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Streit um Steckenpferde und Steuern

27. Dezember 2009

Kein weihnachtlicher Friede in der Koalition: Parlamentspräsident Lammert kritisiert das Erscheinungsbild der Regierung. Die FDP beharrt auf Steuersenkungen.

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FDP-Chef Guido Westerwelle, die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer am 26. Oktober 2009 (Foto: AP)
Westerwelle, Merkel und Seehofer (v. l.) nach Unterzeichnung des KoalitionsvertragesBild: DW/AP

Vor dem Hintergrund der Rekordverschuldung im Bundeshaushalt gehen die Auseinandersetzungen in der schwarz-gelben Regierungskoalition über die Steuerpolitik weiter. Bundestagspräsident Norbert Lammert bezeichnete das Wachstumsbeschleunigungsgesetz als Schnellschuss und kritisierte in ungewöhnlich deutlicher Form das Erscheinungsbild der Regierung von CDU/CSU und FDP. Im Deutschlandfunk sagte der CDU-Politiker am Sonntag (27.12.2009): "Mein Eindruck ist, dass die prinzipielle Freude aller drei Partner, ein bisschen zur eigenen Überraschung tatsächlich gemeinsam regieren zu können, in einer etwas treuherzigen Weise den Ehrgeiz mobilisiert hat, nun ganz schnell alle jeweiligen Steckenpferde gegeneinander in Stellung zu bringen." Hinter den keineswegs identischen Zielvorstellungen sei das gemeinsame Projekt der Regierung nicht mehr zu erkennen.

"Misslungene Regelungen"

Bundestagspräsident Lammert (Foto picture alliance)
Bundestagspräsident Lammert (Archivbild)Bild: picture-alliance / schroewig

Zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dass zum 1. Januar neben der Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag auch Steuersenkungen für Unternehmen, Erben und Hotels bringt, sagte Lammert: "In dieses Gesetz sind neben manchen sinnvollen auch manche zweifelhafte und einige, wie ich finde, schlicht misslungene, auch nicht vertretbare Regelungen hereingekommen." Der CDU-Politiker bezog sich dabei auf die Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf sieben Prozent für Übernachtungen in Hotels. Dieser Regelung habe er auch nicht zugestimmt, betonte der Bundestagspräsident.

Die von der Koalition für 2011 angekündigten weiteren Steuersenkungen dürften nicht ein solcher Schnellschuss werden, wie das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dessen erhoffte ökonomische Wirkungen "nicht so offenkundig gesichert" seien. Bei jeder weiteren Festlegung auf Steuersenkungen müsse die nächste Steuerschätzung im Mai 2010 abgewartet werden, verlangte Lammert.

FDP-General fordert Mut

FDP-Gerneralsekretär Lindner (Foto: AP)
FDP-Gerneralsekretär LindnerBild: AP

FDP-Generalsekretär Christian Lindner rief die Union auf, an der geplanten Steuerreform festzuhalten. In der "Bild am Sonntag" kritisierte Lindner mit Blick auf skeptische Äußerungen einiger CDU-Ministerpräsidenten: "Schon neun Wochen nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hat manchen offenbar der Mut verlassen. … Gerade in schwierigen Lagen muss man an als richtig Erkanntem festhalten und Courage zeigen."

Die geplante Steuerreform bezeichnete der FDP-Politiker als "finanz- und wirtschaftspolitisch alternativlos", weil sie Wachstum erzeugen und damit die Staatsfinanzen in Ordnung bringen werde. Der "Tagesspiegel am Sonntag" zitiert Lindner mit den Worten, Steuerentlastungen in Höhe von 24 Milliarden Euro seien realistisch und mit der Union auch fest vereinbart.

Ministerpräsidenten vorsichtig

Der in die EU-Kommission wechselnde Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, nannte diesen Betrag "absolut unvorstellbar". Auch eine deutliche Konjunkturerholung werde dafür nicht genügend Spielraum schaffen, sagte der CDU-Politiker dem Magazin "Focus". Die CDU-Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen, Roland Koch und Jürgen Rüttgers, sagten der Nachrichtenagentur DAPD, über den Umfang weiterer Entlastungen könne erst nach der Steuerschätzung entschieden werden. Es wäre "unverantwortlich", sich jetzt schon festzulegen, betonte Koch. Denn es blieben die Schuldenbremse und die Verantwortung, die Staatsverschuldung zurückzuführen.

Ausgaben im Bundeshaushalt 2010 (Grafik: AP)
Ausgaben im Bundeshaushalt 2010Bild: AP

Rüttgers sagte: "Erst, wenn wir genau wissen, welche Spielräume wir haben, können wir auch konkrete Entscheidungen treffen." Die Bundesregierung sei angesichts der knappen Mehrheit in der Länderkammer auf jedes der von CDU und FDP regierten Bundesländer angewiesen. Im Mai wird im schwarz-gelb regierten Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt.

SPD wittert Wahlbetrug

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte die Bundesregierung in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" davor, ihre Pläne für Einsparungen im Bundeshaushalt erst nach der NRW-Wahl vorzulegen. Das sei nichts anderes als die offene Ankündigung eines Wahlbetrugs, sagte er. "Union und FDP haben sich so sehr in ihrer Klientelpolitik verrannt, dass sie inzwischen Angst vor einem offenen Umgang mit den Wählern haben."

Finanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte hingegen die Absicht der Regierung, die nächste Steuerschätzung und damit die für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entscheidende Landtagswahl abzuwarten. Wer jetzt schon alles verrate, laufe Gefahr, dass später alles zerredet werde, argumentierte Schäuble. "Aber wir müssen schon vor dieser Wahl damit beginnen, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Schuldenabbau keine Bedrohung, sondern eine Verheißung ist."

Autor: Michael Wehling (dpa/rtr/apd)
Redaktion: Martin Schrader