConakryBild: DPA

Mehr Demokratie erhofft sich jetzt die Opposition. Ba Oury, Vize-Präsident der Union der Demokratischen Kräfte von Guinea, reagierte erfreut auf den UN-Bericht: "Es ist eine große Chance für Guinea, dass die Verantwortlichen des Massakers vom 28. September dingfest gemacht wurden und dass es als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt und bestraft werden kann. Ich denke, dass es nach 50 Jahren politischer Gewalt eine Chance ist."

Doch Analysten zufolge ist die Lage in Guinea derzeit so instabil wie lange nicht. Die Junta-Führung verliert sich in Kleinkriegen: Anfang Dezember schoss der Chef der Präsidentengarde, Diakité, auf Camara und verletzte ihn schwer. Camara hätte ihm die Schuld am Massaker zugeschoben, begründete Diakité das Attentat. Der Präsident wurde nach Marokko ausgeflogen, Diakité hält sich versteckt. Der militärische Interims-Führer, General Sekouba Konate, versprach jetzt so bald wie möglich demokratische Wahlen abzuhalten.

Nationale Untersuchungen umstritten

Außer Vereinten Nationen und Human Rights Watch beschäftigt sich derzeit noch eine nationale Untersuchungskommission mit dem Massaker. Diese sucht weiter nach Augenzeugen, sagt der Vize-Präsident der Kommission, Bouka Chérif. Er fordert alle Opfer auf, sich zu melden, um die Vorgänge aufzuklären: "Wir arbeiten in völliger Unabhängigkeit, das versichere ich. Wir arbeiten auf Basis der Unschuldsvermutung und sind uns unserer Verantwortung bewusst. Die Regeln verpflichten uns zur Neutralität."

Soldaten vor einem Militärcamp in Conakry (Foto: AP)
Straflosigkeit soll es nach dem Massaker in Conakry nicht gebenBild: AP

Doch in den letzten Wochen wurde Kritik laut. Die Vorsitzende eines Unterausschusses hatte bezweifelt, dass es Vergewaltigungen gab; im Nationalkrankenhaus Donka seien keine solchen Fälle registriert worden. Mariame Sy, die selbst im Stadion war, widerspricht. Die betroffenen Frauen hätten sich bisher nicht getraut die Vergewaltigungen zuzugeben, weil ihre Ehemänner nichts davon erfahren sollten. "Ich weiß das, weil manche von ihnen sich mir anvertraut haben", erzählt Mariame Sy weiter. Sie vertraut der nationalen Kommission nicht und glaubt, diese sei bereit, alles zu tun, um der Militär-Junta zu gefallen: "Ich schenke ihr absolut keine Beachtung. Denn wir wissen, wer die Mitglieder sind, mit welchen Mitteln sie arbeitet, welches Ergebnis sie bekanntgeben will. Diese Kommission will, was es auch kostet, die Junta für unschuldig erklären." Der Bericht der nationalen Kommission wird für Januar erwartet.

Autorin: Monika Griebeler

Redaktion: Stephanie Gebert