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Waisenhaushalte in Südafrika

22. Dezember 2009

In ein paar Jahren wird jedes dritte Kind in Südafrika mindestens ein Elternteil verloren haben, sagen Experten voraus. Grund dafür ist vor allem die Ausbreitung von HIV/Aids. Die Gesellschaft stößt an ihre Grenzen.

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Waisenkinder in Südafrika (Foto: Leonie March)
Die drei Schwestern halten zusammen...Bild: DW / Leonie March

In Gedanken versunken kehrt Ntombiyenkosi das Wohnzimmer. Feiner roter Sand wirbelt vom gestampften Lehmboden auf. Durch Löcher in den Wänden zieht es. Ein Eimer fängt Regenwasser auf, denn auch das Dach ist an einigen Stellen undicht. Seit vier Jahren lebt Ntombiyenkosi in dem baufälligen Haus, gemeinsam mit ihren beiden Kindern und ihren vier jüngeren Schwestern. Seit dem Tod ihrer Eltern ist sie das Familienoberhaupt. Damals war sie gerade 18 geworden, hochschwanger und hatte erfahren, dass sie HIV-positiv ist. "Es war eine sehr schwierige Zeit für mich", seufzt sie. Die Verantwortung habe sie fast erdrückt. Sie habe es sich anfangs nicht zugetraut, für ihre jüngeren Geschwister und ihre eigenen Kinder zu sorgen. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Denn weder Verwandte noch Nachbarn haben damals geholfen. Bis heute sind die Schwestern ganz auf sich allein gestellt.

Angst gehört zum Alltag

Waisenhaushalt in Südafrika (Foto: Leonie March)
...insgesamt leben sieben Kinder und Jugendliche in diesem Haus...Bild: DW / Leonie March

Ntombiyenkosi geht durch die offene Tür nach draußen, setzt sich auf die Schwelle vor ihrem Haus. Es fällt ihr noch immer nicht leicht, über die ersten Wochen und Monate nach dem Tod der Eltern zu sprechen. "Wir hatten oft Hunger und viel Angst", sagt sie leise. Ihre Schwester, die 17-jährige Sizani, die gerade von der Schule nach Hause gekommen ist, nickt zustimmend. "Wir fühlen uns hier im Haus immer noch nicht sicher", sagt sie, "Wir sind alle Mädchen und die gesamte Nachbarschaft weiß, dass kein Erwachsener, insbesondere kein Mann, im Haus wohnt." Immer wieder gebe es Zwischenfälle. Allein in den letzten Nächten sei sie dreimal wach geworden, weil jemand am Fenster war und sie beobachtete. "Wir können das Haus nicht abschließen. Jeder kann einfach hier reinkommen, wenn es ihm passt", fügt Sizani hinzu.

Überleben ohne Eltern

Waisenhaushalte in Südafrika (Foto: Leonie March)
...aus der Nachbarschaft bekommen sie kaum Unterstützung.Bild: DW / Leonie March

Schätzungen zufolge teilen rund 79.000 Kinder und Jugendliche in Südafrika das Schicksal von Ntombiyenkosi und ihren Schwestern. Vollwaisen, die vollkommen auf sich allein gestellt sind. Denn angesichts der Aids-Epidemie stößt die Gesellschaft an ihre Grenzen. Längst fänden nicht mehr alle Waisen bei Verwandten, Nachbarn oder Freunden ein neues Zuhause, erzählt Sozialarbeiter Nhlanhla Ndlovu von der Thandanani Children’s Foundation. Die Nichtregierungsorganisation hilft zum Beispiel bei der Beantragung staatlicher Unterstützung: 680 Rand, umgerechnet rund 62 Euro im Monat, zahlt die Regierung pro Kind. Oft ist das die einzige Einnahmequelle. Die Ersparnisse der Familie seien meistens schon vor dem Tod der Eltern aufgebraucht, erklärt Ndlovu. Grund dafür seien die hohen Ausgaben während der Krankheit. Die Kinder bleiben also mittellos zurück und können sich nicht einmal mehr eine Mahlzeit leisten. Auch mit der Instandhaltung ihrer Häuser sind sie überfordert. Viele, wie das, in dem Ntombiyenkosi und ihre Schwestern leben, sind einsturzgefährdet. "Die Gesundheit der Kinder und ihre Sicherheit sind ständig in Gefahr", bilanziert der Sozialarbeiter.

Hoffnung trotz Trauma

Zu den täglichen Sorgen kommt die seelische Not: Ntombiyenkosi und ihre Schwestern haben ihre Eltern sterben sehen, ein Trauma, das die Jüngste nicht verarbeitet hat. Die Geschwister klammern die Themen Krankheit und Tod deshalb aus, erklärt Ntombiyekosi: "Wir sprechen schon manchmal über unsere Eltern, aber nie über die schwierigen Zeiten. Besonders nicht darüber, was alles passiert ist, bevor sie gestorben sind. Wir konzentrieren uns lieber auf schöne Erinnerungen an unsere Eltern, die uns zum Lachen bringen." Auch ihre Zukunftsträume haben die Schwestern trotz Trauma, Angst und finanziellen Sorgen nicht aufgegeben: Sizani macht im kommenden Jahr ihr Abitur und möchte danach studieren, Sozialarbeiterin, Lehrerin oder Ärztin werden. Für einen Moment verschwindet der traurige Ausdruck in ihren Augen. "Mit einer guten Schulbildung können wir unsere Lebensbedingungen verbessern", sagt sie überzeugt. "Außerdem können wir als Jüngere dadurch später einmal für unsere ältere Schwester sorgen, der wir so viel zu verdanken haben."

Autorin: Leonie March

Redaktion: Katrin Ogunsade